Ein zentrales Thema in den Berichten und Kommentaren in der Tagespresse ist der neuerliche Streit bei den Koalitionsverhandlungen. Die Liberalen stellen ja mit Blick auf die unvermeidlichen Sparmaßnahmen die Lastenverteilung zwischen dem Föderalstaat und den Regionen des Landes in Frage. Weiter im Fokus außerdem: der Absturz der Dexia und seine Folgen. Viele Leitartikler stellen sich nach wie vor die Frage, wer die Schuld an dem Debakel trägt.
"Die Liberalen machen Regierungsbildner Di Rupo keine Geschenke", titelt heute La Libre Belgique. L'Avenir ist konkreter: "Die MR schießt auf die Regionen". Bei den Verhandlungen über den Haushalt 2012 ist es gestern zu einem handfesten Streit gekommen. "Kräftemessen zwischen Michel und Di Rupo", fasst es Le Soir in einer Schlagzeile zusammen.
Kurz zusammengefasst: Die Liberalen, allen voran die frankophone MR, sind strikt dagegen, dass der Großteil der Sparanstrengungen am Föderalstaat hängen bleibt. Stattdessen sollten auch die Teilstaaten stärker mit einbezogen werden; und das schon ab dem kommenden Jahr und nicht erst, wie ursprünglich vorgesehen ab 2013.
Erstes Argument: Insbesondere Flandern ist reich und sollte mehr bezahlen, zitiert Het Nieuwsblad den MR-Vorsitzenden Michel. Zweites Argument: In der Wallonie und Brüssel werde zu viel Geld verschwendet. Für La Dernière Heure hat die MR denn auch die "Jagd auf Verschwendungen" eröffnet.
Muskelspielchen stören Koalitionsverhandlungen
Dabei ist offensichtlich, wie insbesondere L'Avenir hervorhebt, dass die Liberalen aus parteitaktischen Erwägungen handeln: In allen regionalen Parlamenten sitzen die Liberalen in der Opposition.
Der Hohe Finanzrat soll es jetzt richten, wie De Standaard auf seiner Titelseite hervorhebt. Dessen Prognosen für den Haushalt 2012 datieren von März dieses Jahres. Der Hohe Finanzrat soll also seine Berechnungen aktualisieren und dabei auch den Verteilerschlüssel zwischen Föderalstaat und Teilstaaten neu festlegen.
Einige Leitartikler haben überhaupt kein Verständnis für diese neuerlichen Querelen. Während die ganze Welt versucht, den Euro, die Banken, die Wirtschaft insgesamt zu retten, erlaubt sich die Brüsseler Politik wieder eine Ehrenrunde, konstatiert Het Laatste Nieuws. Glauben die Damen und Herren in der Rue de la Loi allen Ernstes, dass wir es uns erlauben können, wieder eine volle Woche durch parteipolitische Spielchen zu vergeuden? Den Parteien fehlt es offensichtlich an Verantwortungsbewusstsein.
Auch für La Libre Belgique ist jetzt vor allem Eile geboten. Klar: Jede Partei will erhobenen Hauptes aus den Regierungsverhandlungen herauskommen. Doch darf das Land dabei keinen Schaden nehmen. Mit jedem Tag, der vertrödelt wird, werden die Sparanstrengungen größer.
Die Liberalen haben Recht
De Standaard setzt sich derweil inhaltlich mit dem MR-Vorstoß auseinander und stellt fest: Flandern hat in den letzten Jahren seine Hausaufgaben gemacht, sprich: seinen Haushalt schneller und gründlicher saniert als die anderen Teilstaaten. Es darf nicht sein, dass Flandern jetzt dafür bestraft wird. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass man nicht auch in Flandern einige Ausgaben noch einmal unter die Lupe nehmen soll. Im Vordergrund muss immer die Frage stehen, ob jeder ausgegebene Euro auch wirklich nötig ist.
Het Belang van Limburg hingegen gibt den Liberalen recht. Die ursprüngliche Berechnung des Anteils der Regionen an den Sparanstrengungen ist überholt. Davon abgesehen: Es ist im Sinne der Bürger, dass die Sparmaßnahmen auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Wenn man die Sanierung allein dem Föderalstaat überlässt, dann führt wohl kein Weg an neuen Steuern und Einschnitten in der Sozialen Sicherheit vorbei.
Von Bürgermeistern und Bankiers
Viele Zeitungen befassen sich auch heute weiter mit dem Dexia-Debakel und seine Folgen. "Dexia sucht einen neuen Namen", notiert De Morgen auf seiner Titelseite. Demnach ist man wohl zu dem Schluss gekommen, dass der Markenname Dexia allzu beschädigt ist.
Der Dexia-Absturz hat ja auch die so genannte Gemeindeholding mit in den Abgrund gerissen: Die Gemeindeholding, die ja die Dexia-Beteiligungen der Kommunen bündelte, soll in Kürze abgewickelt werden. De Standaard und Het Nieuwsblad bringen dazu ein ausgiebiges Interview mit dem Verwaltungsratspräsidenten der Gemeindeholding Francis Vermeiren. Der wäscht seine Hände in Unschuld: Er habe sich nichts vorzuwerfen, im Nachhinein sei man immer schlauer.
Le Soir bringt in seinem Leitartikel bis zu einem gewissen Maß Verständnis für die Entscheidungen der Gemeindeholding und der Kommunen auf. Unter uns gesagt, meint das Blatt, wäre nicht jeder auf die Bitte des Föderalstaates eingegangen, sich an der Dexia-Rettung 2008 zu beteiligen? Zumal ja eine Rendite von 13 Prozent winkte. Spätestens jetzt wissen wir aber: Bürgermeister und Bankier, das sind zwei verschiedene Berufe.
Het Nieuwsblad hingegen übt scharfe Kritik an den Politikern, die jahrzehntelang allerlei Verwaltungsräte bevölkert haben. Hier ging es nie um Kompetenz, sondern allenfalls um Kompensationen. Die Verwaltungsräte von Dexia oder von der Gemeindeholding waren Abstellgleise für ausgediente Politiker. Die betrachteten solche Mandate als einen Dank für geleistete Dienste, wobei man keinerlei Gegenleistung erbringen musste. Damit muss jetzt endgültig Schluss sein.
Der Steuerzahler als Notstopfen
Auch für Gazet van Antwerpen steht weiter die Schuldfrage im Raum. Wer verzockte unser Geld? Der Bürger hat ein Recht auf eine Antwort auf diese Frage. Morgen werden in der Kammer die Verantwortlichen der Nationalbank und der Bankenaufsicht in Sachen Dexia-Debakel angehört. Dann wird sich wohl entscheiden, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. Es steht aber zu befürchten, dass es keine parlamentarische Aufarbeitung geben wird. Wenn es so kommt, dann kann man allerdings das Parlament gleich abschaffen.
Dabei ist die Dexia-Geschichte womöglich noch nicht vorbei, warnt das Börsenblatt L'Echo auf seiner Titelseite. Die Bank sitzt weiter auf einem Berg von griechischen und auch italienischen Staatsanleihen. Im Übrigen droht die griechische Krise weiterhin, den gesamten europäischen Finanzsektor ins Wanken zu bringen, warnt das Blatt in seinem Kommentar. Möglicherweise müssen die Banken dem griechischen Staat 50 Prozent seiner Schulden erlassen. Und ob das reichen wird, ist mehr als fraglich. Vielleicht läuft es am Ende darauf hinaus, dass der europäische Steuerzahler - mehr noch als bisher - zur Eindämmung der Krise beisteuern muss. Denn eins ist sicher: Irgendjemand muss bezahlen.
Archivbild: belga