Innenpolitisch steht vor allem der jetzt bekräftigte Atomausstieg des Landes im Fokus. Insbesondere die flämischen Zeitungen beleuchten ihrerseits ein Verbrechen, das möglicherweise vermeidbar gewesen wäre.
"Heute sind wir sieben Milliarden", titelt Het Belang van Limburg. Auch auf der Titelseite von La Libre Belgique: Eine sieben mit neun Nullen. Die Erde hat heute ihren siebenmilliardsten Bewohner willkommen geheißen. Die Erdbevölkerung wächst immer schneller.
La Libre Belgique bringt einen ausgiebigen Überblick über die demografische Entwicklung und kann nur feststellen: 1960 lebten noch drei Milliarden Menschen auf der Erde. Keine 40 Jahre später, 1999, waren es doppelt so viele. 2024 wird wohl die Schwelle von acht Milliarden Erdenbürger überschritten.
Sieben Milliarden Menschen und eine Erde
La Libre Belgique macht diese Entwicklung Angst. Die Ressourcen der Erde sind endlich. Hinzu kommt die fortschreitende Zerstörung der Umwelt. Das explosionsartige Wachstum der Erdbevölkerung ist zudem gepaart mit sozialen Problemen: Es gibt immer mehr arme Menschen, und die Reichen werden immer älter. Schon jetzt ist einer von vier Erdbewohnern über 60 Jahre alt. Allein diese Zahlen zeigen: Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen.
Het Belang van Limburg warnt demgegenüber vor Schwarzseherei. Die Demografie-Explosion ist nur vordergründig das Problem. Die Frage ist vielmehr, wie man damit umgeht. Hungersnöte sind nicht auf Lebensmittelknappheit zurückzuführen, sondern auf deren ungerechte Verteilung. Die wachsende Zahl der Erdbevölkerung wird nur dann zum Problem, wenn man aus dem Blickwinkel des Westens argumentiert. Denn eins ist sicher: Es ist in der Tat unmöglich, allen sieben Milliarden Menschen denselben materiellen Wohlstand zu bieten, wie den Amerikanern und Europäern.
Atomausstieg - längst beschlossen, jetzt bekräftigt
Innenpolitisch richten sich derweil weiterhin alle Augen auf die Brüsseler Koalitionsverhandlungen. Die sechs Parteien haben gestern den belgischen Atomausstieg bekräftigt. Beschlossen wurde die Abkehr von der Kernenergie eigentlich bereits im Jahr 2003. In den letzten Jahren war das Prinzip aber verstärkt in Frage gestellt worden. "Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Belgien steigt aus der Kernenergie aus", titelt denn auch Le Soir.
Allerdings lässt man vorerst den Zeitplan offen. Zunächst soll eine Bestandsaufnahme gemacht werden, um zu ermitteln, inwieweit Belgien auf die Atomkraft verzichten kann. Deswegen auch die Schlagzeile von La Libre Belgique: "Atomausstieg - wann? Das muss man noch sehen."
De Standaard spricht auf seiner Titelseite indes von einem "intelligenten" Atomausstieg. In jedem Fall will man verhindern, dass in Belgien irgendwann einmal das Licht ausgeht. Für die Regulierungsbehörde CREG ist diese Gefahr schon jetzt gegeben, wie Het Laatste Nieuws berichtet. Sollten wir einen strengen Winter bekommen, dann drohen in Belgien Stromengpässe, warnt die CREG. Der Grund: Deutschland und Frankreich produzieren immer weniger Überschüsse. Der Betreiber der Hochspannungsnetze, Elia, weist seinerseits diese Schreckensszenarien zurück.
Le Soir übt in seinem Leitartikel harsche Kritik an der belgischen Energiepolitik. Seit nunmehr acht Jahren wird in Sachen Atomausstieg herumgeeiert. Mehr als 3000 Tage, nachdem die Abkehr von der Kernenergie im Parlament beschlossen wurde, wird diese Energiewende jetzt mal eben bestätigt. Dabei ist der Kompromiss von gestern Abend voller Hintertüren und rhetorischer Fallstricke. Die Energiepolitik regelt man nicht zwischen Tür und Angel an einem Sonntag im Herbst. Acht Jahre Kafka: Jetzt reicht's.
Von Haushalten und Sandkästen
Die künftigen Koalitionspartner müssen in dieser Woche auch letzte Hand an den Staatshaushalt 2012 legen. Und die Aufgabe wird von Tag zu Tag schwieriger. Regierungsbildner Elio Di Rupo ging bislang von einem Wachstum von 1,6 Prozent aus. Nach Informationen von De Morgen hält der Hohe Finanzrat diese Zahlen aber für unrealistisch.
Die Wirtschaft stagniert, warnt auch Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Es geht gar das Gespenst einer neuen Rezession um. Und währenddessen üben sich die sechs Parteien am Verhandlungstisch weiter in Haarspaltereien. Dabei gilt es mehr denn je, die Vorgabe des belgischen EU-Ratspräsidenten Hermann Van Rompuy umzusetzen, die da lautet: "Macht eure Hausaufgaben gründlich, aber vor allem: Macht sie schnell!"
L'Avenir kann in seinem Leitartikel nur feststellen, dass eben die Parteien, die die künftige Koalition stellen sollen, keine Gelegenheit auslassen, um sich hart anzugehen. Noch am Wochenende gab es in den politischen Fernsehdiskussionen handfesten Streit allen voran zwischen Sozialisten und Liberalen. Das ist auf Sandkastenniveau, tobt L'Avenir. Angesichts der Krise wäre vielmehr Teamgeist gefragt.
De Standaard beleuchtet seinerseits die jüngsten Angriffe von N-VA-Chef Bart De Wever auf den wohl zukünftigen Premierminister Elio Di Rupo. De Wever hatte in scharfen Worten die Niederländisch-Kenntnisse von Elio Di Rupo als unzureichend kritisiert. Erstens, so meint De Standaard: Di Rupos Niederländisch-Kenntnisse sind zwar schlecht, aber so schlecht auch wieder nicht. Zweitens: Es gibt derzeit wohl wichtigere Probleme als die Sprachkenntnisse des Premiers. Und drittens: Es bleibt faszinierend, wie ein Kind von bettelarmen Gastarbeitern sich dermaßen hocharbeiten konnte. Man darf sich die Frage stellen, ob ein solcher Aufstieg in Flandern auch möglich gewesen wäre.
Chronik eines angekündigten Mordes
Die beiden großen populären Blätter in Flandern haben dasselbe Aufmacherthema: "Mörder tötet erneut", titelt Het Laatste Nieuws. "Freigelassen, um wieder zu morden", so Het Nieuwsblad. Ein 50-jähriger Mörder hat demnach während seines Hafturlaubs eine 57-jährige Frau ermordet.
Man hat das dumpfe Gefühl, dass dieses Verbrechen vermeidbar gewesen wäre, meint Het Nieuwsblad in seinem Kommentar. Dennoch ist das kein Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten, indem man etwa Hafturlaub oder vorzeitige Haftentlassung in Frage stellt. Aufgabe der Justiz ist es nach wie vor, Straftäter auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten. Der Punkt ist allerdings: Die Justiz muss auch die Mittel dazu bekommen.
Bild: Sanjeev Gupta (epa)