Die Zeitungen waren ohnehin schon gedruckt, als es beim Brüsseler EU-Gipfel den möglicherweise entscheidenden Durchbruch gab. Weitere Blickfänger sind der italienische Sieg bei der Fußball-EM und das Werchter-Rockfestival.
"Der Index setzt die Mehrheit unter Druck", titelt heute Le Soir. "Index - Die Diskussion ist neu entfacht und die PS sträubt sich", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. Zwar findet in Brüssel ein neuer, im Vorfeld als "entscheidend" bezeichneter EU-Gipfel statt. Überstrahlt wird der aber durch eine neuerliche Diskussion über die belgische Lohnindexbindung.
Auslöser dafür ist ein neuer Bericht der Nationalbank. Darin wird eine Anpassung der automatischen Kopplung der Löhne und Gehälter an die Preisentwicklung empfohlen. Konkret listet die Nationalbank sieben mögliche Alternativen auf, wie das System angepasst werden könnte. Von einer Abschaffung ist dabei ausdrücklich nicht die Rede.
Index - Folge "elfunddreißig"
Die Reaktionen fielen dennoch erwartungsgemäß aus, wie unter anderem La Libre Belgique hervorhebt. Allen voran die Arbeitgeber und auch die liberalen Parteien applaudieren, die Sozialisten und die Gewerkschaften lehnen ihrerseits lautstark jede Reform der Lohnindexbindung ab.
Eine besonnene Diskussion über den Index ist offensichtlich unmöglich, sind sich viele Leitartikler einig. Es ist die "elfunddreißigste" Index-Diskussion, bemerkt etwa De Standaard. Zum x-ten Mal steht eine Reform der Lohnindexbindung im Raum. Und die Reaktionen sind immer dieselben. Dabei dürfte doch längst klar sein: Der Index an sich ist mit Sicherheit eine gute Sache, blinde Angriffe auf das System sind nicht die Lösung, eine blinde Verweigerung jeglicher Diskussion darüber aber genauso wenig.
Ähnlich sieht das L'Echo. Es ist schlichtweg eine Frage der Vernunft, die Lohnindexbindung auf den Prüfstand zu stellen. Zugegeben: Die Inflation ist derzeit unter Kontrolle. Sobald die Preise aber wieder ansteigen, explodiert uns der Index in der Hand. Deshalb gilt: Vorsorge ist besser als Heilen. Die PS und auch die Gewerkschaften wären also gut beraten, sich nicht der Diskussion zu verweigern.
Und man sollte auch nicht immer auf den Überbringer der Nachricht schießen, sind sich Le Soir und La Libre Belgique einig. Die Nationalbank maßt sich nicht an, Politik zu machen. Sie macht ihren Job: Sie analysiert und spricht Empfehlungen aus. Und die Nationalbank ist bestimmt nicht dazu da, dem einen oder dem anderen eine Freude zu machen.
Schizophrene PS?
Auffällig ist hier vor allem die Blockadehaltung der PS, fügt La Libre Belgique hinzu. Die Sozialisten verstecken sich hinter dem Regierungsabkommen, in dem es ausdrücklich heißt, dass am Index nicht gerüttelt wird. Das ist engstirnig. Man wird wohl erst die Kommunalwahlen abwarten müssen, ehe sich die Sozialisten bewegen. Nicht nur in Sachen Index steht die PS koalitionsintern unter Druck. "Der Index und Europa spalten die Regierung", titelt etwa Het Belang van Limburg. Im Vorfeld des EU-Gipfels hatte der PS-Minister Paul Magnette nämlich das Strategiepapier des EU-Ratsvorsitzenden Van Rompuy buchstäblich abgeschossen. Genau dieses Papier wird aber von der Regierung ausdrücklich unterstützt.
Het Laatste Nieuws hat hier ein Déjà-vu. Magnette führt mal wieder einen Privatkreuzzug gegen Europa. Ein paar Stunden später unterstützt Premier Di Rupo beim EU-Gipfel einen gegenteiligen Standpunkt. Und der Zirkus zieht weiter ...
"Fermer la gueule"
Wegen dieser zwiespältigen Haltung der PS übten Open-Vld und CD&V fast schon vernichtende Kritik an Paul Magnette. "Ein Minister hält die Klappe oder tritt zurück", zitiert unter anderem De Standaard den Open-Vld-Fraktionsvorsitzenden Patrick Dewael. Gazet van Antwerpen nennt diesen Ausspruch "historisch". Dewael hat jedenfalls hundertprozentig Recht. Jeder Minister muss den Standpunkt der Regierung verteidigen. Die politische Atmosphäre ist offensichtlich wieder einmal arg vergiftet. Das dürfte wohl mit den Gemeinderatswahlen im Oktober zusammenhängen.
Der lokale Urnengang blockiert mehr und mehr die Arbeit der Regierung, analysiert auch De Morgen. Dabei bleibt den Regierungsparteien nicht mehr viel Zeit, um den Wählern zu beweisen, dass sie etwas geleistet haben. Bald könnte ein neuer Spruch geprägt werden, nach dem Motto: "Ein Minister bringt etwas auf die Reihe oder er tritt zurück".
EU = BHV?
Der EU-Gipfel an sich wird heute auch in vielen Zeitungen beleuchtet. Allerdings waren alle Blätter schon gedruckt, bevor es in Brüssel den entscheidenden Durchbruch gab.
Het Nieuwsblad vergleicht die Lage in Europa mit den schier endlosen Regierungsverhandlungen in Belgien. Es ist der 20. EU-Gipfel seit Beginn der Griechenlandkrise. Und die EU dreht im Kreis, wie es die Belgier 50 Jahre lang in der BHV-Diskussion getan haben. Dabei schließen sich die Haltungen von Frankreich und Deutschland nicht gegenseitig aus: Es darf nicht heißen: "Entweder Solidarität, oder strenge Haushaltskontrolle". Beides ist wichtig. Wenn die deutsche Kanzlerin noch weiter stur bleibt, muss sie sich irgendwann unterlassene Hilfeleistung vorwerfen lassen.
Jeder hat das Recht, seine eigenen Prioritäten zu setzen, meint auch Le Soir. Man darf sich dann nur nicht über das Ergebnis wundern. Wenn am Ende das System kollabiert, und die Euro-Zone auseinanderbricht, dann ist das jedenfalls kein Zufall; dann hat man das so gewollt.
Electrabel, Italien und Werchter
Ganz andere Geschichte auf der Titelseite von De Morgen: "Der Gewinn von Electrabel steigt um 48 Prozent", so die Schlagzeile. Der Gewinn war demnach 2011 um knapp die Hälfte höher als im Vorjahr. Der Stromproduzent zahlte 1,2 Millionen Euro Steuern,bei einem Gewinn von 1,2 Milliarden Euro entspricht das einem Steuersatz von einem Prozent ...
Auf vielen Titelseiten prangt derweil heute das Foto des italienischen Stürmers Mario Balotelli, der gestern mit seinen zwei Toren Italien bei der EM ins Finale geschossen hat. "Balotelli zerreißt Deutschland", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Supermario bringt die Squadra Azzurra ins Finale", titelt La Dernière Heure.
Und noch ein Ereignis ist heute auf den Titelseiten fast allgegenwärtig: Gestern hat das Werchter-Rockfestival begonnen. 85.000 Besucher waren am ersten Tag auf der Festivalwiese. Angesichts der Temperaturen fällt Gazet van Antwerpen nur eine Schlagzeile ein: Es ist ein tropisches Werchter, das da aus den Startblöcken gegangen ist.
Bild: Bruno Fahy (belga)