"Merkel gibt nach", titelt heute De Standaard. "EU-Gipfel sorgt für Euphorie an den Finanzmärkten", so die Schlagzeile von Le Soir. "Die Hoffnung auf eine Beruhigung in der Schuldenkrise", beschwört L'Echo auf Seite eins.
Der Brüsseler EU-Gipfel hat überraschend konkrete Ergebnisse geliefert. Grob zusammengefasst sind künftig europäische Direkthilfen möglich und das sowohl für Banken als auch für ganze EU-Länder. Konkret soll der Eurorettungsschirm marode Banken unterstützen und auch Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen können; dies allerdings unter strengen Bedingungen.
EU-Gipfel mit überraschend positivem Ergebnis
Das ist faktisch der Beginn einer "Vergemeinschaftung der Schulden". Und genau das hatte Deutschland bislang kategorisch abgelehnt. "Am Ende hat Angela Merkel doch einen Kniefall gemacht für mehr Solidarität in Europa", bringt es De Standaard auf den Punkt. "Merkel musste sich dem Druck von Italien und Spanien beugen", notiert Het Laatste Nieuws. Beide Länder hatten ja beim EU-Gipfel ihre Kollegen quasi dazu genötigt, sich ihrer Probleme anzunehmen, indem sie ihre Unterschrift unter dem geplanten Wachstumspakt zunächst verweigerten.
Am Freitagmorgen um 4 Uhr 30 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone dann auf eine Lockerung der Regeln für den Eurorettungsschirm. Spanien und Italien hatten sich mit ihrer Forderung nach Sofortmaßnahmen durchgesetzt, schreibt Le Soir.
Angesichts des überraschenden Gipfelausgangs sind viele Leitartikler verhalten optimistisch. Wir wollen uns erstmal nicht die Freude vergällen lassen, notiert etwa Le Soir. Vielleicht ist es ja naiv, aber erstmal wird man sich doch noch über die positiven Ergebnisse des Gipfels freuen dürfen. Direkthilfen für Banken und Staaten: Das ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings: Europa hat sich allenfalls Zeit gekauft, noch nicht den Frieden.
Ähnlich sieht das La Libre Belgique. Man hat das absolute Krisenszenario erstmal verhindert, nämlich das Risiko eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone. Für Freudentaumel ist es aber zu früh. Unter der Oberfläche schwelt der Brand weiter. Europa muss die wirtschaftliche und haushaltspolitische Integration weiter vorantreiben. Ansonsten wird sich die Geschichte schnell wiederholen. Beängstigend dabei ist die Angewohnheit Europas, immer erst dann über sich hinauszuwachsen, wenn man am Abgrund steht.
… Doch warum erst jetzt?
Genau vor diesem Hintergrund stellt sich De Standaard die Frage, ob man sich jetzt freuen soll oder doch verärgert sein muss. Die Gipfelergebnisse sind zweifelsohne bemerkenswert. Doch lässt das Krisenmanagement zu wünschen übrig. Warum etwa hat niemand die Katastrophe in Spanien kommen sehen? Warum hat Europa in einer ersten Phase einen Rettungsplan für Spanien ausbaldowert, der sichtbar auf Sand gebaut war. Wenn die EU jetzt Entscheidungen trifft, die vor drei Wochen noch undenkbar waren, dann hat das möglicherweise wenig mit europäischem Gemeinsinn zu tun; dann kann man das auch anders verstehen, nach dem Motto: Die Lage muss wirklich extrem ernst gewesen sein. Europa hat sich die Krise durch ihre "zu wenig, zu spät-Attitüde" selbst eingebrockt.
Ähnlich sieht das Gazet van Antwerpen. Hätte es die Entscheidungen, die am Freitag auf Messers Schneide getroffen wurden, drei Jahre früher gegeben, wäre uns die Existenzkrise erspart geblieben. Am Ende hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht weniger als 20 Gipfeltreffen nötig, um Beschlüsse zu fassen, die allenfalls ein Anfang sein können.
Merkels "starke Geste"
Einige Leitartikler beleuchten dabei insbesondere die Rolle der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. L'Echo bescheinigt ihr eine "starke Geste". Durch ihr Einlenken hat die deutsche Bundeskanzlerin in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass der Druck erstmal abgefallen ist. Merkel hat wohl einsehen müssen, dass jedes weitere Zögern die Lage nur noch schwieriger gemacht hätte. Am Ende drohte gar eine unkontrollierbare Eskalation. Merkel hat Brüssel aber nicht mit leeren Händen verlassen. Gegenleistung für die Direkthilfen für Banken und Staaten wird eine nochmal verstärkte Kontrolle sein.
L'Avenir kann es sich nicht verkneifen, einen Vergleich mit dem Fußball anzustellen. Man muss offensichtlich mit völlig unerwarteten Wendungen rechnen, wenn Italien einmal zum Angriff übergeht, frotzelt das Blatt. Für Angela Merkel jedenfalls muss es ein unschöner Abend gewesen sein: Erst verlor Deutschland gegen Italien bei der EM nach zwei Toren eines gewissen Mario Balotelli; und dann zwang ein anderer Mario, nämlich Italiens Premier Mario Monti, die Kanzlerin dazu, ihren Kurs zu wechseln. Die Super-Marios haben dafür gesorgt, dass sich der Schwerpunkt Europas etwas weiter nach Süden verlagert hat, jedenfalls weg von Berlin.
Wie dem auch sei: Merkel wird die Brüsseler Gipfelbeschlüsse jetzt zuhause verkaufen müssen, bemerkt Het Laatste Nieuws. Mit dem gnadenlosen Sparkurs ist jetzt Schluss. Die Kanzlerin hat Wasser in ihrem Wein gießen müssen. Dass sie das tatsächlich getan hat, spricht aber für sie. Das zeigt, dass sie die veränderte Realität in der EU schnell zur Kenntnis genommen und verarbeitet hat.
"Di Rupo boxt über seiner Gewichtsklasse"
Auch in der Titelgeschichte von De Morgen geht es um den EU-Gipfel; genauer gesagt um den dortigen Auftritt von Premier Elio Di Rupo. Anscheinend hat Di Rupo die EU-Kommission heftig kritisiert, insbesondere die Empfehlungen, die die Kommission den einzelnen Ländern gemacht hat. Di Rupo muss da dermaßen harte Worte gefunden haben, dass viele Kollegen nur noch mit dem Kopf geschüttelt haben. "Der Auftritt von Di Rupo sorgt für Ärger", titelt denn auch De Morgen. In seinem Leitartikel kann das Blatt den Regierungschef nur warnen. Ein Land wie Belgien sollte es vermeiden, über seiner Gewichtsklasse zu boxen. Bislang hatten es die Belgier immer verstanden, ihren zweifelsohne großen Einfluss im Hintergrund, hinter den Kulissen zum Tragen zu bringen. Für ein kleines Land hängt viel von der Art und Weise ab, wie es auftritt. Showeinlagen haben noch nie etwas gebracht; allein das Ergebnis zählt.
Internet-Pranger
Vor allem in Flandern schlägt eine spektakuläre Mobbing-Geschichte hohe Wellen. Eine Mutter hatte auf ihrer Facebook-Seite einen Internetfilm veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie ihre Tochter von Mitschülern malträtiert wird. Pikanterweise waren es eben jene Mädchen, die die Tochter gequält hatten, die die Bilder aufgenommen und ursprünglich ins Netz gestellt hatten. Durch die Veröffentlichung auf der Facebook-Seite der Mutter bekam die Geschichte dann aber eine neue Dimension. "Jetzt will die Justiz gegen die Täter ermitteln", titelt etwa Het Nieuwsblad. "Das mobbende Mädchen bittet um Entschuldigung", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Für eben diese Täter hat sich die Geschichte im Übrigen als Rohrkrepierer erwiesen: Jetzt sind sie es, die im Internet mit Hassbotschaften überschüttet werden.
Het Nieuwsblad macht die ganze Sache Angst. Natürlich ist jede Art von Mobbing inakzeptabel, doch ist diese Geschichte vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Das Internet entwickelt sich mehr und mehr zum Schandpfahl, zum Pranger. Im Cyberspace lassen sich aber keine Probleme lösen. Am Ende sind alle Verlierer.
"Schicke" Wallonie freut sich auf die Tour de France
Viele Blätter schließlich blicken auf den Auftakt der Tour de France heute in Lüttich: "Erster Tritt in die Pedale in Lüttich, und die Wallonie hat sich schick gemacht", so die Schlagzeile von L'Avenir; "Die Tour-Begeisterung erfasst Belgien", schreibt La Dernière Heure.
Bild: Adam Berry (afp)