Zweites großes Thema ist der Sozialplan beim angeschlagenen Stahldrahthersteller Bekaert. Hier wurde unter anderem eine womöglich richtungsweisende Frühpensionsregelung vereinbart. Einige Blätter schließlich beobachten mit Interesse die internationalen Reaktionen auf einen möglichen Sieg des Sozialisten François Hollande.
“Die Gefängniswärter halten den Druck auf Justizministerin Turtelboom aufrecht“, schreibt heute Le Soir auf Seite eins. “Ein Streik steht weiter im Raum“, so die Schlagzeile von La Libre Belgique.
Die Regierung hat gestern beschlossen, von einer Beschneidung des Gefängnispersonals abzusehen. Ursprünglich sollten ja aus Spargründen knapp 400 Stellen abgebaut werden. Die Gefängniswärter reagierten postwendend mit einer Streikankündigung.
Jetzt soll also erst einmal der derzeitige Personalbestand beibehalten werden. Die Gewerkschaften verlangen jedoch ein schriftliches Engagement. Deswegen wird die Streikandrohung bis zum 16. Mai aufrechterhalten.
Comeback der Vernunft
Für L‘Avenir war das ganze Theater von Anfang an vollkommen unnötig. Jetzt werden also doch keine Stellen beim Gefängnispersonal abgebaut. Muss man die Regierung für diese Entscheidung loben? Das wäre zu viel der Ehre. Der Vorschlag, angesichts überfüllter Gefängnisse hier noch Personal abzubauen, war doch eigentlich totaler Irrsinn. Insofern kann man die Entscheidung von gestern allenfalls als ein "Comeback der Vernunft" bezeichnen.
Das Herumeiern bei der Justiz spricht Bände, meint La Libre Belgique. Auf der einen Seite steht in den Gefängnissen weiterhin eine Streikandrohung im Raum. Und auch die Anwälte drohen mit Protesten, weil ihre Bereitschaftsdienste nicht angemessen entlohnt werden. Beide Probleme kann man nur lösen, indem man das Geld in anderen Bereichen der Justiz suchen geht. Hier fehlt ein Gesamtkonzept. Die Justiz ist gnadenlos unterfinanziert - ausgerechnet die Justiz, die ja zu den Kernaufgaben des Staats gehört.
Sozialplan
Einige Zeitungen beleuchten heute den Sozialplan, auf den sich Arbeitgeber und Gewerkschaften beim flämischen Stahldrahthersteller Bekaert geeinigt haben. Den Sozialpartnern ist es dabei gelungen die Zahl der Stellenstreichungen quasi zu halbieren, wie Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite hervorhebt.
Ursprünglich wollte sich Bekaert von über 600 Mitarbeitern trennen. Jetzt ist noch von 324 Entlassungen die Rede. Die Gewerkschaften machen keinen Hehl daraus, wie dieser Erfolg zustande kam: Die Meldungen über die fette Bonuszahlung an Bekaert-Chef Bert De Graeve haben die Verhandlungen auf eine neue Grundlage gestellt. Die Position der Direktion war mit einem Mal geschwächt.
Drahtseilakt: Richtungsweisende Frühpensionsregelung
Der Sozialplan bei Bekaert war auch ein Testfall für die Föderalregierung, speziell in puncto Frühpensionsregelung. Konkret: Angesichts der gerade erst durchgeführten Rentenreform konnte die Regierung schwerlich einer allzu günstigen Vorruhestandsregelung zustimmen. Bei Bekaert wurde jetzt Folgendes vereinbart: Ältere Mitarbeiter können zwar ab 52 Jahren in Frühpension gehen, müssen aber bis zum Alter von 55 Jahren aktiv nach einem Job suchen. “Keine Ruhe im Vorruhestand ab 52“, titelt denn auch De Standaard.
Das flämische Massenblatt Het Laatste Nieuws ist voll des Lobes. Früher wurden Mitarbeiter etwa bei Opel oder Ford zuweilen mit 48 Jahren frühpensioniert. Damit ist jetzt Schluss. Die Regierung Di Rupo hat in Sachen Rentenpolitik ihren ersten Test bestanden. Jetzt ist man faktisch erst ab 56 Jahren definitiv im Vorruhestand. Und auch für die Betroffenen steht das Ganze wohl auf gesunden Beinen: Gut ausgebildete Fachkräfte, selbst wenn sie über 50 sind, dürften gerade in Flandern keine großen Probleme haben, eine neue Anstellung zu finden.
Streiks und Energie
"Sieben von zehn Streiks in der Wallonie sind illegal", titelt derweil La Libre Belgique. Das Blatt gibt hier den Standpunkt der Arbeitgeber wieder. Und die machen vor allem eine Gewerkschaft für die illegalen Protestaktionen verantwortlich, nämlich die sozialistische FGTB.
"Die Regierung will den Druck auf Electrabel erhöhen", titelt derweil l'Echo. Demnach will die Regierung vor allem die Preispolitik des Energieriesen künftig noch schärfer beobachten. Gazet van Antwerpen bringt heute ein ausgewachsenes Interview mit dem Föderalminister für Wirtschaft und Verbraucherschutz Johan Vande Lanotte. Der unterstreicht: Er kämpfe nicht gegen Unternehmen, sondern lediglich gegen überhöhte Preise.
Super-Strafzettel und Sparkurs
De Morgen macht mit einer etwas überraschenden Headline auf: "Polizei lässt Geldbußen mit einem Gesamtvolumen von fünf Millionen Euro verjähren", schreibt das Blatt auf seiner Titelseite. Auch La Dernière Heure ist diese Information zu Ohren gekommen. Demnach ist es anscheinend so, dass 15.000 unbezahlte Super-Geldstrafen aufgrund eines administrativen Fehlers buchstäblich liegen geblieben sind. Besagte Strafzettel wurden inzwischen geschreddert.
"Der strikte Sparkurs verliert in Europa an Rückhalt", stellt derweil Le Soir auf seiner Titelseite fest. Auf der einen Seite ist die Krise zwar längst noch nicht überwunden, die Eurozone steht ja wieder unter Spannung. Auf der anderen Seite glauben viele Staaten aber nicht mehr, dass Sparen der einzige Ausweg wäre, und sogar Deutschland scheint das einzusehen: Für den nächsten EU-Gipfel im Juni bereite man ein Wachstumsprogramm vor, zitiert Le Soir die deutsche Kanzlerin.
Angst vor Hollande?
Kommentierend meint das Brüsseler Blatt dazu: Deutschland scheint sich, wie auch schon die europäische Zentralbank, schon einmal auf einen Sieg des Sozialisten François Hollande bei der französischen Präsidentschaftswahl einzustellen. In Berlin, Frankfurt und Brüssel weiß man, dass sich nach dem 6. Mai der Wind drehen könnte. Allerdings: Hollande hat noch nicht gewonnen. Man darf davon ausgehen, dass Europas Konservative und Liberale nur so viele Zugeständnisse machen wie unbedingt nötig. Am strikten Sparkurs dürfte wohl nicht gerüttelt werden.
Auch De Morgen befasst sich in seinem Leitartikel mit den internationalen Reaktionen auf einen möglichen Wahlsieg von François Hollande. Die britische Wochenzeitung The Economist warnte ihre Leser schon vor dem "gefährlichen François Hollande", dem Mann, der die derzeitige Strategie zur Bekämpfung der Schuldenkrise in Frage stellt. Da wird dann gleich wieder das Schreckgespenst bemüht, wonach die ominösen Märkte möglicherweise negativ auf eine Wahl Hollandes reagieren könnten.
Das wird doch langsam aberwitzig, meint De Morgen. Immer wieder soll man auf die “Märkte“ schauen, die inzwischen die Politik diktieren. Dabei reagieren besagte Märkte, wie die Vergangenheit lehrt, allenfalls wankelmütig, unlogisch, widersprüchlich. Das einzig Positive: Wenn sich britische Zeitungen mit französischer Innenpolitik befassen, dann kann man ja fast schon hoffen, dass wir durch die Eurokrise am Ende alle europäischer geworden sind.
Bild: belga