Ganz klar im Mittelpunkt der Berichte und Kommentare der Tagespresse steht heute naturgemäß weiter die innenpolitische Krise. Viele Leitartikler bringen ihr Befremden darüber zum Ausdruck, dass der zurückgetretene Regierungsbildner Elio Di Rupo noch um zusätzliche Bedenkzeit gebeten hat, bevor er möglicherweise seine Arbeit doch wieder aufnimmt. Derweil wächst die Angst, dass das Land unter dem Druck der Finanzmärkte vielleicht sehr schnell ins Schleudern geraten könnte.
"Der König zwingt Di Rupo dazu, es zu Ende zu bringen", titelt heute La Libre Belgique. "Di Rupo muss weiter schuften", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Nach vierstündigen Beratungen hat König Albert II. am Abend den zurückgetretenen Regierungsbildner Elio Di Rupo darum gebeten, doch weiter zu machen. Jetzt hat Di Rupo seinerseits um eine Bedenkzeit gebeten, um seine Erfolgschancen ausloten zu können.
Di Rupo macht den König
"Di Rupo will noch mal kurz nachdenken" notiert denn auch Het Belang van Limburg auf Seite eins. Das hat es auch noch nicht gegeben, fügt das Blatt hinzu: Dass der König seine Entscheidung in der Schwebe hält, das ist ja noch normal, dass jetzt aber auch ein Regierungsbildner um Bedenkzeit bittet, das ist neu.
Het Laatste Nieuws glaubt, den Grund für das Zögern von Elio Di Rupo zu kennen: "Di Rupo zweifelt inzwischen an allem", schreibt das Blatt in Blockbuchstaben auf seiner Titelseite. Anscheinend ist er noch nicht einmal mehr davon überzeugt, Premier werden zu wollen. Kommentierend fügt Het Laatste Nieuws hinzu: Wer geglaubt hatte, die neuerliche Krise sei eine reine Inszenierung, der sieht sich getäuscht. Di Rupo hat anscheinend dem König gegenüber zu verstehen gegeben, dass sein Rücktrittsgesuch durchaus ernst gemeint war. Di Rupo hat sichtbar keine Lust mehr. Auch innerhalb seiner PS wachsen die Zweifel, stellt man sich die Frage, was ein Premierminister Di Rupo zu gewinnen hätte. Gleich wie es kommt: Das ist ein schlechtes Omen.
Viel Porzellan zerdeppert
Es gibt aber keine Alternative, hebt Het Belang van Limburg hervor. Di Rupo hat keine Wahl. Und seine Mission ist auch noch nicht definitiv zum Scheitern verurteilt. Grundbedingung ist aber, dass den sechs Parteien endlich klar wird, dass sie nur gemeinsam landen können, dass sie ihre ideologischen Tabus beiseitelassen und vor allem: dass sie den Mund halten.
Zugegeben: In den letzten Tagen ist viel Porzellan zerdeppert worden, räumt La Dernière Heure ein. Einigen der Protagonisten dürfte es schwer fallen, sich wieder die Hand zu geben. Die Bürger haben aber die Nase voll von diesen kindischen Spielchen. Um Himmels Willen, so mahnt das Blatt, reißt euch zusammen.
"Herr Di Rupo, die Menschen haben es satt", donnert auch Gazet van Antwerpen. Dass Di Rupo jetzt noch einmal um Bedenkzeit bittet, ist geradezu unfassbar. Will er etwa damit den Beweis erbringen, dass sein Rücktrittsgesuch von Montag keine Show war, wie so mancher mutmaßt? Es wird Zeit, dass die politischen Spielchen endlich aufhören.
Im Parallel-Universum
"Worauf wartet Di Rupo noch", fragt sich auch De Morgen auf seiner Titelseite, illustriert durch die Zinskurve der belgischen Staatsanleihen, die buchstäblich durch die Decke geschossen ist. Der Zinssatz für belgische Staatsobligationen überstieg gestern die Marke von 5,5 Prozent. Anders gesagt: Die Kredite, die der belgische Staat aufnehmen muss, sind im Begriff, unbezahlbar zu werden.
Unsere Staatsschuld wächst jetzt quasi im Minutentakt an, warnt La Libre Belgique. Und mit jeder weiteren Verzögerung wird das Schnüren des Haushalts 2012 noch komplizierter. Bislang hat der Belgier vielleicht noch nichts von der Krise bemerkt. Das kann sich aber sehr schnell ändern. Alle Zutaten für ein Katastrophen-Szenario sind jetzt vereint. Die Politik hat jetzt ihr Rendezvous mit der Geschichte.
Doch während jedem der Angstschweiß auf der Stirn steht, halten sich unsere Politiker offensichtlich weiter in einem Parallel-Universum auf, zwischen Rue de la Loi und einem Schloss in den Ardennen, konstatiert Het Nieuwsblad. Die Zeit läuft uns davon. Noch länger zu warten, um das zu tun, was ohnehin unvermeidlich ist, ist in keiner Weise mehr schönzureden.
Die Rechnung wird saftig
Die Muskelspielchen und die Konfrontation der gekränkten Egos, das alles hat doch längst absurde Züge angenommen, ärgert sich auch De Morgen. Während sich die Lage inzwischen minütlich zuspitzt, sind die Verhandlungen über den Haushalt 2012 sogar ausgesetzt, bittet Elio Di Rupo um zusätzliche Bedenkzeit, um seine Erfolgschancen auszuloten. Und das 529 Tage nach der Wahl. Das muss man sich erst mal trauen. Bislang lautete das Landesmotto: "L'union fait la force" - Einheit macht stark. Das kann man jetzt ersetzen durch: "Nach uns die Sintflut".
L'Echo jedenfalls präsentiert schon einmal die Rechnung. "Die politische Krise wird den Staat 1,8 Milliarden Euro kosten", titelt das Blatt. Zugegeben: Das ist auch äußeren Faktoren geschuldet, räumt L'Echo in seinem Leitartikel ein. Der belgische Bankensektor steht auf tönernen Füßen, nicht zu vergessen die Krise in der Eurozone. Doch selbst, wenn die politische Krise nur für einen Viertelprozentpunkt des belgischen Zinssatzes verantwortlich ist, dann ist das schon ein Viertelprozentpunkt zu viel.
Volk als Retter?
"Yves Leterme ruft jetzt die Belgier um Hilfe an", titeln fast gleichlautend De Standaard und Le Soir. Angesichts der steigenden Zinsen sowie der zunehmenden Sorgen um Dexia und KBC hat sich der amtierende Premier auf seinen letzten Trumpf besonnen: die Belgier selbst, meine De Standaard in seinem Leitartikel. Zum Glück hat dieses arme Land noch viele Bürger mit Geld. Und Leterme bittet die nun darum, in belgische Staatsanleihen zu investieren, um etwas den Druck vom Kessel zu nehmen. Damit das gelingt, muss der Belgier aber erst mal dem Land soweit vertrauen, dass er ihm sein Geld auch leiht. Und dazu bedarf es in erster Linie einer Regierung.
Die Belgier selbst sind jetzt das letzte Bollwerk, stellt auch Le Soir fest. Wenn die Sparer hierzulande ihr Geld in den Staat investieren, dann würde das dem Land und seinen Banken Luft verschaffen. Leterme appelliert also an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger. Man darf davon ausgehen, dass sie schneller darauf eingehen und Verantwortung übernehmen werden, als ihre Politiker.
Bild: Eric Lalmand (belga)