"Streik artet in Chaos aus", titelt heute De Standaard. "Das Drama bei der STIB lähmt den Brüsseler Verkehr", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Le Soir blickt nach vorne und bringt die Schlagzeile: "Unsicherheit nach dem Chaos".
Brüssel hat am Dienstag ein Verkehrschaos erlebt. Am vierten Tag in Folge fuhren keine Busse und Bahnen. Mit ihrem Streik haben die Mitarbeiter der öffentlichen Nahverkehrsgesellschaft STIB ursprünglich auf den gewaltsamen Tod eines Kollegen am Samstagmorgen reagiert. Eigentlicher Beweggrund ist aber die Forderung nach einer Verbesserung der Sicherheit im STIB-Netz: Innenministerin Joëlle Milquet hatte am Montagabend ein Maßnahmenpaket präsentiert, dass den Einsatz von 450 zusätzlichen Polizisten und Sicherheitsleuten vorsieht.
STIB - Gewerkschaften gespalten
An diesem Plan ist die Gewerkschaftsfront zerbrochen, bemerkt La Libre Belgique: Die sozialistische und die liberale Gewerkschaft sprachen sich gegen ein Ende des Streiks aus, die christliche CSC ist unter gewissen Bedingungen bereit, die Arbeit wieder aufzunehmen. Vielleicht ermöglicht das wenigstens einen Minimumdienst, zeigt sich Le Soir optimistisch.
Dabei ist es offensichtlich so, dass den Gewerkschaftsspitzen die Situation entglitten ist, wie De Morgen berichtet: "Die Gewerkschaften haben die Kontrolle über ihre Basis verloren", so die Schlagzeile auf Seite eins. Demnach kann man durchaus von einem Bruch sprechen zwischen den Mitarbeitern und ihren Personalvertretern.
Ein Grund steht auf der Titelseite von La Dernière Heure: "Die gebrochenen Versprechen der Politik", fasst es das Blatt zusammen. Zu oft haben sich die Mitarbeiter mit Ankündigungen, abspeisen lassen; jetzt wollen sie erst Taten sehen, bevor sie wieder an die Arbeit gehen.
Und sie bekommen da Schützenhilfe von außen: "400 zusätzliche Polizisten für Brüssel, das ist unrealistisch", zitiert Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite den Bürgermeister von Gent, der sich fragt, wo die neuen Beamten denn plötzlich herkommen sollen.
"Der Streik ist nachvollziehbar"
Der Protest der STIB-Mitarbeiter ist denn auch vollkommen nachvollziehbar, stellt sich La Dernière Heure auf die Seite der Streikenden. Seit Jahrzehnten verlangen sie entschlossene Maßnahmen. Sie wollen ganz einfach zur Arbeit gehen können ohne Angst haben zu müssen, dass sie am Abend nicht mehr nach Hause kommen. Die STIB-Mitarbeiter wollen sich nicht mehr mit medienwirksamen Versprechen begnügen. Und dass kann man ihnen nicht verdenken.
Ähnlich sieht das Gazet van Antwerpen. Die Politik in diesem Land ist seit einigen Jahren der Unsitte verfallen, viel anzukündigen, aber letztlich wenig zu leisten. Was hat man uns nicht alles versprochen: 2500 zusätzliche Gefängniszellen, 2000 zusätzliche elektronische Fußfesseln, ein verschärftes Jugendstrafrecht, die Liste ist endlos. Insofern kann man die STIB-Mitarbeiter verstehen, wenn sie der Politik und ihren Versprechen misstrauen. Nachvollziehbar ist der Streik also vielleicht, aber dennoch: Einmal muss Schluss sein.
"Denn einmal muss Schluss sein!"
Das ist im Übrigen die Kernbotschaft vieler Leitartikler. Sicher: Am Anfang steht ein Drama; ein 56-jähriger Mann ist tot. Muss man dafür aber gleich tagelang den kompletten öffentlichen Nahverkehr lahmlegen, fragt sich La Libre Belgique. Die Gewerkschaften fordern Garantien. T´schuldigung, aber der Traum vom Null-Risiko ist eine Utopie. Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der hinter jedem Bürger ein Polizist steht, so La Libre Belgique.
Das Maßnahmenpaket von Innenministerin Joëlle Milquet ist sehr konkret und umfangreich, das muss jeder einsehen, meint auch De Standaard. Die Gewerkschaften drohen, den Bogen zu überspannen. In gewisser Weise haben sie den Tod ihres Kollegen als Hebel benutzt, um alte Forderungen durchzusetzen. Im vorliegenden Fall ist das nachvollziehbar. Die Gewerkschaften müssen nur aufpassen, dass dieser Hebel nicht zerbricht.
Le Soir schlägt in dieselbe Kerbe. Bislang hatten die Bürger wohl noch Verständnis für den Unmut und die Ängste der STIB-Mitarbeiter. Dieses Kapital ist allerdings aufgebraucht. Den Streik bis Freitag durchzuziehen, das wäre jedenfalls fast schon selbstmörderisch, warnt Le Soir: Die STIB-Leute laufen Gefahr, bei den Nutzern genau das zu produzieren, was sie eigentlich bekämpfen wollen - nämlich Wut.
Apropos Wut: L'Echo ist in seinem Leitartikel äußerst ungehalten angesichts des Streiks bei der STIB. Insgesamt 450 zusätzliche Sicherheitsleute soll die STIB bekommen. Und die Antwort der Gewerkschaften lautet schlicht und einfach: Nein. Dabei wären sie eigentlich gut bedient: 25 Millionen Euro soll das Maßnahmenpaket kosten. Das ist viel in einer Stadt, in der es vorne und hinten an Geld fehlt. Anscheinend ist es wohl so, dass der, der am lautesten schreit, am Ende auch noch das meiste Geld bekommt. Das ist ungerecht für alle anderen.
Denunziation und ihre Grenzen
Einige Blätter beschäftigen sich mit der jüngsten Provokation des rechtsextremen Vlaams Belang. Die Partei hat eine Webseite ins Internet gestellt, auf der man mutmaßliche illegale Einwanderer denunzieren kann. "Filip Dewinter sucht Aufmerksamkeit", so die nüchterne Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. L`Avenir hingegen verurteilt die Initiative mit scharfen Worten. Solche Praktiken sind abstoßend. Sie erinnern an das Nazi-Deutschland der 30er Jahre. So etwas kann nicht oft genug angeprangert werden.
Het Belang van Limburg reagiert da abgeklärter. Der Vlaams Belang besitzt nicht das Monopol auf Denunzierungspraktiken. Es gibt zum Beispiel auch eine Meldestelle, um notorische Raucher anzuzeigen, die sich über das Rauchverbot hinwegsetzen. Hier ist also auch viel Scheinheiligkeit im Spiel: Denunziation ist prinzipiell offenbar nur dann problematisch, wenn die Zielsetzung gerade nicht passt. Aber keine Sorge: In Belgien laufen derlei Meldestellen ohnehin ins Leere. Wir sind kein Volk von Denunzianten.
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