"Regierung Di Rupo I: Jetzt geht's los", titelt heute La Libre Belgique. Der Weg zur Bildung einer neuen Regierung ist frei. Am Wochenende haben die Mitglieder der sechs künftigen Koalitionsparteien im Rahmen von Sonderparteitagen das Regierungsabkommen gutgeheißen. "Grünes Licht für Di Rupo", so denn auch die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. "Bereit für den Eid", fasst es Het Laatste Nieuws zusammen.
Die sechs Parteien haben den Koalitionsvertrag fasst einstimmig gebilligt, stellt Het Belang van Limburg in seinem Kommentar fest. Das ist eine gute Neuigkeit: Die Regierung steht auf der größtmöglichen Grundlage. Das allerdings ist keine Erfolgsgarantie.
Flandern misstraut Di Rupo
Auch für La Libre Belgique fangen die Probleme aber gerade erst an. Das Blatt nennt fünf große Stolpersteine, die der Regierung das Leben schwer machen dürften: die Finanzmärkte, die Gewerkschaften, die Teilstaaten, die N-VA und nicht zuletzt: Elio Di Rupo selbst. Di Rupo wird Führungsstärke an den Tag legen müssen. Hinzu kommt: In Flandern fehlt es ihm an Legitimität.
"Ein Flame von drei misstraut Di Rupo", bringt es Le Soir auf den Punkt. Das Blatt beruft sich auf eine neue Umfrage. Demnach schenken mehr als zwei Drittel der Wallonen der neuen Regierung das Vertrauen, immerhin noch sechs von zehn Brüsselern, aber nur 29 Prozent der Flamen.
"Di Rupo I weckt den Argwohn der Flamen", schlussfolgert denn auch De Standaard. Het Nieuwsblad drückt es so aus: "Der gemeine Flame misstraut Di Rupo."
Personalfragen ungelöst
Doch bedarf es ja zunächst einer Regierung. Und die Personalfragen sind nach wie vor nicht gelöst. Wichtigster Streitpunkt: Wird die Regierung 14 oder 15 Mitglieder umfassen? Damit verbunden die Frage, ob der künftige Premierminister Elio Di Rupo dem frankophonen Lager zugerechnet wird, oder ob er als 15. Mitglied der Regierung über der Mêlée steht.
Gleich, was die Parteien sagen, die Personaldebatte ist innerhalb der Parteien mit Sicherheit genauso wichtig, wie die Bewertung des Koalitionsvertrages, konstatiert Gazet van Antwerpen. Nirgendwo anders findet man größere Egos als in der Politik. Hier entscheiden allein die Parteipräsidenten, die mal als Nikolaus auftreten, mal als Knecht Ruprecht. Wichtig ist hier allerdings auch, dass die großen Regionen des Landes innerhalb der Regierung vertreten sind. Und hier sollte man Antwerpen nicht vergessen.
Im Augenblick läuft jedenfalls der "Große Kuhhandel", wie es La Dernière Heure ausdrückt. Und um das Gewicht zwischen Flamen und Frankophonen auszutarieren, fällt nach wie vor der Name Karl-Heinz Lambertz. Wie schon Le Soir vor einigen Tagen, sehen heute auch etwa De Standaard und La Libre Belgique in dem deutschsprachigen Sozialisten die Lösung in dem Streit über die Zusammensetzung der Regierung. Grob zusammengefasst: Die PS könnte über ein zusätzliches Regierungsmitglied verfügen, das aber nicht französischsprachig wäre.
Für Elio Di Rupo ist das Ganze eine neue Feuerprobe, glaubt Het Laatste Nieuws. Er muss das große Stühlerücken organisieren. Davon wird abhängen, wie schlagkräftig die Regierung sein wird. Die Equipe braucht Zusammenhalt, Teamgeist. Im Anschluss sollte Di Rupo aber keine Zeit verlieren und sich schnellstens einmal mit Flandern beschäftigen, mit der Sprache, aber auch mit der Mentalität im Norden des Landes.
Di Rupo muss Flandern kennenlernen
Ähnlich sieht das De Standaard. Di Rupo muss im Grunde gleich drei Sprachen lernen. Erstens natürlich die Sprache der Flamen. Hier geht es nicht nur um Niederländisch an sich: Di Rupo muss auch das Flämische Zusammenleben kennenlernen. Zweite Priorität: die Sprache Europas. Auch hier geht es nicht so sehr um das Englische: Es gibt auch einen Graben zwischen den Grundsätzen der Sozialisten und der europäischen Wirklichkeit. Drittens: die Sprache der Veränderung. Di Rupo muss sich als Premier über seine Partei hinwegsetzen und dieses Land umbauen, es auf die Zukunft ausrichten.
Die neue Regierung wird in jedem Fall äußerst zerbrechlich sein, analysiert La Libre Belgique. Damit sie bis 2014 hält, müssen alle Beteiligten jedenfalls ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen. Die flämischen Parteien werden permanent den heißen Atem der N-VA im Nacken spüren. Di Rupo kann ihnen dabei helfen, diesem Druck standzuhalten. Er muss in den Köpfen und in den Herzen der Flamen ankommen.
Di Rupo muss zum Premier aller Belgier werden, meint auch Het Nieuwsblad. Er wäre in jedem Fall gut beraten, wenn er die Ergebnisse der jüngsten Umfragen ernst nimmt. Die Flamen vertrauen ihm nicht, unter anderem, weil er nicht gut genug Niederländisch spricht. Di Rupo wird sich also doppelt anstrengen müssen, um die Flamen zu überzeugen, wohlwissend, dass er dafür keine Stimme mehr bekommt.
Wahlaussichten
Apropos Wahlen: Nach La Libre Belgique am Samstag bringt heute auch Le Soir eine neue Umfrage über die Wahlabsichten der Belgier. Die Ergebnisse weisen im Vergleich zur Erhebung von La Libre Belgique bemerkenswerte Unterschiede auf. Grob zusammengefasst: Die MR verliert in der Wallonie noch deutlicher an Boden und käme demnach nur auf knapp 18 Prozent. In Flandern würde die N-VA laut Le Soir nur 35 Prozent der Stimmen bekommen, gegenüber knapp 40 Prozent in La Libre Belgique.
Aber gewählt wird ja erst im Normalfall 2014, in 916 Tagen, wie De Morgen auf seiner Titelseite hervorhebt. Tatsächlich läuft jetzt ein neuer Countdown: Der Regierung bleiben noch zweieinhalb Jahre, um ihr ehrgeiziges Programm abzuarbeiten, meint das Blatt auch in seinem Kommentar. Das wird kein Sonntagsspaziergang. Eine Dreierkoalition aus Sozialisten, Liberalen und Christdemokraten ist von Natur aus nicht die schlagkräftigste. Vertrauen gibt es meist nur in homöopathischer Dosis. Das klingt nicht rosig, aber die Alternativen sind noch viel düsterer.
Vertrauen steht auch im Mittelpunkt des Leitartikels von L?Avenir. Vertrauen braucht man gleich in doppeltem Sinne: Zunächst müssen sich die Parteien untereinander vertrauen. Und damit das gelingt, muss sie eins verbinden: das Vertrauen in die Zukunft.
Archivbild: Nicolas Maeterlink (belga)