"Ins Koma geschlagen, weil er Homo ist", titelt Het Nieuwsblad. "Zwei Brüder machen den ganzen Tag lang Jagd auf Homos", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. In Flandern erregt ein besonders spektakulärer Fall von homophober Gewalt enormes Aufsehen. Mittwochnacht ist ein 35-jähriger Mann in einem Café in Aalst brutal zusammengeschlagen worden. Laut Augenzeugen hat er niemanden provoziert. Vielmehr ging es offenbar ausschließlich darum, dass er homosexuell ist.
Brutaler Angriff auf Homosexuelle
Die Täter sind zwei Brüder. Und sie schlugen offenbar mit brutaler Gewalt auf das Opfer ein; mit allem, was sie in die Finger bekamen: Gläser, Stühle, ganze Tische. Das Opfer, Stefaan V., schwebte eine Zeitlang in Lebensgefahr. Die beiden Brüder verletzten in dem Café noch einen zweiten Mann. Beide Täter riskieren im Augenblick aber nur zwei Jahre Haft, schreibt Het Laatste Nieuws.
"Homophobe Gewalt soll schwerer bestraft werden", titeln aber gleich drei Zeitungen, De Standaard, Het Belang Van Limburg und Gazet Van Antwerpen. Die Regierung entscheidet heute über eine Erhöhung des Strafmaßes. "Bis zu lebenslanger Haft für Gewalt gegen Homos", titelt De Morgen. Lebenslang, das gilt für Mord oder Todschlag; "bloße" Gewalt gegen Menschen, nur weil sie homosexuell sind, darauf sollen künftig aber auch schon 30 Jahre Gefängnis stehen.
Het Nieuwsblad widmet dem Fall seinen Leitartikel. Das Monopol für homophobe Gewalt liegt längst nicht mehr ausschließlich bei muslimischen Jugendlichen, bemerkt das Blatt. Hier geht es nicht nur um kulturell oder religiös motivierte Vorurteile, sondern um Mentalitäten. Was in Aalst geschehen ist, und was auch häufig in Brüssel oder anderswo passiert, ist schlichtweg primitiv. Nicht die Schwulen und Lesben sind das Problem, sondern die Engstirnigkeit von Menschen, die nichts anderes können, als Gewalt anwenden. Kleingeistigkeit fordert Opfer.
"Alles in bester Ordnung, Majestät"
Im Mittelpunkt der Kommentare steht aber ganz klar die feierliche Unterzeichnung der Gesetze, die insbesondere die Spaltung von BHV beinhalten. Der König hatte dafür am Donnerstag sogar in den Palast geladen. Die frankophonen Blätter heben das historische Ereignis auch auf ihre Titelseiten hervor. Le Soir und La Libre Belgique bringen große Fotos, auf denen König Albert der Zweite und Premierminister Elio Di Rupo die Texte feierlich abzeichnen. Beide Blätter heben dieselbe Feststellung des Premiers hervor: "Alles in bester Ordnung, Majestät", schreibt La Libre. Im Gegensatz zur Situation vor genau einem Jahr, fügt Le Soir hinzu, als das Land am Rand des Abgrunds stand.
In seinem Leitartikel zeichnet Le Soir den zurückgelegten Weg nach: von einem Nationalfeiertag zum nächsten, und das ohne Fettnäpfchen, schreibt das Blatt. In einem Jahr hat sich viel getan. Am 20. Juli 2011 war das Land im Blindflug. Jetzt reiht die Regierung Ergebnisse aneinander. Ein Jahr später ist BHV gespalten, sind die Zinsen im Keller, sind wichtige Reformen angestoßen. Reicht das, um die Bürger zu überzeugen? Nicht sicher! Aber es gibt ohnehin nur diesen Weg.
La Libre Belgique blickt ihrerseits nach vorn. Wie mag es wohl IN einem Jahr aussehen? Eins ist sicher: Für Euphorie ist es noch zu früh. Und jeder Fauxpas bei der Staatsreform kann sich als fatal erweisen, da die Aasgeier der N-VA nur auf eine Gelegenheit warten, um sich auf die Leiche des Landes zu stürzen. Wir sollten ihnen nicht diesen Gefallen tun und vielmehr dafür sorgen, dass es dem Land beim nächsten Nationalfeiertag noch besser geht.
Alles ist Kommunikation
Die Regierung hatte jedenfalls am Donnerstag allen Grund zu lächeln, stellt De Morgen fest. Im Augenblick läuft alles wie auf Röllchen; der Regierung gelingt alles: Negative Zinsen, ein Haushalt, der in der Spur ist, BHV gespalten: Das sind doch tolle Neuigkeiten. Doch muss man ehrlich sein: Die Regierung hat unheimliches Glück gehabt. Die Krise kann auch in Belgien zu jeder Zeit voll zuschlagen. Indem die Regierung mit starken Aussagen Optimismus verbreitet, vermittelt sie ein falsches Gefühl von Sicherheit.
Genau mit dieser Kommunikationsstrategie befasst sich L'Avenir. Die feierliche Inszenierung der Unterschrift unter dem BHV-Abkommen, das war ja nur ein vorläufiger Höhepunkt. Premier Di Rupo wiederholt bei jeder Gelegenheit, wie gut es dem Land doch geht. Na ja, und zugegeben: Die Ergebnisse, die diese Equipe innerhalb eines Jahres erzielt hat, sind beeindruckend. Das scheint man auch in Flandern zu merken, wo sich der Ton der Leitartikler deutlich verändert hat. Das sind wohl die ersten Dividenden einer sehr effizienten Kommunikationskampagne.
Die Nagelprobe kommt in Herbst
Besagte flämische Leitartikler scheinen indes weiter hin und her zu schwanken. Auf der einen Seite sind da in der Tat beeindruckende Ergebnisse. Doch steht die Nagelprobe noch aus, analysiert etwa Het Belang Van Limburg. Ob es wirklich gemeinschaftspoltitischen Frieden geben wird, das entscheidet sich nach den Kommunalwahlen im Oktober. Sollte der Zirkus um etwaige nicht ernannte Bürgermeister im Brüsseler Rand wieder losgehen, dann ist es möglicherweise schnell um die gute Atmosphäre geschehen.
Gazet Van Antwerpen sieht dieselbe Gefahr. Es ist absolut nicht sicher, dass der gemeinschaftspoltitische Frieden jetzt garantiert ist. Im Herbst kann der Knatsch wieder losgehen und dann war die gestrige Show im Palast "für die Katz'".
"N-VA in der Defensive"
Über alldem hängt weiter der lange Schatten der N-VA. Es ist ja das erklärte Ziel der Mehrheitsparteien, die flämischen Nationalisten zu entzaubern, eben durch Erfolge wie BHV. Ob das gelingen wird, daran zweifeln die meisten Leitartikler. Wobei: Het Laatste Nieuws sieht die N-VA zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Höheflugs in der Defensive. Die Diskussion über die Aufnahme von ehemaligen Vlaams Belang-Mitgliedern ist der Partei entglitten. Es ist fast unbegreiflich, wie eine Partei mit einer solch ausgeklügelten Kommunikationsstrategie diese Gefahr nicht frühzeitig erkennen konnte, nämlich die einer Gleichsetzung mit dem Vlaams Belang. Man kann nämlich nicht Rechtsextreme ansprechen und gleichzeitig weiter Liberale und Christdemokraten umbuhlen wollen.
Archivbild: Nicolas Maeterlinck (belga)