"Silber ist im Kasten, Gold im Visier", titelt heute De Morgen. "Wir sind wieder dabei", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad. "Und es wurde auch Zeit", fügt Het Nieuwsblad hinzu.
Belgien hat am Freitag bei den Olympischen Spielen seine zweite Medaille geholt. Der bis am Freitag völlig unbekannte Lionel Cox aus Lüttich gewann Silber im Schießen. Und damit hat er es nahezu auf alle Titelseiten geschafft. Die Medaille kommt buchstäblich aus heiterem Himmel. "Ich bin genauso überrascht wie ihr", zitiert ihn Gazet Van Antwerpen auf seiner Titelseite. Er selbst hatte London nur als Vorbereitung betrachtet; Ambitionen hatte er eigentlich erst mit Blick auf die Olympischen Spiele in Rio 2016. "Wir hatten nicht mal den Schampus kalt gestellt", zitiert Het Laatste Nieuws die Familie des Schützen.
Lionel wer? - Silber für Belgien
Lionel Cox ist ein reiner Amateur. Im normalen Leben arbeitet er bei der föderalen Arbeitsinspektion in Brüssel. Das Spezialgebiet des Beamten ist die Jagd auf Schwarzarbeiter in Metzgereibetrieben. Und jetzt wurde also über Nacht aus dem Beamten ein "bekannter Belgier", bemerkt De Morgen. Als bekannt wurde, dass er eine Medaille gewonnen hatte, war die allgemeine Reaktion: "Lionel wer?" Lionel Cox war vom belgischen Olympischen Komitee ursprünglich nachnominiert worden. Eigentlich hatte er sich nicht für Olympia qualifiziert. Le Soir bringt eine Fotostrecke mit dem Titel: "Wie aus einem anonymen Sportler innerhalb eines Tages eine olympische Attraktion wird".
"Der wahre Olympionike", meint denn auch De Morgen in seinem Kommentar. Karabinerschießen, das ist mit Sicherheit kein Sport, mit dem man die Mädels beeindruckt. Lionel Cox verdient unser aller Respekt. Im Gegensatz zu vielen seiner Konkurrenten ist er kein Profi. Und irgendwie klingt das schön, eine nette Geschichte eines Underdogs, der es - wie früher - für den Sport und nicht fürs Geld tut. Leider ist es eine Ausnahme. Die Zukunft des Sports liegt im Professionalismus.
Die Silbermedaille von Lionel Cox kommt ja nach einer langen Durststrecke. Die erste belgische Medaille gewann Charline Van Snick vor einer Woche im Judo. Doch könnte bald weiteres Edelmetall folgen: Im Segeln peilt Evi Van Acker Gold an. Und La Dernière Heure denkt auf seiner Titelseite auch noch an andere Medaillenkandidaten: Nach Lionel Cox sind nun die Borlée-Zwillinge an der Reihe, denen ja insbesondere im 400-Meter-Lauf reelle Chancen eingeräumt werden.
Grimmige Kundgebung in Malonne
Fast alle Zeitungen berichten heute über die Kundgebung in Malonne, wo rund 500 Menschen gegen die mögliche Freilassung von Michelle Martin protestiert haben. Die Stimmung war zeitweilig angespannt; "Es lag Strom in der Luft", umschreibt es L'Avenir. Für Frust sorgte demnach vor allem die Tatsache, dass die Demonstranten nicht zum Klarissenkloster vordringen konnten, in das sich Martin zurückziehen will. "Eine fast friedliche Kundgebung", nennt es denn auch La Libre Belgique. Es gab nämlich neben giftigen Schimpftiraden gegen Martin und die Justiz auch Rangeleien an den Absperrungen in Malonne. "Wir kommen wieder", geben denn auch einige Zeitungen den allgemeinen Tenor wieder. Und bei den Ordensschwestern geht nach einem Bericht von De Standaard inzwischen die Angst um.
"Die Demonstranten machen einen Fehler", meint dazu Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Die Klarissenschwestern sind zu Unrecht im Visier des Zorns. In dieser Geschichte gibt es nicht nur schwarz und weiß. Eine Sache muss man wohl festhalten: Die Justiz kommuniziert zu wenig. Zwar löst Kommunikation nicht alle Probleme. Aber in dieser Angelegenheit hätte man sich ein Wort der Erklärung gewünscht. Das nimmt möglicherweise auch denjenigen, die auf der Welle der Empörung surfen wollen, den Wind aus den Segeln.
Justiz in der Kritik
Im Fokus steht die Justiz aber in diesen Tagen nicht nur wegen der möglichen Freilassung von Michelle Martin. Für Polemik sorgt auch ein Vorfall Mitte der Woche in Vilvoorde. Dort hatten junge Männer erst drei Polizisten zusammengeschlagen, und dann eine Reihe von Autos demoliert; zwei von ihnen waren sogar bei der Herstellung von Molotow-Cocktails erwischt worden. Die Verdächtigen waren aber keine 24 Stunden später wieder auf freiem Fuß.
"Die Justiz macht derzeit keine gute Figur", meint dazu Gazet Van Antwerpen in ihrem Kommentar. Klar: Auf der einen Seite ist es absolut notwendig, dass die Justiz in aller Unabhängigkeit funktionieren kann. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich dafür in einem Elfenbeinturm einschließen muss. Dann drohen nämlich die Entscheidungen weltfremd zu geraten.
Keine Gemeinschaftspolitik, wo keine ist
Der Bürgermeister von Vilvoorde sah in dieser Angelegenheit sogar ein Problem mit einer gemeinschaftspolitischen Dimension. Freigelassen wurden die jungen Männer nämlich von einem frankophonen Untersuchungsrichter, weil sie ein Verfahren auf Französisch beantragt hatten. "Das ist Unsinn", sagt der Präsident des Brüsseler Erstinstanzgerichtes in der Zeitung La Libre Belgique. Ein Richter ist ein Richter. Die Rechtsgrundlage ist dieselbe. Das hat mit der Muttersprache des Magistraten überhaupt nichts zu tun.
"Das wahre Problem liegt anderswo", sagen auch Fachleute in De Standaard. Darin eine gemeinschaftspolitische Komponente zu sehen ist fehl am Platz. Grundproblem sind einzig die überfüllten Gefängnisse.
Kommentierend meint De Standaard dazu: In diesem Land ist jeder Anlass gut für gemeinschaftspolitische Zankereien. Man muss sich fast schon wundern, dass der belgieninterne Medaillenspiegel noch nicht thematisiert wird, denn hier steht es zurzeit 2:0 für die Frankophonen. In der Praxis jedenfalls funktioniert die Justiz - unabhängig von der Seite der Sprachgrenze - nahezu gleich. Das Problem ist anders gelagert: Im Funktionieren der Justiz hat sich de facto die Norm verschoben. Aber was in Gottes Namen ist "normal" an der Tatsache, dass Gefängnisstrafen unter drei Jahren nicht vollstreckt werden? Für viele dieser Abnormalitäten gibt es eine Erklärung. Das bedeutet aber immer noch nicht, dass das Volk Abnormalitäten am Ende normal finden muss.
De Standaard bringt heute ein Interview mit dem belgischen Wirtschaftswissenschaftler Peter Praet. Peter Praet ist kein geringerer als der Chefökonom der europäischen Zentralbank. Und der richtet eine deutliche Warnung an Belgien: "Es gibt keine Spielräume mehr". Belgien bleibt trotz positiver Wirtschafts- und Finanzdaten verletzbar. Das Land muss unbedingt strukturelle Reformen durchführen, angefangen bei einer Neuordnung des Staatsapparates.
"Femmes de la rue"
Le Soir befasst sich heute mit der Reportage über sexuelle Nötigung in den Straßen von Brüssel. Gedreht hat den Dokumentarfilm eine junge flämische Studentin. Sie ist durch die Straßen der Hauptstadt spaziert, und hat sich dabei mit versteckter Kamera filmen lassen, und damit eben dokumentiert, was sich Frauen da so mitunter anhören müssen. "Femmes de la rue", Frauen der Straße, so der Name des Films, ist inzwischen um die Welt gegangen; allein bei YouTube wurde er mehr als eine Million Mal angeklickt.
"Polizisten bekommen eine kleine Kamera", titelt heute Gazet Van Antwerpen. Das gilt aber erstmal nur in Mechelen; so soll also die Sicherheit der Beamten verbessert werden; die Kamera ist nicht größer als ein USB-Stick.
Fahnenstreik in Royompré
Het Belang Van Limburg schließlich hat sich heute in den Ardennen umgeschaut, genauer gesagt in Jalhay. Dort haben die Pfadfinder aus dem limburgischen Mopertingen ihr Lager aufgeschlagen. Da gibt es nur ein Problem: Die Pfadfinder dürfen nicht die flämische Fahne hissen. "Flattert nicht wenigstens die belgische Fahne daneben, dann wird ihnen der Strom abgestellt". Notfalls, so beklagen die Jugendlichen, wolle gar der Bauer aus dem Urlaub zurückkommen, um sie von seiner Wiese zu jagen.
Archivbild: Georges Gobet (belga)