"Unverzeihliche Schlamperei", titelt heute Het Laatste Nieuws. "Ein Richter, zwei Patzer", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Vor allem in Flandern sorgt eine spektakuläre Justizpanne für Schlagzeilen. Am Donnerstag musste ein Mann auf freien Fuß gesetzt werden, der erwiesenermaßen seine Ex-Freundin niedergeschossen hat. Am vergangenen 23. Juli feuerte Davy Simons auf offener Straße zwei Schüsse auf die 19-jährige Didi Swiers ab. Wie durch ein Wunder überlebte das Opfer.
Am 24. August entschied die zuständige Ratskammer, die Untersuchungshaft zu verlängern. Das allerdings um drei Monate, was im vorliegenden Fall unzulässig ist. Bei Mordversuch kann die U-Haft immer nur um jeweils einen Monat verlängert werden. Aufgrund dieses Formfehlers musste Davy Simons freigelassen werden.
"Ein Richter, zwei Patzer"
Nach Informationen von Het Nieuwsblad war das zu allem Überfluss nicht der einzige Fehler der zuständigen Richterin. Am selben Tag ordnete sie die Freilassung des Top-Terroristen Nizar Trabelsi an, wobei der eigentlich an die USA ausgeliefert werden sollte.
"Und das Schlimme ist: Im Justizwesen gibt es für solche Fehler keinerlei Sanktionen", wie der SP.A-Parlamentarier Renaat Landuyt auf der Titelseite von De Standaard beklagt. "Für diese Panne dürfte wohl kein Magistrat zur Rechenschaft gezogen werden", glaubt Landuyt
Der Fall sorgt für mitunter wütende Kommentare. Het Belang van Limburg listet in seinem Leitartikel ein halbes Dutzend spektakuläre Prozedurfehler auf, die in letzter Zeit die Justiz erschüttert haben. Unter anderem mussten schon Terroristen, Waffenhändler, Mörder, Drogenschmuggler und Menschenhändler auf freien Fuß gesetzt werden, weil die Justiz sich nicht an die Strafprozessordnung gehalten hatte. Wie kann das sein, fragt sich Het Belang van Limburg? Klar: Menschen machen Fehler. Das gilt auch für die Justiz. Doch warum wird nicht alles getan, um Prozedurfehler zu verhindern? Warum gibt es keine Möglichkeit, sie auszubügeln? Warum? Die Frage steht im Raum.
"Ein unverzeihlicher Fehler"
Die Justiz in diesem Land hat uns inzwischen an Prozedurfehler gewöhnt, meint auch Gazet van Antwerpen resigniert. Dieser Patzer sprengt allerdings alle Rahmen. Wie kann ein Magistrat, noch dazu in einer so sensiblen Angelegenheit, so sorglos ans Werk gehen? Für den Fehler gibt es keine Entschuldigung. Bleibt nur zu hoffen, dass die Justiz jetzt alles daran setzt, dass der Prozess schnell stattfinden kann. Sonst läuft der Verbrecher noch jahrelang frei herum.
Im Moment jedenfalls kann der Schütze tun und lassen, was er will, beklagt Het Laatste Nieuws. Er wurde ohne Auflagen freigelassen, darf sich theoretisch sogar dem Opfer nähern. Und das alles nur, weil die zuständige Ratskammer zu blöd war, die U-Haft zu verlängern. "Ihr solltet euch was schämen", wendet sich Het Laatste Nieuws wütend an die zuständigen Magistrate. Zu viel ist zu viel! Solche Richter und Staatsanwälte gehören vor die Tür gesetzt.
Nach der nachvollziehbaren Empörung plädiert De Standaard aber für eine Rückkehr der Vernunft. Und dann zwingen sich zwei Lehren auf, die man aus dem Fall ziehen sollte. Erstens: Bei der Justiz bedarf es eines wirklichen Disziplinarrechts inklusive systematischer Beurteilung des Personals. Zweitens: Die belgische Justiz muss sich von ihrem Formalismus verabschieden. Hierzulande gelten allein die Buchstaben des Gesetzes. Viel besser wäre es, wenn das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingeführt würde. Das würde verhindern, dass kleine Fehler große Folgen haben.
SNCB - "Stumpfe Streikwaffe"
Auch ein anderes Thema erhitzt die Gemüter. "Wut und Empörung angesichts des drohenden Bahnstreiks", titeln fast gleichlautend De Morgen und Gazet van Antwerpen. Die Gewerkschaften haben für den kommenden Mittwoch zu einem 24-stündigen Streik bei der SNCB aufgerufen. Hintergrund sind die Pläne des zuständigen Ministers Paul Magnette mit Blick auf eine Verschlankung der Struktur der Staatsbahn. Die Gewerkschaften fordern eine Rückkehr zur alten Einheitsstruktur. Das allerdings ist unrealistisch, urteilt De Morgen in seinem Leitartikel.
Eine Einheitsstruktur ist nicht mit EU-Recht zu vereinbaren. Und wegen solcher Grundsatzprobleme bestrafen die Gewerkschaften einmal mehr die Zugreisenden. Die Gewerkschaften haben nur ihre Interessen und althergebrachten Errungenschaften vor Augen und betrachten dabei die Zugreisenden nicht als Verbündete, sondern als Geiseln. Und solange das so bleibt, werden sie für den Gebrauch der ohnehin stumpfen Streikwaffe nur Unverständnis ernten.
Preiskontrolle im Einzelhandel
Viele Zeitungen greifen eine Meldung von De Standaard von am Donnerstag auf. La Libre Belgique fasst zusammen: "Die Regierung führt einen Kreuzzug gegen hohe Preise." Demnach sollen auch im Einzelhandel die Preise künftig schärfer beobachtet und notfalls auch eingefroren werden können.
Experten halten das für keine gute Idee. Die Folge wird eine allgemeine Verteuerung sein, orakelt ein Fachmann in Het Laatste Nieuws. Beispiel: Wenn die Regierung den Preis für einen Topf Schokocrème einfriert, dann erhöht der Supermarkt einfach die Preise für Butter und Marmelade.
Auch L'Echo übt Kritik an den Plänen. Eigentlich dachten wir doch, dass unsere politischen Entscheidungsträger inzwischen verstanden hätten. In einem freien Markt werden die Preise durch gesunde Konkurrenz reguliert. Dass die Regierung nun zurück in die Zukunft will, sorgt im Einzelhandel für Verunsicherung, und das ist nachvollziehbar. Eigentlich hätten wir uns gewünscht, dass die Regierung ihre Preiskontrolle auf einige zentrale Bereiche begrenzt, wie etwa Energie oder Telekommunikation.
Auch La Libre Belgique ist skeptisch. Die Regierung läuft Gefahr, den Einzelhandel aus dem Tritt zu bringen. Und das ist schließlich ein Pfeiler unserer Wirtschaft. Stellt sich die Frage: Was soll das eigentlich? Es entsteht der Verdacht, dass man damit nur die Inflation künstlich deckeln will. Nur dadurch kann nämlich ein Wiederaufflammen der Diskussionen über die Lohnindex-Bindung auf Dauer vermieden werden.
Archivbild: Herwig Vergult (belga)
Petit pays, MINUSCULE justice