Beherrschendes Thema in den Berichten und Kommentaren in der Tagespresse ist heute der Absturz der christlichen Finanzholding Arco. Viele Leitartikler kritisieren, dass die Arco-Mitglieder für ihren Verlust entschädigt werden sollen. Zweites großes Thema sind naturgemäß die Brüsseler Koalitionsverhandlungen, wo es nach wie vor keinen weißen Raum gibt.
"Arco: Neues Pech für den belgischen Staat", titelt heute La Libre Belgique. "Der Sturz von Arco wird die Belgier viel Geld kosten", so die Schlagzeile von Le Soir.
Gestern hat die Arco, also die Finanzholding der christlichen Arbeiterbewegung ACW, sozusagen den Offenbarungseid geleistet. Die Kooperative ist am Ende, die drei wichtigsten Unternehmensteile werden abgewickelt. Arco ist nach der Gemeindeholding das zweite prominente Opfer des Dexia-Debakels. Arco hielt knapp 14 Prozent der Dexia-Anteile, die ja inzwischen so gut wie nichts mehr wert sind.
Arco zählt rund 800.000 Mitglieder, die jeweils im Durchschnitt etwa 2.000 Euro in die Kooperative gesteckt haben. Die Betroffenen sollen aber ihre Einlagen zurückbekommen - im Rahmen der Garantie, die der Staat für Sparguthaben übernimmt.
Die Arco-Mitglieder werden aber rund drei Jahre auf ihr Geld warten müssen, wie Het Belang van Limburg hervorhebt. Denn zunächst müssen die drei Unternehmensteile ja abgewickelt werden.
Steuerzahler soll Verlust tragen
Die Entschädigung der Arco-Mitglieder wird den belgischen Staat viel Geld kosten. Man spricht von 1,5 Milliarden Euro, sprich 136 Euro pro Belgier, wie De Standaard hervorhebt. Le Soir scheint sich da offensichtlich verrechnet zu haben und spricht von Gesamtkosten in Höhe von 1350 Euro pro Einwohner.
Naja, fest steht: Der Sturz der Arco wird teuer. Die meisten Leitartikler gehen deswegen mit den Verantwortlichen hart ins Gericht. Die Entschädigung der Arco-Mitglieder ist absolut nicht zu rechtfertigen, donnert etwa La Libre Belgique. Wie kann es sein, dass man die Arco-Mitglieder als Sparer betrachtet? Dafür gibt es keine Grundlage. Es sind Aktionäre, Punkt. Hier hat wohl die christliche Arbeiterbewegung Lobby-Arbeit betrieben - verheerende Lobby-Arbeit.
Le Soir spricht sogar von Erpressung. Anscheinend hat Arco der Regierung angedroht, seine Mitglieder dazu aufzurufen, ihr Geld von der Dexia abzuziehen. Und die Dexia gehört jetzt schließlich dem belgischen Staat. Die Entschädigung der Arco-Mitglieder ist ein Skandal, beruht auf politischen Ränkespielchen. Anscheinend ist die Vorzugsbehandlung für Arco eine Gegenleistung für die Rettung der Ethias im Jahr 2008. Fazit: In Belgien muss man nur Aktionär einer sozialistischen Versicherungsgesellschaft oder einer christlichen Finanzholding sein, und dann gehen die Uhren anders.
Alle sind gleich, nur die Arco-Mitglieder sind gleicher
Jeder ist gleich vor dem Gesetz - das ist das Fundament eines jeden Rechtsstaats, bemerkt Het Nieuwsblad. Das gilt aber offensichtlich nicht, wenn man Mitglied von Arco ist. Was muss sich jetzt der kleine Fortis-Aktionär denken, der 2008 alles verloren hat? Für die Arco-Mitglieder steht der Staat gerade. Hier die Garantien für Spareinlagen greifen zu lassen, ist unlauter. Nach wie vor muss gelten: Wer mehr Rendite will, als ein Sparkonto hergibt, der geht ein Risiko ein. Und wer pokert, der kann verlieren. Diese Regeln für eine kleine Gruppe von Anlegern neu schreiben zu wollen, ist unverantwortlich.
Allein Het Belang van Limburg sieht das Ganze nuancierter. Aus rechtlicher Sicht sind die Arco-Mitglieder wohl in der Tat keine Sparer. Sie haben sich aber selbst als solche betrachtet, da ihre Bank ihnen das so verkauft hatte. Die Arco-Mitglieder haben sich nie als Anleger verstanden. Und das ist es, was zählt.
Moralischer Bankrott
Het Laatste Nieuws sieht das ganz anders. Hier werden wirklich alle Grundsätze auf den Kopf gestellt. Arco hat seinen Mitgliedern weisgemacht, dass sie Sparer sind. Das ist allein das Problem der Verantwortlichen. Hier wird eine Garantie sozusagen im Nachhinein zuerkannt, als würde man eine Versicherung abschließen, nachdem es zu einer Katastrophe gekommen ist. Hinzu kommt: Die Arco-Mitglieder haben über Dividenden mitunter das Vierfache ihres Einsatzes verdient. Und für ihr Startkapital darf jetzt der Steuerzahler aufkommen.
Genau deswegen ist im Grunde auch die christliche Arbeiterbewegung in ihrer Gesamtheit diskreditiert, analysiert De Standaard. Nicht nur, dass die ACW finanziell ins Wanken gerät, sie muss auch moralisch Bankrott anmelden. Die ACW ist ja unter anderem der Dachverband der christlichen Gewerkschaft CSC. Und jetzt verhält man sich genauso, wie man es immer wieder dem Großkapital unterstellt: Man hechelt Gewinnen nach, und wenn es schief geht, werden die Verluste sozialisiert. Die christliche Arbeiterbewegung agiert nicht anders als der gemeine Banker.
Wieder eine "Nacht der Wahrheit"
Zweites großes Thema sind naturgemäß die Brüsseler Koalitionsverhandlungen. "Es war die soundsovielte Nacht der Wahrheit", bringt es Het Laatste Nieuws auf den Punkt. Wie man weiß, wurde ja immer noch kein Durchbruch erzielt.
Gazet van Antwerpen hatte es schon geahnt: Aus einer solchen Konstellation kann nichts werden. Eine Koalition aus den drei traditionellen Familien kann sozusagen von Natur aus nicht über ein wirklich kohärentes Programm verfügen. Und wenn sich Sozialisten, Liberale und Christdemokraten am Ende doch zusammenraufen können, dann kennt man schon im Voraus das Ergebnis: Ein Flickenteppich von hunderten kleinen Maßnahmen, wo niemand einen roten Faden entdecken kann.
De Morgen hebt seinerseits die Geduld insbesondere von Regierungsbildner Di Rupo hervor. Der Mann ist die Ruhe selbst. Wartet, bis die CD&V sich von der N-VA löst, bis die MR dazu bereit war, die FDF fallen zu lassen, bis die Verhandlungspartner derart entnervt sind, dass sie quasi jeden Kompromiss unterschreiben würden. Allerdings zieht sich dieses Endspiel nun auch wieder in die Länge.
Koalitionen in Teilstaaten unter Druck
In der Zwischenzeit geraten aber auch die Koalitionen auf Teilstaatenebene zunehmend unter Druck, wie Le Soir auf seiner Titelseite hervorhebt. Demnach ist das Szenario noch nicht vom Tisch, dass die MR in der wallonischen Region beziehungsweise in der französischen Gemeinschaft von der Oppositionsbank in die Regierung wechseln könnte.
L'Avenir hält davon gar nichts. Die verschiedenen Ebenen sollten unabhängig voneinander funktionieren. Das ist in einem komplexen Land wie Belgien von grundlegender Bedeutung. Und wenn die MR dafür bis zu den Regionalwahlen 2014 in der Opposition bleiben muss: nun, Pech gehabt.
Bild: Julien Warnand (belga)