"Bei der PS beginnt das Stühlerücken", titelt die Brüsseler Zeitung "Le Soir". "Charleroi: die mutige, aber gefährliche Wahl von Paul Magnette", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
Der Föderalminister Paul Magnette hat sich entschieden: er will Bürgermeister von Charleroi werden, das heißt: wenn der Wähler es denn will.
Das würde also bedeuten, dass der PS-Politiker sein Ministeramt in der Föderalregierung aufgeben würde. Magnette ist derzeit Minister für Staatsbetriebe. Und damit wird innerhalb der PS eine virtuelle Rochade in Gang gesetzt, glaubt Le Soir.
Laurette Onkelinx könnte demnach den Vorsitz der PS übernehmen, Rudi Demotte könnte Vize-Premier werden, ersetzt würde er an der Spitze der wallonischen Regierung durch Jean-Claude Marcourt - so zumindest die Planspiele in Le Soir. La Libre Belgique hält aber genau diese Variante für "wenig wahrscheinlich".
Magnette beweist (endlich) Mut
Viele Leitartikel sind voll des Lobes für die klare Positionierung von Paul Magnette. Der Politiker war ja erst 2007 quasi aus dem Nichts zur Lichtgestalt der PS aufgestiegen. Bislang hatte er aber viele Beobachter enttäuscht, analysiert La Dernière Heure. Er kam einfach zu vorsichtig daher, wollte offenkundig keine Risiken eingehen. Das galt bislang auch für ein mögliches Engagement in Charleroi: Magnette zögerte, sich in die Arena zu begeben. Insofern ist seine Ankündigung, sich nunmehr auf Charleroi zu konzentrieren, eine angenehme Überraschung. Für die größte Stadt der Wallonie ist das eine symbolträchtige Geste. Irgendwie erinnert das an den Werdegang eines gewissen Elio Di Rupo.
Bislang hat sich Magnette hinter einem diensttuenden Bürgermeister versteckt. Und man hätte gedacht, dass es dabei bleibt, meint Le Soir. Insofern muss man Magnette fast schon dankbar sein, dass er jetzt klar Farbe bekennt. Er spielt keine politischen Spielchen, und das muss hervorgehoben werden. Für das Amt des Bürgermeisters von Charleroi zu kandidieren, dazu gehört Mut. Die Herausforderungen sind gigantisch. Bilanz gezogen wird 2018, unter der Voraussetzung, dass Magnette jetzt so lange bleibt. Ansonsten wäre es doch wieder so ein politisches Kalkül.
En avant, Charleroi!
Auch die flämischen Zeitungen befassen sich mit der Entscheidung des Paul Magnette. Charleroi ist grau, es herrschen Trost- und Perspektivlosigkeit, so Het Laatste Nieuws. Zudem sind die politischen Skandale noch nicht verarbeitet. Genau deshalb braucht Charleroi einen starken Mann. Jemanden mit Intelligenz und Charisma. Jemanden, der auch einflussreich genug ist, um Unterstützungsgelder nach Charleroi zu schleusen. Paul Magnette vereint diese Qualitäten. “En avant, Charleroi“ - Vorwärts, so der Appell von Het Laatste Nieuws.
Dass sich Magnette für Charleroi entscheidet, war alles andere als absehbar, meint auch De Standaard. Und sein Schicksal wird richtungsweisend sein. Entweder, unter dem voraussichtlichen Bürgermeister Paul Magnette gelingt die politische Erneuerung. Oder eben selbst ein Mann mit einem solchen Profil beißt sich an den alten Strukturen die Zähne aus. In beiden Fällen hätte das Auswirkungen weit über Charleroi hinaus.
Atomare Amnesie
"Die Risse in Doel 3 sind bekannt seit 1979", titelt derweil in großen Blockbuchstaben De Morgen. Der Reaktor Doel 3 ist stillgelegt, nachdem Kontrolleure der föderalen Agentur für Nuklearkontrolle Materialschwächen im Reaktorbehälter festgestellt hatten. Nur hätte man dafür keine modernen Ultraschallmessungen gebraucht, schreibt De Morgen, und zeigt den Beweis: Zeitungsausschnitte aus dem Jahr 1979, wo schon von Rissen in der Reaktorwand die Rede ist. Das Pikante: Willy De Roovere, der Generaldirektor der Föderalen Agentur für Nuklearkontrolle, kann sich nach eigenen Angaben “nur flüchtig“ an diesen Vorgang erinnern. Dabei war es eben dieser Willy De Roovere, der seinerzeit für Electrabel den Bau und die Inbetriebnahme von Doel 3 geleitet hatte.
Es wird offensichtlich Zeit, dass auch mal Belgien Besuch von internationalen Atomkontrolleuren bekommt, meint De Morgen in seinem Leitartikel. Der Gedächtnisverlust von De Roovere kommt zudem zu einem verdächtigen Zeitpunkt, nämlich ausgerechnet jetzt, wo die Zukunft der Atomenergie in Belgien zur Disposition steht. Die plötzliche Abschaltung von Doel 3 und Tihange 2 macht in jedem Fall auf die prekäre Versorgungslage aufmerksam. Und damit wären wir wieder bei einer Paradedisziplin von Electrabel: Erpressung.
Teure Überwachung
“30 Polizisten, um Michelle Martin zu bewachen“, so indes die Aufmachergeschichte von Het Laatste Nieuws. Diese Beamten sollen also rund um die Uhr abgestellt werden, um das Kloster von Malonne zu schützen. Das wird den Staat 4.000 Euro pro Tag kosten, 120.000 pro Monat.
Viele Zeitungen berichten heute auch über das tragische Unglück auf dem Militärgelände von Houthalen-Helchteren. Bei der Explosion von Schießpulver sind sieben Soldaten schwer verletzt worden. Einer von ihnen ist inzwischen seinen Verletzungen erlegen. “Verbrannt bei Routinearbeit“, titelt Het Nieuwsblad. “Verheerende Stichflamme“, so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
Am Abgrund
“Das Defizit bei der SNCB erreicht vier Milliarden Euro“, schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. Die SNCB steht damit am Abgrund. Gazet van Antwerpen widmet der Situation bei der Staatsbahn ihren Leitartikel. Die SNCB ist ein Fass ohne Boden. Jedes Jahr pumpt der Staat drei Milliarden Euro in das Unternehmen. Und was bekommt der Steuerzahler als Gegenleistung? Dürftige Qualität, eimerweise Frust. Die geplante Umstrukturierung muss nun schnellstens zu Ende gebracht werden.
Das Grenz-Echo schließlich befasst sich mit der Lage beim BRF, wo vier Mitarbeiter entlassen werden. Bei der Ursachenforschung rückt die Rolle des BRF-Verwaltungsrates in den Mittelpunkt, meint das Blatt in seinem Kommentar. In den letzten zwei Jahren war das Gremium stärker gefordert als zuvor, es war dieser Rolle aber offensichtlich nicht gewachsen. Die Zeche zahlen müssen vier Mitarbeiter. Beim BRF geht es jetzt an die Substanz.
dpa - Bild: Anthony Dehez (belga)