"Der längste Stau aller Zeiten", titelt heute Het Nieuwsblad. "Vier Zentimeter Schnee - 1285 Kilometer Stau", das ist absoluter Rekord, schreibt Het Laatste Nieuws in Blockbuchstaben auf Seite 1. De Morgen drückt es so aus: "Drei Zentimeter Schnee, 1275 Kilometer Elend".
L'Echo macht eine andere Rechnung auf: "Ein paar Schneeflocken sorgen für 4.000 Kilometer Stau". Das Blatt berücksichtigt dabei nämlich die Verkehrsbehinderungen auf allen belgischen Straßen, also nicht nur den Autobahnen.
La Dernière Heure bringt es auf den Punkt: "Schnee - Der Staatsfeind Nummer eins".
"1.275 Kilometer Elend"
Viele Blätter berichten auf mehreren Sonderseiten über das gestrige Schneechaos. Het Laatste Nieuws bringt Erlebnisberichte von Pendlern, die eine halbe Ewigkeit für ihren Nachhauseweg gebraucht haben. Besonders beeindruckend: Für die Strecke Löwen-Kortrijk benötigte ein 21-jähriger Student acht Stunden.
Die Streudienste plädieren auf unschuldig, wie viele Zeitungen hervorheben. Der Schneefall habe schlichtweg zum falschen Zeitpunkt eingesetzt: ausgerechnet während der Rushhour, wo die Streudienste mitunter ohnehin in den üblichen Staus hängen bleiben. Und weil der Verkehr dann nicht wirklich fließt, kann das Streusalz auch nicht seine volle Wirkung entfalten, zitiert Het Laatste Nieuws einen Fachmann.
In vielen Zeitungen herrscht dennoch eine gewisse Ernüchterung vor, darüber nämlich, dass doch vergleichsweise leichte Schneefälle gleich für ein solches Chaos sorgen können.
Na ja, so erstaunlich ist es ja eigentlich nicht, dass im Winter auch schon mal Schnee fällt, meint L'Avenir in seinem Kommentar. Nach einem solchen Chaos suchen wir dennoch reflexartig nach einem Schuldigen. Dabei muss man festhalten: Erstens haben die Autofahrer selbst das Chaos nur noch verstärkt, weil gleich nach Beginn der Schneefälle alle Pendler quasi gleichzeitig ins Auto gestiegen sind, und zweitens: Wir sollten endlich aufhören, zu glauben, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts alle erdenklichen Faktoren beherrscht und kontrolliert. Schnee im Winter, nun, das ist nun mal so.
Die Krise ist da!
Zweites großes Thema ist einmal mehr die Krise, die mit jedem Tag spürbarer wird. Jetzt ist es soweit: Die Krise hat den Alltag der Menschen erreicht und schlägt dabei unerbittlich zu, notiert etwa De Morgen. Einen traurigen Beweis dafür gab es in dieser Woche, als das Traditionsunternehmen Bekaert den Abbau von 600 Arbeitsplätzen ankündigte.
Bislang war für viele Belgier die Krise allenfalls ein fernes Echo, bislang waren wir halbwegs verschont geblieben. Die jüngsten Hiobsbotschaften, nicht nur von Bekaert, sondern etwa auch von Alcatel oder Crown, das könnte nur der Anfang sein. 85.000 kleinen und mittleren Betrieben steht das Wasser bis zum Hals. Jetzt wird es Zeit, dass die Politik eingreift.
Dabei steht auch die Föderalregierung schon jetzt mit dem Rücken zur Wand. Am letzten Februarwochenende muss die erste Haushaltskontrolle vorgenommen werden. Nach Schätzungen müssen bis zu zwei Milliarden Euro gefunden werden, um den Haushalt auf Kurs zu halten.
In diesem Zusammenhang wurde auch schon über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 22 Prozent nachgedacht. Diesen Plänen erteilt MR-Chef Charles Michel heute in La Libre Belgique und De Morgen eine Absage. "Wir werden uns nicht an der Kaufkraft der Bürger vergreifen", sagt Michel.
Mehrwertsteuererhöhung - Nicht der Weisheit letzter Schluss
Eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt, das würde unweigerlich zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, berichtet Het Belang van Limburg auf Seite 1. Konkret wären das knapp 24.000 neue Arbeitslose allein innerhalb der nächsten drei Jahre. Die Folge: Eine Mehrwertsteuererhöhung käme unterm Strich einer Nullnummer gleich: Die Mehreinnahmen aus der Steuererhöhung würden durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit buchstäblich verpuffen, beruft sich Het Belang van Limburg auf entsprechende Simulationen von Nationalbank und Plan-Büro.
Kommentierend meint das Blatt dazu: Man muss zugeben, dass es einfacher ist, der Regierung zu sagen, was sie nicht tun soll. Jedes mögliche Rezept zur Haushaltssanierung birgt seine Fallstricke. Eine zeitweilige Aussetzung der Lohn-Index-Bindung ist tabu, außerdem wäre es dafür schon zu spät. Und auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
Das Land braucht eine Perspektive
Fest steht allerdings: Jetzt wird es weh tun, warnt Het Nieuwsblad. Die zweite Sparrunde wird nicht spurlos am Bürger vorbeigehen. Aussetzung des Index, Mehrwertsteuererhöhung, vielleicht sogar eine Krisensteuer: An Ideen mangelt es nicht. Und die verschiedenen Interessengruppen werden je nach Vorschlag ihre Vetos einlegen. So kann das nichts werden. Da gibt es nur eine Lösung: Das Land braucht eine Perspektive. Eine Rosskur kann nur gelingen, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Nur darum geht es, jedenfalls nicht um die Frage, wer die längste Liste von Tabus hat.
Die politisch Verantwortlichen müssen mit Weitblick handeln, mahnt auch La Libre Belgique. Man darf jedenfalls nicht der Privatwirtschaft, also den Selbständigen oder kleinen und mittleren Betrieben zusätzlich Steine in den Weg legen. Dieses Land braucht Arbeitsplätze. Und die kann man nicht verordnen, die bekommt man nur, wenn man die entsprechenden Grundbedingungen schafft.
Wir brauchen langfristige Lösungen, einen strategischen Plan, meint auch De Standaard. Stattdessen streiten wir uns derzeit aber über Kleinkram. Dieses Land erlaubt sich den Luxus, die falschen Diskussionen zu führen. Mal geht es um die sogenannten Fiktivzinsen auf Risikokapital, mal geht es um die Besteuerung von Firmenwagen, mal geht es um den Preis von Dienstleistungsschecks. Alles in allem: punktuelle Maßnahmen, die mal dem einen, mal dem anderen dienen. Mit Vision hat das nichts zu tun.
Tabus
Die Brüsseler Tageszeitung Le Soir hat es sich derweil zum Ziel gesetzt, in den nächsten zwei Wochen einmal die Tabus der belgischen Gesellschaft offen anzusprechen und zu hinterfragen. Erstes Tabu, heute in Form einer ketzerisch anmutenden Aussage: "Die PS blockiert die Wallonie". Die Parti Socialiste wird in der Tat immer wieder beschuldigt, sich wichtigen Reformen zu verschließen, konstatiert Le Soir in seinem Leitartikel. Gängige Vorwürfe: Klientelismus, Günstlingswirtschaft, was bei einer Partei, die über Jahrzehnte an der Macht ist, am Ende die Züge von Allmacht annimmt.
Jetzt gibt es aber da eine junge Generation, die Marcourts, Giets, Demottes und Magnettes, die sich offenbar vorgenommen haben, die Wallonie neu aufzustellen. Das kann man nur unterstützen: Kein Zukunftskonzept für die Wallonie kann ohne die PS gelingen. Eine Erneuerung der Wallonie kann allerdings nur dann auch von Erfolg gekrönt sein, wenn die PS über ihren Schatten springt.
Genau diese innerfrankophone Strategiedebatte über den ominösen "Plan W" hat offensichtlich auch den flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters inspiriert. L'Avenir bringt heute ein Exklusivinterview mit Kris Peeters. Darin plädiert er für die Schaffung eines bundesstaatlichen Modells nach der Formel "2+2". Belgien würde demnach aus zwei "großen" Regionen bestehen: Flandern und der Wallonie. Daneben gäbe es zwei weitere, "faktische" Regionen: Brüssel und die Deutschsprachige Gemeinschaft.
Bild: Bruno Fahy (belga)