Das Foto von Michelle Martin prangt heute auf allen Titelseiten. Die Ex-Frau und Komplizin von Kindermörder Marc Dutroux darf bald das Gefängnis unter Auflagen verlassen. "Viel zu früh", finden nicht nur die Opferfamilien, sondern auch zahlreiche Belgier. Ausnahmslos alle Zeitungskommentare sind dem Thema gewidmet.
"Die unmögliche Haftentlassung", titelt heute Le Soir auf Seite eins. La Dernière Heure spricht auf ihrer Titelseite sogar von einer "Schande".
Michelle Martin, die Ex-Frau und Komplizin von Kinderschänder Marc Dutroux wird vorzeitig aus der Haft entlassen. Nicht nur die Opferfamilien stehen unter Schock, so De Morgen, sondern halb Belgien. Auch wenn die Generalstaatsanwaltschaft Berufung gegen die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts von Mons eingelegt hat, in Kürze dürfte Martin nach 16 Jahren das Gefängnis unter Auflagen wieder verlassen.
"Die Grundsatzentscheidung ist gefallen", notiert Het Laatste Nieuws.
"Ein Monster kommt frei"
Gazet Van Antwerpen und La Dernière Heure befassen sich ausführlich mit den Reaktionen der Opfer und der Hinterbliebenen. "Ein Monster kommt bald frei", so die Schlagzeile. Paul Marchal, der Vater der getöteten An, spricht von einem "Skandal". Martin sei eine Mörderin, genauso schlimm wie Dutroux. Auch Jean-Denis Lejeune, der Vater der getöteten Julie, hält die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts für völlig falsch. Martin habe sich immer als Dutroux untergeworfen dargestellt, dabei war sie es, die die Kinder im Kellerverlies in Marcinelle hat sterben lassen.
Het Nieuwsblad bemerkt: Michelle Martin wird uns als das stille, blonde Monster in Erinnerung bleiben. Als die Komplizin von Kinderschänder Marc Dutroux, die ihren Ehemann schalten und walten gelassen hat - ohne ihn jemals zu verraten. Martin sitzt seit 1996 im Gefängnis. 2004 wurde sie in Arlon zu 30 Jahren Haft verurteilt wegen der Mittäterschaft bei der Entführung und der Freiheitsberaubung in sechs Fällen: Julie und Melissa, An und Eefje, die alle vier die Entführung nicht überlebten, sowie Sabine und Laetitia.
Bereits fünf Mal hat Martin einen Antrag auf frühzeitige Haftentlassung gestellt - jetzt wurde dem stattgegeben. Wie La Libre Belgique festhält, sorgt das Urteil landesweit für Wut, Empörung und Unverständnis. Für viele kommt die Entlassung aus dem Gefängnis zu früh. Die Dutroux-Affäre bleibt ein Verbrechen, das die belgische Gesellschaft nie verzeihen wird.
Martin wird in einem Kloster aufgenommen
Aufgenommen wird Michelle Martin nach ihrer Entlassung aus der Haft in einem Kloster in Malonne bei Namur. De Standaard veröffentlicht auf Seite eins das Erklärungsschreiben der Nonnen. Darin rechtfertigen sie die Aufnahme der verurteilten Straftäterin in ihre Gemäuer. Für so viel Zivilcourage und christliche Nächstenliebe ernten die Ordensschwestern von Malonne viel Respekt von der Zeitung.
Le Soir stellt sich die Frage, ob ausgerechnet ein Kloster der richtige Ort für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist. Abgeschnitten von der Außenwelt und geleitet von Frauen, die sich vor Jahren freiwillig aus der Gesellschaft zurückgezogen haben und am wahren Leben nicht teilhaben, das verschlägt einem die Sprache.
L'Avenir findet: Es gibt gute Gründe für und genauso viele Gründe gegen die frühzeitige Entlassung von Michelle Martin. Vergessen sollten wir allerdings nicht: Die Entscheidung wurde von einem Gericht gefällt. Und: Wir leben in einem Rechtsstaat. Die Gesetze sind für alle dieselben. Im Fall von Michelle Martin fällt uns das aber besonders schwer zu akzeptieren. Het Nieuwsblad fügt hinzu: Herz und Verstand prallen hier mit voller Wucht aufeinander.
Das Gesetz ist für alle gleich
Das Grenz-Echo kann die Entscheidung des Gerichts in Mons nachvollziehen. Er basiert auf dem Studium einer umfangreichen Akte. Wir kennen diese Akte nicht. Auch Michelle Martins Einstellung und Persönlichkeit sind Außenstehenden unbekannt. Wir müssen darauf vertrauen, dass das zuständige Gericht nach Abwägung aller Erkenntnisse zu dem richtigen Schluss gelangt ist.
Inzwischen ist auch die politische Debatte über die Verschärfung der frühzeitigen Haftentlassungen wieder losgetreten, berichtet L'Avenir. Fast alle Parteien fordern schärfere Regeln. Bereits im Koalitionsvertrag hatte sich die Regierung Di Rupo auf schärfere Maßnahmen verständigt, Justizministerin Annemie Turtelboom will das neue Gesetz bis zum Ende des Jahres im Parlament einbringen. Wiederholungstäter und Menschen, die zu 30 Jahren Haft verurteilt werden, müssen demnach mindestens Dreiviertel ihrer Haftstrafe absitzen. Bisher können sie schon nach einem Drittel der Haftzeit ihre vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis beantragen.
Gazet Van Antwerpen fragt sich: Warum ist dieses Gesetz nicht schon längst verabschiedet worden? Und warum muss immer etwas passieren, bevor die Politik reagiert?
Dutroux kommt nicht frei
Grundsätzlich sprechen sich fast alle Blätter für eine vorzeitige Freilassung von Strafgefangenen unter Auflagen aus. In erster Linie sollte der Strafvollzug die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft ermöglichen, notiert La Libre Belgique.
Übrigens, so fügt Het Nieuwsblad hinzu, für Marc Dutroux gilt das nicht. Der Kindermörder wurde zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Außerdem gilt für ihn zusätzlich eine zehnjährige Sicherheitsverwahrung. Dass Dutroux eines Tages das Gefängnis verlässt, ist damit so gut wie ausgeschlossen.
Bild: afp