Die steigende Zahl der Arbeitslosen und die Nachwirkungen der Kommunalwahlen sind heute die beherrschenden Themen auf den Titelseiten und in den Kommentaren der Inlandspresse. In Antwerpen könnte es dazu kommen, dass der strahlende Wahlsieger Bart De Wever keinen Koalitionspartner für sich gewinnen kann. Außerdem gibt es nach Unregelmäßigkeiten in mehreren Gemeinden Kritik an der Stimmabgabe per Computer.
"Pro Tag vernichtet die Krise 85 Jobs", titelt heute Het Nieuwsblad. Das Blatt hat dabei die jüngste Welle von Kündigungen im Grunde heruntergerechnet. Seit September sind schon 4.000 Stellen gestrichen worden. Allein gestern wurde der Abbau von knapp 500 Arbeitsplätzen bekannt, unter anderem bei Alcatel in Namur und Antwerpen.
"482 Jobs an einem Tag vernichtet", rechnet Het Laatste Nieuws vor. "Die Kündigungswelle rollt weiter", bringt es De Morgen auf den Punkt. "Sturmwarnung auf dem Arbeitsmarkt", bemerkt auch Le Soir auf Seite eins. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds könnte die Arbeitslosenquote in Belgien im kommenden Jahr auf 7,9 Prozent anwachsen, im Augenblick sind es 7,4 Prozent. Einer Studie zufolge fürchtet inzwischen die Hälfte aller Belgier um ihren Job, wie unter anderem Het Laatste Nieuws berichtet. Und die Angst ist angesichts der jüngsten Zahlen absolut berechtigt.
Fehlt Belgiern der Unternehmergeist?
"Das beste Mittel, um seinen Job zu sichern, ist ein eigenes Unternehmen", bemerkt dazu die Wirtschaftszeitung L'Echo. Und hier fehlt insbesondere den Belgiern offensichtlich der Mut. Einige Bevölkerungsgruppen haben es uns doch vorgemacht: die Neu-Belgier aus Osteuropa oder der Türkei gründen eigene Unternehmen. Im Nullkommanichts haben sie etwa den Markt für Wohnungsrenovierungen in Brüssel übernommen. Bei den Alteingesessenen hingegen fehlt es offensichtlich an Unternehmergeist.
Vor dem Hintergrund der Krise und ihren Folgen hat gestern der flämische Arbeitgeberverband VOKA seine Rezepte und Anliegen vorgestellt. Es ging wohl auch darum, sich im Vorfeld der Haushaltsberatungen der Föderalregierung zu positionieren. La Libre Belgique hat da eine bemerkenswerte Entwicklung beobachtet. VOKA, bislang eigentlich als Speerspitze der flämischen Unternehmer bekannt, nimmt ganz klar eine gesamtbelgische Position ein. Der Verband hat offensichtlich begriffen, dass es vernünftiger ist, die Sprachgrenzen auszublenden. Und doch ist die Entwicklung beängstigend: Eigentlich gibt es den allgemeinen Arbeitgeberverband FEB, der die einheitliche Position wiedergeben sollte. Im vorliegenden Fall muss man feststellen, dass die Flamen mal wieder das Heft in die Hand genommen haben.
Nach den Kommunalwahlen: Kühle Blicke ...
Auch heute stehen die Kommunalwahlen weiter im Vordergrund. Das gilt zunächst für die Entwicklung in Antwerpen. Dort sucht der wohl künftige Bürgermeister Bart De Wever nach möglichen Koalitionspartnern. Gestern traf De Wever mit seinem Kontrahenten, dem bisherigen Bürgermeister Patrick Janssens zusammen. "De Wever und Janssens würdigen sich keines Blickes", notiert dazu Het Laatste Nieuws. In der Tat, ein Foto spricht Bände: Beide Männer schütteln sich die Hand und schauen demonstrativ aneinander vorbei.
Das kann auch damit zu tun haben, dass Janssens seinem wahrscheinlichen Nachfolger das Leben schwer macht: "Janssens bringt De Wever in die Klemme", titelt denn auch De Standaard. Hintergrund: Janssens stellt Bedingungen für eine Teilnahme an der Koalition: Seine sozialistisch-christdemokratische Liste will nicht ohne die Grünen eine Koalition bilden. Der Punkt: De Wever kann die Grünen eigentlich nicht ausstehen. Am Ende könnte es darauf hinauslaufen, dass De Wever eine "Minderheitsregierung" bilden muss, also ohne feste Mehrheit in Antwerpen regiert.
... "löchrige Unterhosen" ...
Philippe Moureaux, der entmachtete bisherige Bürgermeister von Molenbeek, hat sich derweil der Presse gestellt. Fast alle Zeitungen berichten über das, was man wohl als Generalabrechnung bezeichnen kann. "Moureaux ist verbittert und sieht überall 'falsche Fuffziger'", so die Schlagzeile von La Dernière Heure.
"Die Unterhose der Grünen ist voller Löcher", zitiert L'Avenir der PS-Altmeister, der offensichtlich vor allem Ecolo auf dem Kieker hat. Moureaux wirft den Grünen vor, entgegen früherer Absprachen die Seite gewechselt und sich zum Mehrheitsbeschaffer für die MR gemacht zu haben. "Es ist nicht unsere Aufgabe, die PS zu retten", antwortet darauf polemisch der Brüsseler Ecolo-Politiker Christos Doulkeridis in der Zeitung La Libre Belgique.
"Es stinkt in Belgiens Politlandschaft", kann denn auch Het Laatste Nieuws nur feststellen. Was sich seit dem Wahlabend in einigen Gemeinden abgespielt hat, ist unterste Schublade. Überall werden in diesen Tagen schamlos Koalitionen aus Wahlverlierern gebildet, werden Absprachen in den Wind geschlagen, Versprechen gebrochen, Prinzipien ausgehebelt. Dieser allgemeine Mief schadet der Glaubwürdigkeit der Politik.
... und neue Gesichter
Het Laatste Nieuws nimmt damit auch Bezug auf das jüngste Stühlerücken bei den flämischen Liberalen OpenVLD. Parteichef Alexander De Croo hatte noch am Wahlsonntag hoch und heilig versprochen, Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Brakel zu werden. Am Mittwochabend wurde dann bekannt, dass De Croo seinen Parteikollegen Vincent Van Quickenborne in der Föderalregierung ersetzen wird. Sein Bürgermeisteramt kann er damit nicht wahrnehmen. Ganz nebenbei tritt er auch als Parteichef zurück.
Im Grunde hatte die OpenVLD keine andere Wahl, bemerkt dazu Het Belang van Limburg. De Croo war nach der neuen Wahlniederlage der OpenVLD - der sechsten in Folge - nicht mehr tragbar. Jetzt bedarf es eines neuen starken Manns ... oder einer starken Frau.
Das könnte die aufstrebende junge Kammerabgeordnete Gwendolyn Rutten, wird allgemein gemutmaßt. Diese Frau ist zweifelsohne kompetent, streitbar, verfügt sowohl über Inhalt als auch Präsenz, lobt Gazet van Antwerpen. Stellt sich nur eine Frage: Ist es nicht vielleicht noch zu früh, die Dame in die Löwengrube zu werfen? 2014 steht immerhin die "Mutter aller Wahlen" an.
Papier versus Computer
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit den Computerproblemen, die bei der Kommunalwahl aufgetreten sind. In Antwerpen gab es ein kurioses Phänomen: Beim Anklicken einer Wahlliste konnte es passieren, dass auf dem darauffolgenden Bildschirm schon eine Vorzugsstimme geschwärzt wurde. Auffällig ist jedenfalls, dass Unterfernerliefen-Kandidaten quasi aus heiterem Himmel tausende Vorzugsstimmen einheimsten.
Die Computerprobleme sind eine Tatsache, konstatiert Het Nieuwsblad. Damit wurde zwar das globale Kräfteverhältnis nicht verzerrt, aber nichtsdestotrotz: Kandidaten bekamen Vorzugsstimmen nur allein aufgrund dieses Fehlers. Von einem Wahlsystem darf man doch eigentlich erwarten, dass es keine Schwachpunkte besitzt.
Es dafür gleich abzuschaffen, wäre aber der falsche Weg, meint De Standaard. Der zuständige Staatssekretär Hendrik Bogaert will wieder zu Papier und Stift zurückkehren. Im Zeitalter der Digitalisierung wäre das ein Rückschritt. Man sollte die Computerwahl nicht über Bord werfen, sondern verfeinern und ganz nebenbei auch transparenter machen.
Fragwürdige belgische Exportschlager
"Ronald Janssen hat Spargeld verschwinden lassen", titelt derweil Het Laatste Nieuws. Ronald Janssen, das ist ja der Serienmörder aus der Provinz Limburg, der wegen Mordes an drei Menschen verurteilt worden ist. Die Angehörigen der Opfer haben Recht auf Schadenersatz. Janssen hat aber urplötzlich angeblich kein Geld mehr. Angeblich. Kurz vor dem Prozess sind 144.000 Euro von seinem Konto abgehoben worden.
"Belgien exportiert den Krebs in Europa", so die provokative Schlagzeile von Le Soir. Hintergrund: Halb Europa kommt in Belgien Tabak und Zigaretten kaufen. Der Verkauf hat um 40 Prozent zugenommen. Anscheinend sind Tabakprodukte in anderen Ländern viel teurer. La Libre Belgique hat auch einen zweifelhaften belgischen Exportschlager entdeckt: "Wallonische Waffen in Gaza", titelt das Blatt, und fragt sich, wie das möglich ist.
"Immer mehr Unfälle mit Fahrerflucht", titelt De Morgen. Demnach haben sich über 5.000 Autofahrer nach schweren Unfällen aus dem Staub gemacht. Oft ist hier Alkohol im Spiel.
Bild: istockphoto