Auf ausnahmslos allen Titelseiten prangt das Foto von Charline Van Snick, die am Samstag bei den Olympischen Spielen die erste Medaille für Belgien gewonnen hat. Anlass genug für einige Leitartikler, sich einmal mit dem Olympischen Geist zu beschäftigen. Doch stellt sich bei alldem auch noch eine andere Frage: Was ist mit Syrien?
"Fliegender Start für die Belgier bei den Olympischen Spielen", titelt Gazet Van Antwerpen. "Charline Van Snick sorgt für die erste belgische Medaille", titeln das Grenz-Echo und l'Avenir. "Charline Van Snick setzt den belgischen Medaillen-Zähler in Gang", so La Dernière Heure.
Die Judoka Charline Van Snick hat gleich zum Auftakt der Olympischen Spiele am Samstag in ihrer Gewichtsklasse die Bronzemedaille gewonnen. Damit hat es die Lütticherin, die bislang nur Insidern bekannt war, mit einem Mal auf ausnahmslos alle Titelseiten geschafft.
Charline Superstar
Genau das macht die Magie der Olympischen Spiele aus, meint dazu L'Avenir in seinem Leitartikel. Charline Van Snick ist quasi über Nacht in die belgische Sportgeschichte eingegangen. Ihre plötzliche Berühmtheit ist das beste Beispiel für die Aura der Olympischen Spiele. Hier werden sämtliche Sportarten für einen Moment lang auf ein Medienpodest gehoben. Plötzlich ertappt man sich dabei, zum ersten Mal in seinem Leben einen Judowettkampf oder ein Hockey-Match am Fernsehen zu verfolgen. Jeder sollte davon profitieren, es bleiben noch zwei Wochen.
Es war aber auch darüber hinaus ein "starker Start" für die belgischen Athleten, wie Het Laatste Nieuws in Blockbuchstaben hervorhebt. Denn die Medaille von Charline Van Snick ist nur die Spitze des Eisbergs: Ilse Heylen hat - ebenfalls im Judo - eine Medaille nur knapp verpasst. Die belgische 4x100 Meter-Freistilstaffel schaffte den Sprung ins Finale. Drei von vier belgischen Tennisspielern sind in der nächsten Runde, und im Kajak-Slalom ist Mathieu Doby mit einer starken Leistung im Halbfinale.
Genau hier zeigt sich der Olympische Geist, bemerkt De Standaard in seinem Leitartikel. Viele belgische Athleten tun das, was man von Spitzensportlern erwartet: Sie gehen an ihre Schmerzgrenze, sie wachsen über sich hinaus. Was motiviert diese Menschen, jeden Tag im örtlichen Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen? Warum nimmt man es in Kauf, immer wieder aufs Neue auf dem Tatami zu landen auf die Gefahr hin, dass man sich den Hals bricht? Abgesehen von wenigen Ausnahmen machen all diese Athleten das nicht fürs Geld. Was für ein Kontrast mit der belgischen Fußball-Liga, wo die Spieler vergleichsweise gut bezahlt, aber die Leistungen nicht entsprechend sind.
Olympische Wermutstropfen
Manche lassen jedoch den Olympischen Geist schmerzlich vermissen, beklagt Het Laatste Nieuws. Alexander Vinokourov etwa, der am Samstag die Goldmedaille im Straßenradrennen holte, hat jeglichen Sportgeist vermissen lassen. Es ist mehr als offensichtlich, dass ihm der zweitplatzierte Kolumbianer Uran den Vortritt gelassen hat. Vinokourov hat nicht nur Gold gewonnen, sondern wohl auch Silber bezahlt. Und das ausgerechnet in der Wiege des Fairplay. Das muss man sich trauen. Das zeigt: Auch die Olympischen Spiele bestehen zumindest zu einem gewissen Maß aus "schönem Schein".
Het Nieuwsblad ärgert sich seinerseits über die leeren Tribünen in London. Millionen Menschen wollten ein Ticket für die Olympischen Spiele ergattern und gingen leer aus. Jetzt müssen sie feststellen, dass viele Besucherränge peinlich leer sind. Schuld sind offenbar die Sponsoren und auch die Verbände, die ihre Kartenkontingente nicht unter die Leute gebracht haben. Das steht im schrillen Kontrast zum Straßenradrennen in den Straßen von London, wo mehr als eine Million Zuschauer die Strecke säumten. An der Ziellinie dann aber wieder: halbleere Tribünen.
Und Syrien?
"Zur gleichen Zeit in Syrien", so lautet dann aber die nachdenkliche Schlagzeile von La Libre Belgique. "Aleppo unter der Bedrohung von Assads Vergeltung", schreibt Le Soir: In der Stadt Aleppo im Norden Syriens tobt eine Schlacht zwischen Aufständischen und den Truppen von Präsident Assad. Beobachter befürchten ein Massaker in Aleppo.
In Syrien zählt man nicht die Stunden bis zum Abtritt von Assad, im Augenblick zählt man die Toten, beklagt La Libre Belgique. Sein Volk zu bombardieren, zu exekutieren, ins Exil zu zwingen, das hat nichts mehr mit Politik zu tun. Gibt es denn niemand im Umfeld des Präsidenten, der ihm einmal klar macht, dass er nie wieder die Macht erlangen wird?
Für Le Soir ist auch das Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft "himmelschreiend unverantwortlich". Warum konnte man der libyschen Zivilbevölkerung noch zu Hilfe eilen, während man seit 16 Monaten zuschaut, wie in Syrien die Menschen abgeschlachtet werden? Wenn die Demokratien in dieser Welt ihre moralischen Werte weiter hochhalten wollen, dann ist es ihre Pflicht, einer Bevölkerung zu helfen, die von einem gesetz- und skrupellosen Regime gemartert wird.
Fettnäpfchen-Könige
De Morgen befasst sich mit den jüngsten Ausrutschern des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Erst plauderte er aus dem Inhalt eines Gesprächs mit dem Direktor des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, dann zog er die Sicherheitsvorkehrungen bei den Olympischen Spielen in London in Zweifel. Beobachter halten Romney inzwischen für "noch schlimmer als die ohnehin schon schlimme Sarah Palin". Man muss sich doch die Frage stellen, warum die US-Republikaner offensichtlich nur noch Fettnäpfchen-Könige ins Rennen schicken können. Aber Vorsicht: Man muss nicht schlau sein, um gewählt zu werden, bester Beweis war George W. Bush.
Moules-Frites nach Horrorunfall
Ein Foto schließlich findet sich ebenfalls in fast allen Zeitungen: Es ist das Foto eines Autos, das fast vollkommen zerquetscht unter einem Zug liegt. Das Unglück ereignete sich in Schaerbeek. Der Fahrer hat offensichtlich die Bahnschranke umkurvt, bevor er von einem Zug erfasst wurde. Angesichts des Fotos ist es fast unglaublich, dass der Mann quasi unverletzt aus dem Frack geborgen werden konnte. Was Paul Van den Bosch direkt nach dem Unglück tat, steht in La Dernière Heure: Erstmal habe er Muscheln mit Fritten gegessen.
Bild: Eric Lalmand (belga)