“D-Day für Michelle Martin“, titeln La Libre Belgique und Gazet Van Antwerpen. "Zieht Martin heute bei den Nonnen ein?" so die Frage auf der Titelseite von Het Laatste Nieuws.
Heute entscheidet der Kassationshof über eine Reihe von Einsprüchen gegen die vorzeitige Haftentlassung von Michelle Martin.
Das zuständige Strafvollstreckungsgericht von Mons hatte am 31. Juli der vorzeitigen Haftentlassung von Martin unter Auflagen zugestimmt. Kernstück dieser Auflagen ist, dass sich Martin in ein Kloster zurückzieht, genauer gesagt in das Klarissenkloster in Malonne bei Namür.
Malonne rüstet sich für Michelle Martin
Rein rechtlich gesehen spricht nichts gegen eine vorzeitige Haftentlassung von Michelle Martin. Allgemein wird erwartet, dass der Kassationshof im Laufe des Tages die Einsprüche verwerfen wird und damit indirekt grünes Licht für die Freilassung von Michelle Martin gibt. In jedem Fall wird sich der Kassationshof nicht von den Emotionen innerhalb der Bevölkerung beeinflussen lassen, glaubt Het Nieuwsblad. Das höchste Gericht des Landes genießt noch immer den Ruf, extrem weltfremd und konservativ zu sein. Für den Kassationshof zählt allein die Frage, ob Prozedurfehler begangen wurden. Alles andere ist unwichtig.
Wann Martin nach Malonne überführt werden könnte, ist noch offen. Jedenfalls hat dort die Polizei bereits jetzt damit begonnen, die Sicherheitsvorkehrungen drastisch zu verschärfen, wie unter anderem Het Laatste Nieuws berichtet. 40 zusätzliche Polizisten sollen demnach abgestellt werden, dazu ein Wasserwerfer und ein Hubschrauber.
Was die Polizei im Einzelnen vorsieht, werde aus nachvollziehbaren Gründen nicht bekannt gegeben, sagt der Bürgermeister von Namür unter anderem in L‘Avenir. Man wolle die Effizienz gewährleisten. Het Laatste Nieuws will aber erfahren haben, dass möglicherweise sogar Elite-Einheiten in Malonne eingesetzt werden könnten. Nach Angaben des flämischen Massenblatts standen in der belgischen Geschichte noch nie so viele Polizisten bereit, um eine vorzeitige Haftentlassung zu begleiten.
“Ein Mensch bleibt ein Mensch“
Laut La Dernière Heure könnte Michelle Martin schon heute in ihre neue Bleibe im Klarissenkloster einziehen. Im Internet wird zu einer neuen Protestaktion aufgerufen, die am Samstag stattfinden könnte. Das Blatt zitiert, wie im übrigen auch Het Laatste Nieuws, den Lütticher Bischof Aloys Jousten, der in einem BRF-Interview erklärte, dass die Klarissenschwestern von Malonne hier eine durch und durch christliche Haltung an den Tag legen würden. Ein Mensch bleibe immer noch ein Mensch.
Auch Het Laatste Nieuws nimmt die Klosterschwestern in Schutz. Es ist, so stellt das Blatt fest, der Gipfel der Scheinheiligkeit, wenn die Politik und die Opfer und die Justiz den Nonnen schamlos alle Schuld in die Schuhe schieben. Die entscheidenden Systemfehler liegen anderswo, nämlich in den Gesetzen.
Justiz auf dem Prüfstand
"Martin wird aber erst in zehn Jahren wirklich frei sein, wenn sie 62 Jahre alt ist", schreibt l'Avenir auf seiner Titelseite. In den nächsten zehn Jahren wird sie regelmäßig von einem Bewährungshelfer überprüft. Sie darf die Provinzen Lüttich und Luxemburg nicht betreten, sie darf keinen Kontakt mit den Medien aufnehmen, sie muss ihre Therapie fortsetzen und sie muss die Opfer entschädigen.
Die Justiz muss die Einhaltung dieser Auflagen aber peinlichst genau überprüfen, meint l'Avenir in seinem Kommentar. Wer wirklich an die soziale Wiedereingliederung eines Häftlings glaubt, der muss diese auch begleiten. Für die Justiz geht es hier um Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in diese zentrale Einrichtung unserer Demokratie ist auf dem Nullpunkt. Die Justiz hat hier ein existenzielles Interesse daran, keine Fehler zu machen. Und wenn es Fehler gibt, dann muss die Justiz damit rechnen, dass man ihr den Prozess macht.
Dutroux emotionslos - Angehörige resigniert
Unterdessen hat Het Nieuwsblad in Erfahrung gebracht, wie Marc Dutroux höchstpersönlich über die ganze Geschichte denkt. "Marc Dutroux zeigt sich emotionslos angesichts der vorzeitigen Haftentlassung seiner Ex-Frau“, so die Schlagzeile auf Seite eins. Die Zeitung hat mit dem Anwalt von Dutroux gesprochen. Und der gibt an, dass Dutroux die Sache zwar im Fernsehen verfolgt, darüber aber nicht sprechen wolle. Das Ganze lasse Dutroux kalt, so der Anwalt.
Die Angehörigen der Dutroux-Opfer scheinen sich ihrerseits mit der vorzeitigen Haftentlassung von Michelle Martin abgefunden zu haben. “Wir haben alles getan“, zitiert Gazet van Antwerpen Jean Lambrecks, den Vater der getöteten Eefje. Paul Marchal, der Vater der von Dutroux ermordeten An denkt derweil an eine "Rückkehr in die Politik", wie Het Belang Van Limburg berichtet. Nur so könne man etwas verändern, sagt Paul Marchal.
Wie Le Soir berichtet, will Jean-Denis Lejeune, der Vater der toten Julie, einen Offenen Brief an Michelle Martin richten: Wenn sie wirklich geläutert sei, dann sollte sie die Wahrheit sagen, meint Lejeune, dann sollte sie erklären, wie genau seine Tochter ihr Leben verloren hat.
Das Licht bleibt an
“Keine Blackouts im Winter“, so eine Schlagzeile in fast allen Zeitungen. “Kein Grund zur Panik“, notiert La Libre Belgique. Und "die Regierung schließt jede Strompreiserhöhung aus", schreibt L'Echo. Hintergrund dieser Meldungen sind die Probleme in zwei Kernreaktoren, die deshalb heruntergefahren wurden. Dafür werde aber auch im Winter das Licht nicht ausgehen, versichert die Regierung.
“Wir sind gerettet“, meint dazu leicht ironisch Het Belang van Limburg. Es droht kein nuklearer Supergau und die Stromversorgung ist gewährleistet. Schön und gut, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Belgien ein langfristiges Energiekonzept braucht. Und möglicherweise muss die Regierung auch ihre Pläne in Sachen Atomausstieg überdenken, sind sich La Libre Belgique und Gazet van Antwerpen einig. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass man am ursprünglichen Ausstiegsszenario festhalten kann, wenn Doel 3 und Tihange 2 gegebenenfalls stillgelegt werden müssen.
Aber eins muss klar sein, macht Het Laatste Nieuws deutlich: Kernenergie gehört der Vergangenheit an. Und das wird unser Leben verändern. Unsere Häuser und Wohnungen werden bald anders aussehen müssen: Bessere Isolierung, Sonnenpaneele, Passivhausstandards. Und es ist Aufgabe der regionalen und föderalen Behörden, diesen Weg vorzubereiten.
Bild: Georges Gobet (belga)