"MR-Chef Charles Michel beansprucht den ersten Mai für sich", titelt heute Le Soir. "Der erste Mai im Zeichen einer drohenden Scheidung zwischen PS und FGTB", so die Schlagzeile im Innenteil von La Libre Belgique.
Viele Zeitungen werfen heute einen Blick auf den morgigen ersten Mai, den Tag der Arbeit. Traditionell organisieren die großen Parteien zu diesem Anlass große Zusammenkünfte, gespickt mit Grundsatzreden.
"Der erste Mai, das sind wir"
Ursprünglich war der erste Mai in erster Linie ein Hochamt der Linken, insbesondere der Sozialisten. Die frankophonen Liberalen MR wollen aber hier nicht länger an der Seitenlinie stehen: "Der erste Mai, das sind wir", sagt MR-Chef Charles Michel in Le Soir. Die MR sei gewissermaßen der Gewerkschaftsdelegierte der Menschen, die arbeiten, die etwas erreichen wollen.
Die Sozialisten geben sich da aber unbeeindruckt. Der PS-Vorsitzende Thierry Giet geht heute in einem Interview mit La Dernière Heure in die Offensive. Giet fordert, dass die Regierung in vielen Bereichen die Preise deckelt. Nicht nur die Energiepreise müssten unter Kontrolle gebracht werden, sondern auch die Preise in anderen zentralen Bereichen des Alltagslebens.
Dabei hängt bei den Roten anscheinend der Haussegen schief, wie La Libre Belgique berichtet. Demnach zeigen sich immer mehr Risse in der historischen Allianz zwischen der PS und der sozialistischen Gewerkschaft FGTB. Immer mehr FGTB-Mitglieder fühlen sich von der PS verraten. Hintergrund ist der strikte Sparkurs der Regierung, die ja mit Elio Di Rupo sogar einen PS-Premierminister hat. Innerhalb der FGTB-Sektion Charleroi denkt man sogar laut über die Gründung einer neuen Linkspartei nach, vielleicht nach dem Vorbild der Parti de Gauche von Jean-Luc Mélenchon in Frankreich.
"Sinistrose"
Der erste Mai ist längst nicht mehr das was er mal war, bemerkt De Standaard in seinem Leitartikel. Die politischen Meetings haben an Strahlkraft verloren. Das hat auch damit zu tun, dass die Parteien auf der Suche nach sich selbst sind. Vor allem die traditionellen Parteien, die Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen schaffen es nicht, ihre jeweiligen Programme an die neue Zeit anzupassen. Dabei öffnen sie Populisten aller Couleur Tür und Tor.
Die Politik muss das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen, meint auch Het Laatste Nieuws. Unlängst hat der SP.A-Föderalminister Johan Vande Lanotte in Belgien eine neue Krankheit diagnostiziert: Das Land leidet unter "Sinistrose", man könnte sagen: Schwarzseherei. Wir befinden uns in einer Defaitismus-Spirale, wo man nur noch das Negative sehen will. Belgien, beziehungsweise die gesamte Europäische Union braucht einen Plan zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Wir brauchen Perspektiven, damit die Bürger wieder ihren Eliten vertrauen.
De Morgen bricht in diesem Zusammenhang eine Lanze für den Mindestlohn. Anscheinend will jetzt sogar die Europäische Kommission einen Mindestlohn für die ganze EU festschreiben lassen. Sogar in Deutschland scheint der Widerstand zu bröckeln. Erst recht am Vorabend des ersten Mai gilt: Arbeit muss sich lohnen. Allerdings ist hier auch die Regierung gefragt, die die Steuerlast auf Arbeit senken muss.
L'Avenir stellt sich dabei eine grundsätzliche Frage: Tag der Arbeit, was heißt das eigentlich in unserer heutigen Zeit? In einer Zeit, wo die Früchte der Arbeit viel zu oft an den Börsen buchstäblich in Rauch aufgehen...
Vor allem in Flandern berichten die großen Massenblätter Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad ausgiebig über ein Familiendrama in Tienen. Ein Familienvater hat dort seine Frau und seine beiden Kindern erstochen. Die Familie galt Bekannten und Nachbarn als harmonisch und vorbildlich.
Zahltag
Für Altpremier Jean-Luc Dehaene ist der heutige Tag derweil gleichbedeutend mit einem stattlichen Jackpot, "Zahltag für Dehaene", schreiben heute De Standaard und Het Nieuwsblad. Als Mitglied des Aufsichtsrates des Bierbrauers AB InBev verfügt Dehaene über Aktienoptionen, die er ab heute einlösen darf. Die Papiere sind nach dem heutigen Stand knapp drei Millionen Euro wert.
Dehaene ist ja auch Verwaltungsratspräsident der Dexia-Gruppe. Und seit einigen Tagen kursieren Gerüchte, wonach Dexia frisches Geld braucht, um überleben zu können. Dem gemeinen Bürger mag die Dexia-Geschichte auf den Wecker gehen, notiert Het Belang van Limburg. Doch sollte er dabei nicht vergessen, was hier auf dem Spiel steht. Nur zur Erinnerung: Entweder, Belgien pumpt noch einmal Milliardenbeträge in die Gruppe. Oder, Dexia geht den Bach runter und dann greift die Bürgschaft von über 50 Milliarden Euro. Die Politik spielt hier mit unserer Zukunft und der unserer Kinder.
"Der französische Wahlkampf stinkt"
Viele Zeitungen schließlich blicken nach Frankreich, wo der Präsidentschaftswahlkampf in die Zielgerade einbiegt. An diesem Sonntag fällt die Entscheidung zwischen Amtsinhaber Sarkozy und Herausforderer Hollande - und es ist eine "höllische Auseinandersetzung", schreibt la Libre Belgique auf Seite eins. Viele Leitartikler sind erschrocken über das Niveau der politischen Debatte im Nachbarland. Der Wahlkampf stinkt, meint unverblümt La Libre Belgique. Vor allem Amtsinhaber Sarkozy bemüht Parolen aus längst vergangenen Zeiten.
Sarkozy läuft nicht mehr hinter den Rechtsextremen her, er hat sie eingeholt, urteilt auch Le Soir. Er appelliert an den nationalen Geist, poltert gegen Europa, sucht sein Heil in der Abschottung und dem Protektionismus. Dabei weiß man längst, dass Nationalismus und Isolation nicht die Lösung sind. Da kann einem angst und bange werden. In seinem verzweifelten Versuch, das Ruder herumzureißen, hinterlässt Sarkozy verbrannte Erde. Und er merkt's noch nicht einmal.
Archivbild: Eric Lalmand (belga)