Geprägt sind die Titelseiten heute von Fotos, die - emotional betrachtet - widersprüchlicher nicht sein könnten: Auf der einen Seite Fotostrecken von der Trauerfeier für Michel Daerden, auf der anderen Seite Bilder von der Rückkehr der belgischen Athleten aus London. Vor allem die flämischen Zeitungen beschäftigen sich heute mit neuen Missbrauchsvorwürfen gegen den früheren Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe. Und im Mittelpunkt der Leitartikel steht derweil die jüngste Kritik an Nationalbankchef Luc Coene, der in einem Zeitungsinterview vor einer neuen Rezession gewarnt hatte.
“Letzte Ehre für Michel Daerden“, titelt heute L’Avenir. “Ein letzter Gruß an Michel Daerden“, so die Bildüberschrift auf Seite eins von De Morgen. “Adieu dem König von Ans“, so die Schlagzeile von La Dernière Heure. Fast alle Zeitungen bringen heute Fotostrecken von der Trauerfeier für Michel Daerden gestern in Robermont. Dort haben die Familie, Freunde und politische Weggefährten Abschied genommen von Michel Daerden. “Sie haben Papa Adieu gesagt“, bringt es La Dernière Heure auf den Punkt.
Auf vielen Titelseiten prangen heute auch Fotos von der Rückkehr der belgischen Athleten aus London. Neben einigen Hundert Fans und Freunden war auch Premier Di Rupo gekommen, um die Sportler willkommen zu heißen: "Zurück zuhause", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. La Libre Belgique blickt schon nach vorn: "Vier Jahre Zeit, um es besser zu machen in Rio", titelt das Blatt.
Neue Vorwürfe gegen Vangheluwe
Das große Thema in Flandern ist aber eine neue Klage gegen den früheren Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe. Gleich vier Zeitungen machen mit der Geschichte auf: die beiden Massenblätter Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad und auch Het Belang van Limburg und Gazet van Antwerpen. Sie alle berufen sich auf die Wochenzeitschrift Humo. Demnach soll ein etwa 30-jähriger Mann in den 90ern von Roger Vangheluwe sexuell missbraucht worden sein. Das Opfer lebte damals in einem Waisenhaus im westflämischen Loker. Der Mann sitzt derzeit im Gefängnis. Er soll unter schweren psychischen Störungen leiden, die eine Folge des Missbrauchs sein könnten. Der frühere Bischof hatte bereits zugegeben, zwei seiner Neffen sexuell missbraucht zu haben.
Radioaktiven Müll “liegen gelassen“
Anderes großes Thema ist ein radioaktives Problem in Fleurus bei Charleroi. “Unternehmen lässt nuklearen Abfall zurück“, titeln fast gleichlautend De Standaard und Le Soir. Hintergrund: Das Unternehmen Best Medical Belgium (BMB) wurde im Mai dieses Jahres für zahlungsunfähig erklärt und musste schließen. Im Juli führten Kontrolleure der föderalen Agentur für Nuklearkontrolle eine Überprüfung der Räumlichkeiten durch. Dabei bot sich ihnen ein chaotisches Bild. Das Gebäude war in einem schlechten Zustand. Aber schlimmer noch: Die Firma, die radioaktive Elemente für den medizinischen Gebrauch nutzbar machte, hatte ihren Müll einfach zurückgelassen. Hier geht es - wie ein Foto auf Seite eins von De Standaard zeigt - um buchstäblich “säckeweise“ schwach radioaktiven Abfall.
“Haarsträubend“
Beiden Geschichten - also den neuen Vorwürfen gegen Vangheluwe und den Vorfällen in Fleurus - widmet De Standaard seinen Leitartikel. Beide Akten sind haarsträubend, meint das Blatt. Zwar fehlen noch die Einzelheiten. Aber eins ist sicher: In beiden Fällen muss schnell und hart durchgegriffen werden. Der Missbrauch von Minderjährigen kann niemals als Ausdruck eines gewissen Zeitgeistes betrachtet werden. Derlei Fälle gehören strengstens bestraft, erst recht, wenn die Taten von religiösen oder anderen Aufsichtspersonen verübt wurden. Und zum Thema Fleurus: Hier scheint es wohl unglaubliche Nachlässigkeiten gegeben zu haben. Die Direktion ist verschwunden, und radioaktiver Müll liegt unbeaufsichtigt in einer Firmenhalle herum. Dieser Vorgang gehört eingehend untersucht - auch die Rolle der Gewerkschaften und der wallonischen Behörden.
Das Chaos bei BMB kommt bestimmt nicht aus heiterem Himmel, stellt Le Soir fest. Schon seit einiger Zeit stellen insbesondere Anrainer bange Fragen über das, was sich möglicherweise in den verlassenen Räumlichkeiten noch befindet. Und bislang hat es immer geheißen: “Alles unter Kontrolle.“ Das erinnert verdächtig an die Kommunikation der Betreiber des japanischen Atomkraftwerks in Fukushima nach der Reaktorkatastrophe. Jetzt zeigt sich einmal mehr: In nuklearen Angelegenheiten gibt es keine totale Kontrolle.
Kritik an Luc Coene
“Luc Coene zieht die Kritik der Regierung auf sich“, schreibt derweil L'Echo auf Seite eins. Het Laatste Nieuws bezeichnet den Nationalbankchef als “den Mann, der nie seinen Mund halten kann“. Für De Morgen ist Coene “mehr Politiker als Banker“.
Coene hatte am Wochenende in einem Zeitungsinterview unter anderem vor einer drohenden Rezession gewarnt. Im zweiten Quartal sei die Wirtschaft um 0,6 Prozent geschrumpft, und auch im dritten Quartal werde ein negatives Wachstum erwartet. Damit hat Coene die politische Klasse kalt erwischt. Es sei doch nicht normal, dass er so etwas aus der Zeitung erfahren müsse, wurde etwa Vizepremierminister Johan Vande Lanotte zitiert.
Viele Zeitungen üben harsche Kritik am Vorgehen des Nationalbankchefs. Natürlich hat auch ein Luc Coene das Recht der freien Meinungsäußerung, meint etwa Het Belang van Limburg. Im vorliegenden Fall hätte Coene seine satanischen Verse aber besser den Regierungsmitgliedern unter vier Augen übermittelt. Wie steht Belgien denn jetzt da? Ein Land, in dem Regierung und Nationalbank über Kreuz liegen, hat nix zu gewinnen.
Ähnlich sieht das Gazet van Antwerpen. Angesicht der Chaoskommunikation der letzten Tage bleibt nur die Feststellung, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Nationalbank nachhaltig gestört ist. Luc Coene hält die Regierung zum x-ten Mal dazu an, die europäischen Haushaltsziele einzuhalten. Das sorgt langsam aber sicher für böses Blut.
Politisch motiviert oder unabhängig?
Das hat auch mit dem politischen Stempel des Herrn Coene zu tun, analysiert Het Laatste Nieuws. Der Mann ist insbesondere den Sozialisten in der Regierung zu “blau“. Nicht zu Unrecht. Denn Coene ist in der Tat eine politische Ernennung, war er doch früher der Kabinettchef des liberalen Premierministers Guy Verhofstadt. Das hat man jetzt davon, dass Belgien auf allen Ebenen politisiert ist. Am Ende vertraut keiner mehr keinem.
Einzig L'Echo nimmt Luc Coene in Schutz. Man sollte nicht auf den Überbringer der schlechten Nachricht schießen. Coene macht nur seinen Job. Hätte der Nationalbankchef rosige Zahlen bekanntgegeben, dann hätten wahrscheinlich alle Politiker applaudiert. Zum Glück haben wir einen unabhängigen Zentralbanker, der laut und deutlich das sagt, was die Politiker nicht zugeben wollen.
Kriminalitäts-Rangliste und peinliches Video
Le Soir bringt heute ein Kriminalitätsbarometer: "Die Hitparade der Gemeinden", so die Schlagzeile. Aus dieser etwas zweifelhaften Hitparade geht hervor, dass Brüssel immer noch auf Platz eins steht, vor der Brüsseler Gemeinde Saint-Gilles und der Stadt Lüttich. Zweite Feststellung: in vier von zehn Städten ist die Kriminalität rückläufig.
Fast alle Zeitungen berichten heute über ein peinliches Video, das im Internet aufgetaucht ist. Ein Video, “das die Nationallotterie in Verlegenheit bringt“, wie L’Avenir bemerkt. Zu sehen ist ein junges Mädchen, das an einem Promo-Stand der Nationallotterie ein Rubbellos kauft. Das Mädchen ist sichtbar minderjährig. Eben gegen den Verkauf von Glücksspielen an Minderjährige zieht die Nationallotterie derzeit zu Felde, indem Zeitschriftenläden oder Kioske mit Hilfe von Lockvögeln auf die Einhaltung der Regeln überprüft werden. Die Nationallotterie hält sich also nicht an ihre eigenen Regeln. “Die Nationallotterie ist in ihre eigene Falle getappt“, bringt es La Dernière Heure auf den Punkt.
Bild: Virginie Lefour (belga)