36,9. Diese Zahl prangt heute auf zahlreichen Titelseiten. 36,9, das ist die Temperatur, die gestern im limburgischen Kleine Brogel gemessen wurde.
“Es war der wärmste Tag des Jahres“, bemerkt Het Laatste Nieuws, wobei: Es ist kein Rekord, wie unter anderem Het Belang Van Limburg, Gazet Van Antwerpen und das Grenz-Echo festhalten. Der alte Rekord liegt bei 37,4 Grad in Uccle und stammt aus dem Jahr 1947.
“Weißer Marsch im Kleinformat“
Zweites großes Thema auf den Titelseiten ist die gestrige Kundgebung in Brüssel. Dabei haben rund 5.000 Menschen unter anderem für eine Reform der Politik der vorzeitigen Haftentlassung demonstriert. Aber nicht nur das: “5.000 Demonstranten gegen die Freilassung von Michelle Martin“, so etwa die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. Aufgerufen zu der Kundgebung hatten Jean-Denis Lejeune, der Vater der von Dutroux entführten und getöteten Julie, sowie Paul Marchal, der Vater der toten An. Angeschlossen hatte sich auch Laetitia Delhez, die ihre Gefangenschaft in Dutroux' Keller überlebte.
5.000 Teilnehmer, das ist viel und nicht viel. “Es war der Weiße Marsch in Kleinformat“, bemerkt etwa Le Soir. 5.000 Teilnehmer, das reicht aber, um sich Gehör zu verschaffen. “Die Botschaft ist angekommen“, zeigt sich Jean-Denis Lejeune in La Dernière Heure überzeugt. "Immer noch Wut und Emotionen", bemerkt Le Soir auf Seite eins. “Hass und Rachsucht haben mitgeschwungen“, stellt auch La Libre Belgique fest. Tatsächlich haben zahlreiche Demonstranten ihrem Ärger freien Lauf gelassen: zu hören waren etwa die Forderung nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe oder auch Aufrufe zur Lynchjustiz.
Genau deswegen hinterlässt die Demo von Jean-Denis Lejeune denn auch beim neutralen Beobachter ein eher mulmiges Gefühl, meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Es fehlte ein klares Motto für die Kundgebung. Und das hat dazu geführt, dass jeder Einzelne mit seinen teilweise extremen Forderungen nach Brüssel gekommen war. Man hat das Recht, Michelle Martin zu verabscheuen. Und auch die Gefühle der Dutroux-Opfer sind nachvollziehbar. Dennoch: Es liegt nicht an der Straße, zu entscheiden, wer wann aus dem Gefängnis kommt. Die Justiz wendet dieselben Gesetze für alle an. Selbst, wenn es sich dabei um Michelle Martin handelt.
Gazet van Antwerpen hat Verständnis für die Forderungen der Demonstranten. Das Unverständnis und die Wut über die mögliche, vorzeitige Haftentlassung von Michelle Martin sind nachvollziehbar. Und da sollte man sich nicht von der relativ geringen Teilnehmerzahl blenden lassen: Die Kritik an der Entscheidung geht quer durch die Gesellschaft. Ob wohl auch die Klarissen von Malonne unter dem Eindruck der Kundgebung stehen, ob sie möglicherweise sogar ihre Entscheidung überdenken, Michelle Martin aufzunehmen, ist allerdings eher zweifelhaft.
Die Kundgebung war ein Ventil, analysiert Het Nieuwsblad. Sie war eine Möglichkeit, Frust abzulassen, weniger eine Anklage. Insofern ist die Kundgebung von gestern auch nicht mit dem Weißen Marsch vor 16 Jahren vergleichbar. Damals richtete sich die Wut gegen die Justiz in ihrer Gesamtheit. Heute steht eher die Art und Weise, wie Entscheidungen zustande kommen, im Fokus. Mit dieser Kritik kann man noch einigermaßen umgehen.
Kritik an Justiz und Politik
Es gibt einen zentralen Vorwurf, den man der Justiz im vorliegenden Fall machen muss, glaubt De Morgen. Man hat die Angehörigen und die Opfer von Marc Dutroux und Michelle Martin vor vollendete Tatsachen gestellt. Nicht die mögliche vorzeitige Haftentlassung von Michelle Martin ist das Problem, sondern die Tatsache, dass die Opfer nicht begleitet wurden. In jedem Fall ist es tragisch, dass sich die Opfer und Angehörigen 16 Jahre nach dem Weißen Marsch wieder an die Spitze einer Kundgebung stellen mussten.
Het Laatste Nieuws widmet der Angelegenheit einen giftigen Leitartikel. Man wäre gut beraten, die Kundgebung ernst zu nehmen. Man darf davon ausgehen, dass die Demonstranten Millionen von Belgiern aus der Seele sprechen. Die Politik übt sich hier aber in Opportunismus: Justizministerin Annemie Turtelboom und auch Premierminister Elio di Rupo wollen, beziehungsweise haben schon die Organisatoren empfangen. Damit distanzieren sie sich von der Justiz, vergessen aber dabei, dass ihre Parteien schon seit 1998 in jeder Regierung gesessen haben. Es ist längst überfällig, dass der Strafvollzug insgesamt verschärft wird. Und dass es nicht am Ende von der Barmherzigkeit weltfremder Klosterschwestern abhängt, dass eine Frau wie Michelle Martin freikommt.
Heißer Herbst
"Die Strompreise dürfen in keinem Fall ansteigen", titelt derweil De Standaard. Das zumindest ist die Forderung von SP.A-Vizepremier Johan Vande Lanotte. Hintergrund: die Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 sind heruntergefahren worden wegen technischer Probleme. Das dürfe aber nicht zur Ausrede werden, um die Preise anzuheben, fordert Vande Lanotte. Kommentierend meint De Standaard dazu: So langsam aber sicher neigt sich die Sommerpause dem Ende zu. Und es gibt viel zu tun. Die Konjunktur ist ins Stocken geraten, da ist die Aussicht auf eine Energiekrise obendrauf nicht gerade erbaulich. In der Eurozone hat derweil schon wieder der Poker um Griechenland begonnen. Kein Zweifel: Es wird ein heißer Herbst.
Pukkelpop - Ein Jahr danach
Viele Blätter ziehen auch eine Bilanz des Pukkelpop-Festivals im "Jahr 1" nach dem verheerenden Unwetter mit fünf Toten. "Pukkelpop hat wieder eine Zukunft“, so das Fazit auf Seite eins von De Morgen. Pukkelpop hat gelitten, getrauert, aber auch getröstet, schreibt das Blatt. Und jetzt steht das Festival wohl stärker da als je zuvor.
Het Belang van Limburg hebt in seinem Leitartikel vor allem die Schweigeminute hervor, die am Samstag exakt ein Jahr nach der Katastrophe abgehalten wurde. Normalerweise ist es so: Wer Ruhe sucht, der ist auf dem Pukkelpop-Festival fehl am Platz. Um Punkt 18.10 Uhr aber hielten 66.000 Menschen mit einem Mal den Mund, Bands hörten auf zu spielen. Man hörte nur noch die Diesel-Generatoren. Es war eine ohrenbetäubende Stille.
Bild: Kristof Debecker (belga)