Der anstehende Jahreswechsel steht ganz klar im Mittelpunkt der Berichte und Kommentare in der Tagespresse. Viele Zeitungen greifen um einige Stunden vor und richten Neujahrsgrüße an ihre Leser. Die meisten Leitartikler sind sich einig: 2012 wird ein schwieriges Jahr, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
"Ein gesundes und glückliches Neues Jahr!", wünschen heute fast alle Zeitungen ihren Lesern. "2012 kann nur besser werden", meint fast schon beschwörend Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Das Blatt räumt zwar ein, dass die Aussichten nicht wirklich rosig sind: Die Wirtschaftsprognosen sind eher ungünstig, die Zeichen stehen zudem auf "Sparen". Aber schwieriger, trauriger, perspektivloser als 2011 kann das neue Jahr nicht werden.
Die Hoffnung nicht verlieren?
Viele Leitartikler sehen das ähnlich. 2011 war auf vielen Ebenen ein deprimierendes Jahr, konstatiert etwa Gazet van Antwerpen. Die Schuldenkrise hat Europa in seinen Grundfesten erschüttert. Wieder stand das Finanzsystem auf der Kippe, benötigten Banken Kapitalspritzen. Der "arabische Frühling" ist in Nordafrika zum "islamistischen Herbst" geraten. Und auch in Belgien hat die politische Dauerkrise das Misstrauen der Bürger der Politik gegenüber geschürt. Dennoch sollten wir an ein besseres Jahr 2012 glauben.
2011 reimte mit dem Wort "Krise", meint auch La Libre Belgique. Und zwar in allen Belangen: wirtschaftlich, politisch und auch auf finanzieller und sozialer Ebene. Und wir müssen den Realitäten ins Auge sehen: 2012 wird schwierig. In diesem Zusammenhang sollte man im kommenden Jahr die Schwachen unserer Gesellschaft nicht vergessen: die Armen, die Einsamen, Menschen ohne Job oder ohne Dach über dem Kopf. Es wäre schön, wenn 2012 all diesen Menschen etwas Gutes brächte, etwas, das in den letzten Monaten gefehlt hat.
2011 war vor allem geprägt von einer Vertrauenskrise, glaubt Het Nieuwsblad. Misstrauen in den Euro, Misstrauen in das Finanzsystem, Misstrauen der Politik gegenüber. Diese Vertrauenskrise nehmen wir mit ins nächste Jahr. Wir werden Mut brauchen, um das zu tun, was getan werden muss; wir müssen daran glauben, dass es etwas gibt, um das es sich lohnt zu kämpfen. Wir brauchen Mut, Glauben und Vertrauen.
Eins wissen wir jetzt schon, orakelt L'Avenir: 2012 wird hinter unseren Wünschen und Erwartungen zurückbleiben. Das ist aber kein Grund, die Flinte direkt ins Korn zu werfen. Die großen gesellschaftlichen Veränderungen geschehen in der Regel nicht, wenn die Welt in Ordnung ist, sondern in Krisenzeiten. Insofern kann 2012 eine Chance sein, kann 2012 doch noch ein guter Jahrgang werden.
Welche Zukunft für den Euro?
Doch neben vielen warmen Worten stellen einige Zeitungen auch ganz konkrete Fragen in den Raum, wie etwa: Was wird aus dem Euro? "2012: das Jahr, in dem der Euro entweder die Kurve kriegt oder untergeht", so die Schlagzeile von De Morgen. Die Schuldenkrise wird jedenfalls den zehnten Jahrestag der Einführung des Euro gehörig verhageln. Einige Analysten sehen eine Wahrscheinlichkeit von eins zu vier, dass der Euro das Jahr 2012 nicht überlebt. In diesem Fall droht die Welt in eine schwere Rezession zu stürzen.
Der Optimismus, der vor zehn Jahren bei der Euroeinführung an den Tag gelegt wurde, war naiv, meint dazu De Standaard in seinem Leitartikel. Man hat die Konstruktionsfehler des Euro unterschätzt. Und jetzt herrscht die Angst. Auf der einen Seite kann das - so paradox das klingt - positive Effekte haben: Nur unter großem Druck können die politisch Verantwortlichen über ihren Schatten springen und die Webfehler in der Eurozone korrigieren. Angst kann aber auch lähmend wirken. Für 2012 kann man sich also nur wünschen, dass wir alle den Willen aufbringen, die notwendigen Veränderungen durchzuführen, und das ohne die Angst, dass es uns nicht gelingt.
De Morgen wünscht sich mehr Verantwortungsbewusstsein von der politischen Klasse. Die Generation der Ex-Politiker hat gezeigt, wie man es nicht machen sollte: Ex-Politiker, die in den Verwaltungsräten von großen Unternehmen und Banken saßen und ihre Kontrollfunktion vernachlässigt haben. Das waren mitunter genau dieselben Leute, die der heutigen Generation eine ganze Reihe von ungelösten Problemen hinterlassen haben. Ein Staat sollte den Mut haben, die Menschen vor ihre Verantwortung zu stellen.
Belgien - ein Komapatient
Le Soir bringt in seinem Leitartikel eine Diagnose des belgischen Patienten. Und die lautet: Belgien wäre um ein Haar gestorben, aber das Land ist noch nicht über den Berg. Dass Belgien das Jahr 2012 überhaupt erlebt, ist wirklich ein Wunder. Das Land hat seine schlimmste Existenzkrise überlebt, steht aber mehr denn je auf der Kippe. Flamen wie Frankophone scheinen sich auf die Spaltung vorzubereiten. Das ist das eigentliche Fazit der fast endlosen Regierungsbildung: "das Schlimmste verhindern, um sich genau darauf vorzubereiten". Dass man jetzt auch in der Wallonie langsam aber sicher Belgien zu beerdigen scheint, das könnte sich als der Tropfen erweisen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Rückblick
Fast alle Blätter ziehen ausgiebig eine Bilanz des ausklingenden Jahres, meist in Form von langen Fotostrecken. La Libre Belgique macht es in Quiz-Form: 66 Fragen über 2011. Ein Vorgeschmack: Wen heiratete Kate Middleton? Oder: Warum ist Prinz Laurent in Ungnade gefallen? L'Echo zieht eine Bilanz des Börsenjahrs mit einer spektakulären Feststellung: Der Bel-20-Index hat fast 20 Prozent an Wert eingebüßt: Viel schlimmer geht nicht ...
Le Soir hebt einen anderen traurigen Rekord hervor: Nie gab es mehr Firmenpleiten als im Jahr 2011. Über 10.500 Unternehmen mussten Konkurs anmelden. Het Laatste Nieuws hat derweil seinen Belgier des Jahres gekürt. Auf Platz eins steht demnach N-VA-Chef Bart De Wever, gefolgt von dem Radprofi und Überflieger der Saison 2011, Philippe Gilbert.
Ausblick
L'Avenir beleuchtet dagegen ausgiebig alle Neuerungen, die insbesondere der 1. Januar mit sich bringen wird: höhere Wasserrechnung, höhere Belgacom-Tarife, und auch das Briefporto wird teurer. "Alles wird teurer", stellt auch Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite fest und dröselt auf: Preiserhöhungen, höhere Steuern, niedrigere Zuschüsse und Sozialleistungen.
L'Echo wirft auch schon einen Blick nach vorne und nennt die zwölf Ereignisse, die wohl mit Sicherheit das Jahr 2012 prägen werden. Darunter etwa: die Olympischen Spiele von London, die Fußball EM in Polen und der Ukraine, die Präsidentschaftswahlen in Frankreich und den USA und die Kommunalwahlen in Belgien. Verschwörungstheoretiker und Untergangspropheten werden derweil mit Spannung den 21. Dezember 2012 erwarten. Dann endet nämlich ein Zyklus des Maya-Kalenders, was Esoteriker mit dem Ende der Welt gleichsetzen.
Bild: Dirk Waem (belga)