"Die Nacht der langen Messer", titelt heute De Morgen. "Gewinner werden ins Abseits gestellt", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Nicht gewonnen und doch der Sieger", so die Schlagzeile von De Standaard.
Auf vielen Titelseiten der flämischen Zeitungen prangen heute vor allem die Fotos von zwei Männern: Auf der einen Seite der sichtbar genervte CD&V-Spitzenpolitiker Stefaan De Clerck, auf der anderen Seite der breit grinsende Open VLD-Mann Vincent Van Quickenborne. De Clerck hatte zwar in Kortrijk seinen Spitzenplatz verteidigt, wo er seit 12 Jahren Bürgermeister ist, dennoch wird er in die Opposition befördert von einer Koalition, die von Van Quickenborne angeführt wird. "Alle sind sauer auf Q", titelt Het Nieuwsblad. Q, das ist ja der Spitzname von Vincent Van Quickenborne; der wird also jetzt der neue Bürgermeister in Kortrijk und wird demzufolge die Föderalregierung verlassen.
"Die Nacht der langen Messer"
Eine solche "Nacht der langen Messer" hat es im Übrigen nicht nur in Kortrijk gegeben. Het Laatste Nieuws und De Standaard zählen mehr als 30 flämische Gemeinden, wo die stärkste politische Kraft aller Voraussicht nach in der Opposition landen wird.
Het Belang van Limburg findet solche Entwicklungen gefährlich. Warum gehen wir eigentlich noch wählen? Diese Frage ist berechtigt. Klar: In einer Demokratie zählt alleine die Tatsache, dass eine Mehrheit eben eine Mehrheit hat. Doch sollten die Parteien dabei das Signal des Wählers vor Augen haben. Eine Koalition aus Wahlverlierern entspricht nicht dem Geist einer Wahl.
Peinlich und gefährlich, nennt auch De Morgen die politischen Ränkespiele. Es gibt offensichtlich Leute, die, um an die Macht zu kommen, nicht zögern, ihre eigenen Ideale zu verraten. Die Open VLD von Van Quickenborne plädierte noch vor einigen Monaten für die Direktwahl der Bürgermeister. Jetzt putscht er den populäreren De Clerck einfach vom Bürgermeisterstuhl.
In diesem Zusammenhang hat N-VA-Chef am Montag schon öffentlich ein Komplott gewittert.
Es sei offensichtlich, dass die traditionellen Parteien versuchen, die N-VA systematisch in der Opposition zu halten, beklagt De Wever unter anderem auf der Titelseite von Het Nieuwsblad. "De Wever führt sich auf wie ein kleines Kind", reagieren vor allem CD&V und SPA in Het Nieuwsblad. Die N-VA beteiligt sich an diesen Spielchen eifrig mit, zitiert das Blatt etwa den CD&V-Vorsitzenden Wouter Beke.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich. Natürlich ist gerade die CD&V nicht unbedingt scharf darauf, lokale Bündnisse mit der N-VA einzugehen. Das beruht aber auf Gegenseitigkeit. Schließt die N-VA in Kortrijk nicht auch eine Koalition gegen die CD&V? Hier geht es schlicht und einfach um Macht. Und auch die N-VA beteiligt sich an diesen Machtspielen. Deshalb sollte sie aufhören, den Märtyrer zu geben.
N-VA - Katzenjammer und Brüsseler Kuhhandel
Der Katzenjammer der N-VA entbehrt jeder Grundlage, meint auch Het Nieuwsblad. Die N-VA dreht ganz normal im politischen Zirkus mit. Bei den Koalitionsbildungen steht sie ebenso oft auf der Sieger-, wie auf der Verliererseite. Ein gleich wie geartetes Komplott ist nicht zu erkennen. In jedem Fall sollten die Parteien aber vorsichtig sein, warnt auch Het Nieuwsblad. Missachtet man den Wählerwillen, dann bekommt man beim nächsten Mal doppelt und dreifach die Rechnung präsentiert.
In der Wallonie und in Brüssel sind im Übrigen ähnliche Ränkespiele zu beobachten. Besonders sichtbar ist das in Brüssel. Dort hatte zunächst der PS-Bürgermeister von Brüssel Stadt, Freddy Thielemans, den bisherigen Koalitionspartner fallengelassen, mit Namen die CDH von Joëlle Milquet. Die Rache folgte postwendend: In Molenbeek könnte PS-Urgestein Philippe Moureaux die Bürgermeisterschärpe verlieren, weil die CDH urplötzlich die Nähe zur MR sucht. "Der große Kuhhandel", titelt denn auch Le Soir. La Libre Belgique spricht ihrerseits auf Seite eins schon von einem "Bruch": Das Vertrauensverhältnis zwischen CDH und PS sei erschüttert, meint das Blatt.
Das Ganze lässt Spannungen in der Föderalregierung befürchten. Elio Di Rupo muss ja auch seine Regierung umbilden, weil Paul Magnette und auch Vincent Van Quickenborne Bürgermeister werden.
Aber nicht nur das, meint das Grenz-Echo in seinem Kommentar, die drei flämischen Mehrheitsparteien CD&V, Open VLD und SP.A müssen jetzt schnell für einen neuen Elan sorgen, meint La Libre Belgique. Und das kann eine Radikalisierung zur Folge haben. Damit würden sie für neue Unruhe in der Koalition sorgen. Hinzu kommt: Die Föderalregierung muss ja jetzt den Haushalt 2013 schnüren. Allein im laufenden Budget fehlen 800 Millionen Euro.
"De Wever macht die Rupo Kopfzerbrechen", titelt in diesem Zusammenhang L'Echo. Denn es ist ja so: Wenn Di Rupo beiden erforderlichen Sparmaßnahmen kein Fingerspitzengefühl an den Tag legt, dann liefert er De Wever gleich wieder Munition.
Schubumkehr 2014?
Dabei hat die Regierung nur noch anderthalb Jahre, um insbesondere in Flandern für eine Schubumkehr zu sorgen, konstatiert La Libre Belgique. Wenn insbesondere die Frankophonen so tun wollten, als sei am Sonntag nichts passiert, dann ist das Realitätsverneinung. Man wird die schwarzgelbe Welle nicht stoppen, in dem man die Augen verschließt.
Der Kommunalwahl jegliche nationale Bedeutung abzusprechen, wäre ein schwerer Fehler, warnt auch L'Avenir. Viel zu oft haben die Frankophonen die Entwicklung in Flandern einfach ignoriert und damit alles nur noch schlimmer gemacht. Die N-VA führt eine gnadenlose Kommunikationsstrategie und schafft damit ein gefährliches Klima. Die Frankophonen können hier nur gegenhalten, indem sie konsequent mutige Reformen durchziehen. Beim nächsten Mal müssen sie am Verhandlungstisch eine dynamische Wallonie im Gepäck haben.
De Wevers "Tsunami"
Auch L'Echo bescheinigt der N-VA eine perfide Kommunikationsstrategie. De Wever übertreibt, wenn er am Sonntag in Flandern einen Tsunami gesehen haben will. Die Regierung ist nicht abgestraft worden. Es hat schon mit Chuzpe zu tun, wenn De Wever systematisch die Realität so verbiegt, bis sie ihm in den Kram passt. Damit schürt er eine Dynamik, die Flandern in die Unabhängigkeit führen soll. Sein einziges Ziel ist es, Chaos zu verursachen, um zu beweisen, dass Belgien nicht mehr funktioniert.
Deswegen sollten sich die Frankophonen mit Blick auf 2014 auf den Ernstfall einstellen, mahnt La Dernière Heure. Nichts spricht dafür, dass die N-VA mit ihrem Marsch auf Brüssel noch gestoppt werden kann. Da sollte man vorbereitet sein - dabei aber aufhören, mit bekannten Ideen wie dem ominösen Plan B zu fuchteln.
Bild: Kurt Desplenter (belga)