"39,8 Prozent. Die nationalistische N-VA ist nicht zu stoppen", stellt La Libre Belgique auf ihrer Titelseite fest. Die Zeitung veröffentlicht heute ihr traditionelles Politbarometer.
Würde am Sonntag gewählt, könnte die N-VA in Flandern mit knapp 40 Prozent der Wählerstimmen rechnen - so viel, wie noch nie zuvor. Alle sechs Parteien, die seit Monaten an der neuen Koalition arbeiten, müssen hingegen erneut Stimmen einbüßen.
La Libre Belgique konstatiert: Viele Menschen in Flandern können nicht nachvollziehen, warum der große Wahlsieger N-VA nicht an der Regierungsbildung beteiligt ist.
Gleichzeitig verliert N-VA-Chef Bart De Wever aber an Popularität. Er büßt über zehn Prozentpunkte ein. Die Zeitung meint: Die belanglose Kritik von De Wever an der Staatsreform und dem Sparpaket hat die Wähler nicht überzeugt.
Auch Het Belang van Limburg stellt sich die Frage: Warum machen die flämischen Nationalisten nicht mit? Wollte die N-VA es selber nicht und hat deshalb Nein zur Di Rupo-Note gesagt? Oder hat der Regierungsbildner die N-VA lang genug zappeln lassen, bis sie aufgegeben hat? Darauf muss sich jeder selbst einen Reim bilden, findet das Blatt.
Kamikaze der Gewerkschaften
Unter anderem L'Avenir kommt auf die Großdemo der Gewerkschaften gestern in Brüssel zurück. In Gemeinschaftsfront hatten die drei großen Gewerkschaften des Landes gegen den Sparkurs der neuen Regierung demonstriert und über 50.000 Anhänger mobilisiert. Allerdings gibt es viel Kritik für diesen Protest. Am Sparpaket führt kein Weg vorbei, weiß die Zeitung. Mit einem Generalstreik zu drohen gleicht einer Kamikaze-Operation.
Auch Het Nieuwsblad findet: Die Gewerkschaften müssen ihre Vorgehensweise noch einmal überdenken. Ein Blick über die Grenzen genügt, um festzustellen, dass unser Sparpaket gemäßigt ausfällt. Die automatische Lohnindex-Bindung bleibt, auch das Renteneintrittsalter wurde nicht angehoben. Die Gewerkschaften müssen sich also jetzt entscheiden: Entweder schießen sie sich selbst ins Aus oder sie steuern kreative Ideen zur Lösung der Krise bei.
Ein amerikanischer Traum in Belgien
Alle Zeitungen werfen einen Blick auf die Regierungsbildung, die kurz vor dem Abschluss steht. "Endlich am Ziel", titelt Gazet van Antwerpen. "Elio I, ein Land zwischen Hoffnung und Angst", schreibt De Standaard auf Seite eins. Und Le Soir meint: "Elio Di Rupo, unser neuer Premierminister."
Der designierte Regierungschef ist der erste nach der längsten politischen Krise des Landes. Ganz genau 538 Tage hat es gedauert, bis die neue Regierung zustande kam. Di Rupo ist auch der erste wallonische Politiker an der Spitze des Landes seit knapp 40 Jahren. Und er ist der erste Sohn eines Einwanderers, der in Belgien Regierungschef wird.
Die Aufgabe wird keine leichte, meint Le Soir. Wegen der weltweiten Schuldenkrise bleibt die Finanzlage angespannt. Ein Rückgang der Wirtschaft wird nicht mehr ausgeschlossen. Dadurch gerät auch das Sparpaket in Gefahr. Die erste Haushaltsanpassung im Frühjahr könnte ganz schön schmerzhaft ausfallen.
Het Laatste Nieuws ist ebenfalls überzeugt: Di Rupo und die sechs Parteien dürfen nicht scheitern. Und sie müssen Gas geben. Bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben nur noch zweieinhalb Jahre.
De Standaard hingegen meint: Worauf es jetzt ankommt, ist ein starkes Regierungsteam. Di Rupo braucht fähige Ministerinnen und Minister. Di Rupo muss zum Staatsmann mutieren, und seine Kollegen brauchen Führungsstärke.
Bitte keine Staatssekretäre!
Wie wird das Regierungsteam aussehen? Darüber spekulieren fast alle Zeitungen. Weiterhin unklar ist, ob das Kabinett aus 14 oder 15 Ministern bestehen wird. Het Laatste Nieuws bringt die Alternative eines deutschsprachigen Föderalministers erneut ins Spiel. Nach Ansicht von Le Soir und Het Belang van Limburg hat der flämische Sozialist Johan Vande Lanotte gute Chancen, neuer Finanzminister zu werden. Didier Reynders von der MR würde Außenminister.
Gazet van Antwerpen richtet einen eindringlichen Appell an das Regierungsteam: Bitte verzichten Sie auf Staatssekretäre! In Zeiten knapper Kassen wäre das ein falsches Signal an die Bevölkerung.
Bürger beeindrucken die Finanzmärkte
"Eine halbe Millionen Belgier kauft Staatsbons", so lautet die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Die gestern zu Ende gegangene Zeichnung hat über fünf Milliarden Euro eingebracht. So viel wie noch nie zuvor. Den Erfolg führt die Zeitung auf den Aufruf des scheidenden Premierministers Yves Leterme zurück. Mitten in der Schuldenkrise hatte er vergangene Woche die Menschen regelrecht gebeten, Staatsbons zu kaufen.
Das Wirtschaftsblatt L'Echo hält fest: Die Belgier haben dem Staat massiv das Vertrauen ausgesprochen. Die internationalen Finanzmärkte hat das beeindruckt. Die Zinsen auf belgische Staatspapiere sind wieder drastisch gesunken. Sollten sich die Spekulanten erneut auf Belgien einschießen, kann Belgien mit dem Spargeld seiner Bevölkerung dagegen halten.
Bild: Eric Lalmand (belga)