Die Schlagzeilen und Kommentare gehören heute voll und ganz der Regierungskrise. "Ein zerbrochenes Land", schreibt Le Soir auf seiner Titelseite. "Pokerspiel am Rande des Abgrunds", meint De Standaard. "Unverantwortlich", titelt La Dernière Heure auf Seite 1. "Hoffnungslos", schreibt Het Belang van Limburg. Und La Libre Belgique fasst es so zusammen: "das große Psycho-Drama".
Belgien steckt erneut in der politischen Sackgasse: 528 Tage nach der Wahl wirft Regierungsbildner Di Rupo das Handtuch. König Albert hält seine Antwort allerdings noch in der Schwebe und will Zeit gewinnen, um die Gemüter wieder zu beruhigen. In einer schriftlichen Mitteilung ruft der Palast zur Besonnenheit auf und erinnert an den Ernst der Lage.
Open Vld legt Veto ein
Auslöser der erneuten Zuspitzung am Verhandlungstisch ist das Veto der flämischen Liberalen. Die Open Vld hatte die Budgetvorschläge von Regierungsbildner Di Rupo erneut zurückgewiesen. Die Gräben zwischen Sozialisten und Liberalen sind damit noch größer geworden. "Wir haben es satt", meint Le Soir. Europa ist dabei zu implodieren, die Finanzmärkte stürzen ein, die Banken stehen kurz vor dem Kollaps und es droht eine weltweite Rezession, aber die belgischen Politiker schaffen es nicht, einen Haushalt zu schnüren. Das ist unverantwortlich und sogar kriminell, hält die Zeitung fest.
L'Avenir fragt sich: Wer sind diese Damen und Herren Politiker, die ständig den König dazu ziehen müssen, wie andere Gott oder einen Lehrer herbeirufen, um in einer Konfliktsituation zu entscheiden? Ähnlich sieht es auch La Dernière Heure und schiebt den flämischen Liberalen den Schwarzen Peter zu. 2010 hatte die Open Vld bereits die Regierung Leterme zu Fall gebracht. Jetzt ist Alexander De Croo erneut maßgeblich für die Krise verantwortlich.
Billiges Theaterstück
Het Nieuwsblad spricht von einem Häufchen Elend. Was in der Rue de la Loi geboten wird, ist sonst nur auf einer schlechten Laienbühne zu sehen. Das Theaterstück ist beschämend. Die Parteichefs können sich nicht einigen und der König muss mal wieder als Blitzableiter herhalten.
Auch La Libre Belgique findet: Dieses Spiel muss endlich ein Ende haben. Die Zeitung vergleicht die Parteivorsitzenden mit kleinen Kindern. Sie allein sind für das Schlamassel verantwortlich. Di Rupo bietet seinen Rücktritt an. Niemand am Verhandlungstisch versteht Alexander De Croo. Und Alexander De Croo kann das Rücktrittsgesuch von Di Rupo nicht nachvollziehen. Das ist schlimmer als im Kindergarten.
De Morgen hält fest: Eins haben die Politiker aus dem Norden und dem Süden bewiesen: Unfähigkeit kennt keine Grenzen.
Zusammenraufen und weitermachen
Die Realität ist relativ einfach, notiert Het Nieuwsblad. Die sechs Parteien müssen weitermachen. Sie sind zueinander verdammt, denn es gibt keine echte Alternative. Die Liberalen finden, dass die Reformen nicht weit genug gehen. Die Sozialisten hingegen haben den Eindruck, dass sie der Open Vld und der MR bereits weitreichende Zugeständnisse gemacht haben. Von ihrem jeweiligen Standpunkt aus gesehen, haben beide Lager recht, doch darauf kommt es jetzt nicht an. Ziel muss ein glaubwürdiger Haushalt sein.
Ähnlich sieht es La Libre Belgique: Die PS darf sich nicht weiter dem Druck der Gewerkschaften beugen. Andererseits darf die Open Vld sich nicht weiter von den flämischen Nationalisten unter Druck setzen lassen. Findet auch Het Belang van Limburg. Vor allem die sozialistische PS muss jetzt begreifen, dass der Staat saniert werden muss, ähnlich wie zu Beginn der 90er Jahre unter Jean-Luc Dehaene. Was damals möglich war, muss es jetzt auch sein.
Verzweiflungstat oder Druckmittel?
Het Laatste Nieuws fragt sich, ob die Flucht von Regierungsbildner Elio Di Rupo eine echte Verzweiflungstat ist oder ein weiteres Druckmittel. Für Gazet van Antwerpen steht die Antwort fest: Der Rücktritt Di Rupos ist pure Inszenierung. Der designierte Regierungschef will damit eine Einigung erzwingen.
Das Wirtschaftsblatt L'Echo sieht das anders. Nach fünf abgelehnten Haushaltsentwürfen ist Di Rupos Rücktritt keine Inszenierung. Er ist weit auf die Liberalen zugegangen. Sein Gang zum König ist daher nachvollziehbar.
Nach Ansicht von De Standaard ist der Denkfehler schon Anfang Juli begangen worden. Bereits in der ersten Di Rupo-Note lag der Schwerpunkt auf zusätzlichen Steuern. Der Regierungsbildner hat die Hartnäckigkeit der Open Vld unterschätzt. Und die Liberalen wiederum haben mit ihrem zu großen Reformdrang die Verhandlungen erschwert. Allerdings gibt es keine Alternative. Die sechs Parteien müssen weiter machen. L'Echo fasst es so zusammen: Di Rupo oder Neuwahlen.
Keine Zukunft mehr?
Le Soir hält auf seiner Titelseite fest: Belgien ist ein gebrochenes Land. Aktuell machen die politischen Lager das Königreich unregierbar. Früher oder später werden es aber wieder gemeinschaftspolitische Streitigkeiten sein. Belgien ist unregierbar geworden, findet auch Gazet van Antwerpen. Zu ungefähr alles haben Norden und Süden eine andere Meinung. Vielleicht schafft es Di Rupo noch eine Einigung aus dem Hut zu zaubern. Aber über Kurz oder Lang bricht uns der belgische Kompromiss das Genick.
Bild: John Thys (belga)