"Wer gibt nach?", titelt Het Nieuwsblad und bringt auf Seite eins Fotos der beiden Hauptdarsteller im Haushaltskrimi: Regierungsbildner Elio Di Rupo auf der einen, und OpenVLD-Chef Alexander De Croo auf der anderen Seite. Nach wie vor stehen sich Sozialisten und Liberale unversöhnlich gegenüber.
Jetzt geht es in die Beichtstühle
"Jetzt nimmt Di Rupo das Tempo raus", hebt dann auch L'Echo hervor. Tatsächlich hat ja Di Rupo erst mal darauf verzichtet, einen neuen Anlauf mit allen sechs Parteien am Verhandlungstisch zu unternehmen. Bis morgen Nachmittag will er wieder Einzelgespräche führen. Bei diesem Beichtstuhl-Intermezzo will der Regierungsbildner noch einmal die Kompromisslinien ausloten, um dann vielleicht ein neues letztes Angebot unterbreiten zu können.
"Di Rupo reißt das Ruder herum", bringt es denn auch De Standaard auf den Punkt. Der Regierungsbildner ändert den Kurs. Er hat begriffen, dass seine bisherige Strategie nicht aufgegangen ist.
Das war höchste Zeit, meint Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Di Rupo hat damit womöglich einen fatalen Zusammenstoß verhindert. Bislang konnte der definitive Bruch also noch verhindert werden. Das ist aber auch alles. Während Di Rupo beginnt, sich lächerlich zu machen, bringt er nämlich den Wohlstand des Landes jetzt ernsthaft in Gefahr.
Das Ganze ist doch absurd, poltert auch Het Belang van Limburg. Das letzte Wochenende sollte entscheidend sein. Jetzt ist eine Woche vergangen, und wir stehen schon wieder vor einem entscheidenden Wochenende. Dabei steht das Land vor gigantischen Herausforderungen. Und was tun unsere Politiker, die die nötigen Sparmaßnahmen treffen müssen? Sie spielen politische Spielchen. Die sechs Parteien müssen einsehen, dass sie nur kollektiv zu einem Ergebnis kommen können. Und das muss schnell passieren.
Gefragt: Mut für fünf Minuten
Le Soir richtet in diesem Zusammenhang auf seiner Titelseite einen flammenden Appell an die sechs Parteien und den Regierungsbildner. "Fünf Minuten Mut", prangt in Blockbuchstaben auf Seite eins des Brüsseler Blatts. Nur fünf Minuten lang müssen die Parteien den Mut aufbringen, um über ihren Schatten zu springen. Das Blatt gibt jedem einzelnen der sieben Hauptdarsteller individuelle Ratschläge. Regierungsbildner Di Rupo etwa sollte den Mut haben, tiefgreifende Reformen anzustoßen, auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen. Und er muss sich über die Parteien stellen, auch seine eigene.
In seinem Kommentar räumt Le Soir ein, dass die Situation für fast alle Parteien äußerst kompliziert ist. Die PS riskiert eine Konfrontation mit den Gewerkschaften, OpenVLD und CD&V spüren den heißen Atem der N-VA im Nacken. Das ist aber beileibe kein Grund, dieses Trauerspiel fortzusetzen. Worauf warten die Protagonisten? Dass ein Angriff von Spekulanten für die nötige Dramatik sorgt, um aus dieser Spirale herauszukommen? Das wäre nichts anderes als demokratische Feigheit. Jetzt bedarf es eben fünf Minuten des Mutes und der Risikobereitschaft.
Auch La Libre Belgique fordert, dass sich die Verhandlungspartner jetzt endlich zusammenreißen. Es muss ein Ruck durch die Gespräche gehen. Wenn sich weiter ein kompromissloser Sozialismus und ein halsstarriger Liberalismus gegenüberstehen, dann kann das nichts geben. Dass zwei dermaßen entgegengesetzte Strömungen überhaupt an einem Tisch sitzen müssen, ist dem Verhältniswahlrecht geschuldet. Hier zeigen sich die Schwächen des belgischen Konsensmodells. Nur ändert das nichts daran, dass wir jetzt Ergebnisse brauchen.
Liberale kopieren Sozialisten
Das Problem liegt in der Tat im Gegensatz zwischen PS und OpenVLD, meint auch Het Nieuwsblad. Nur hält Di Rupo die Schlüssel in Händen. Vielleicht ist die OpenVLD am Verhandlungstisch eher isoliert. Doch gilt das in gewissen Bereichen auch für die PS, die ebenfalls häufig alleine dasteht. Die PS kann nicht umhin, einige ihrer Tabus loszulassen. Di Rupo muss auch seine eigene Partei auf Konsens einschwören.
De Morgen wartet da mit einer originellen Lesart auf. Im Endeffekt, so die These, spielt die OpenVLD exakt die Rolle, auf die vorher jahrzehntelang die PS spezialisiert war. Bislang war es ja so, dass die PS immer die zweite Geige spielte, die Sozialisten damit auch dem Anwärter auf den Posten des Premiers einige Grundbedingungen vordiktieren konnten. Jetzt spielt die OpenVLD dasselbe Spiel. Di Rupo soll daraufhin den Liberalen gegenüber erklärt haben, dass er den Posten des Premiers nicht um jeden Preis beansprucht. Das geht allerdings gar nicht. Mit einem Premier-Anwärter, der keiner ist, wird man nie eine Regierung bilden.
Genau diesen Eindruck hat auch La Dernière Heure. Man wagt es ja gar nicht zu sagen, aber irgendwie hat man das Gefühl, Di Rupo habe gar keine Lust auf den Posten des Premiers. Leute wie Jean-Luc Dehaene oder Guy Verhofstadt haben in ihren Zeiten den letzten Biss an den Tag gelegt - der Erfolgshunger war quasi spürbar. Sie setzten wirklich und demonstrativ alles daran, die Schlüssel für das Büro in der Rue de la Loi Numéro 16 zu erobern. Und mit diesem Willen konnten sie Berge versetzen. All das lässt Di Rupo vermissen. Und das muss sich ändern. Ansonsten kann man ihm nur anraten, zu verzichten. Zu seinem Wohl, und zum Wohle des Landes.
Autos als Ausrede
De Morgen beleuchtet derweil auf seiner Titelseite schon eine der Maßnahmen, die wohl am Ende mit Sicherheit im Haushalt stehen dürfte, nämlich: die verstärke Besteuerung von Dienstwagen. Der Chef von Volvo Gent, Geert Bruyneel, kann vor einem solchen Schritt nur warnen: "Damit verscheucht man den Automobilsektor aus Belgien", zitiert ihn das Blatt. Die Gefahr besteht nämlich, dass Belgien ein autofeindliches Image bekommt, und die Industrie sich abwendet.
Um Autos geht es auch auf der Titelseite von Het Laatste Nieuws. Die flämische Regierung hat angekündigt, die Steuer auf schadstoffintensive Autos zu erhöhen: Hier sind 17 der 20 populärsten Fahrzeugtypen betroffen.
Kommentierend meint dazu Het Laatste Nieuws: Da gibt es kein Vertun: Anscheinend geht das Auto mal wieder als die ideale Ausrede durch, um die Steuern zu erhöhen. Das gilt sowohl für die föderale als auch die flämische Ebene. Dabei dürfte doch jedem klar sein, dass der Steuerdruck gerade in Belgien nicht mehr steigen kann, steigen darf. Zumal gleich welche Steuererhöhung die Flamen zwangsläufig härter trifft. Di Rupo und Co. müssen einsehen, dass der flämische Mittelstand keine Lust hat, auf ewig und immer die Zeche zu zahlen.
Exklusiv in Syrien und Geburtstagsfeier bei L'Echo
La Libre Belgique bringt heute eine exklusive Reportage aus Syrien: Ein Journalist der Zeitung hat es bis nach Homs geschafft, dem Zentrum der Proteste gegen das Assad-Regime. "Im Herzen der syrischen Revolte", so denn auch die Schlagzeile.
Das Börsenblatt L'Echo schließlich bringt heute zum Anlass seines 130-jährigen Geburtstags eine große Sonderbeilage. Unter anderem mit einem Faksimile der allerersten Ausgabe des Blattes, das damals noch "L'Echo de la Bourse" hieß. Beim eigentlichen Festakt vorgestern hatte der große Boss von GDF-Suez, Gérard Mestrallet, klar und deutlich dem belgischen Staat gedroht. Bei GDF-Suez und vor allem Electrabel habe man mehr und mehr den Eindruck, das Opfer einer Hetzjagd zu sein. Der Konzern könnte seine Investitionspolitik in Belgien auf Dauer grundlegend überdenken. Und diese Warnung muss man ernst nehmen, meint L'Echo. Es gibt nämlich weiß Gott interessantere Märkte mit mehr Wachstumspotenzial als Belgien.
Archivbild: Dirk Waem (belga)