"Belgien wird der Krise nicht entrinnen" titelt heute L'Echo. Viele Zeitungen beschäftigen sich heute mit der wirtschaftlichen Lage des Landes.
Alle sind sich einig: Die Woche war geprägt von Hiobsbotschaften: Erst die Rettung der Dexia-Bank, die ja im Grunde nur den Absturz der Finanzgruppe besiegelte, dann die angekündigte Schließung der Warmstahlproduktion in Lüttich, sowie die Delokalisierungspläne beim Finanzdienstleister EuroClear und beim flämischen Bushersteller VanHool. Belgien wurde von der Wirklichkeit eingeholt, notiert L'Echo.
"Les indignés"
In diesem Zusammenhang beschäftigen sich heute La Libre Belgique und Le Soir mit den "Empörten", den indignés, jener Protestbewegung, die im Mai dieses Jahres in Madrid gegründet wurde, und die gegen die Auswüchse des globalen Finanzkapitalismus aufbegehrt.
Seither hat sich der Protest über die ganze Welt verbreitet, von Madrid über Brüssel, Rom, Athen und New York, wie Le Soir notiert. Heute (Samstag) soll es in 719 Städten in 71 Ländern große Kundgebungen geben, darunter auch in Brüssel. La Libre Belgique hat sich in Brüssel unter besagte Empörte gemischt. Am Freitag hatte ja ein Übergriff eines Polizisten auf eine junge Demonstrantin für Schlagzeilen gesorgt.
Man sollte diese Menschen ernst nehmen, meint La Libre Belgique in ihrem Kommentar. Es wäre jedenfalls falsch, die Proteste als einfachen Ausdruck jugendlicher Aufmüpfigkeit zu betrachten. Vielmehr sollte jeder für sich selbst diese Bewegung zum Anlass nehmen, über unsere Gesellschaft nachzudenken und sie auch in Frage zu stellen.
ArcelorMittal weiter in der Kritik
Empört sind nach wie vor auch viele Zeitungen angesichts der jüngsten Entwicklungen insbesondere bei ArcelorMittal in Lüttich. Jetzt ist es amtlich, hebt L'Avenir hervor: ArcelorMittal streicht in Lüttich 581 Jobs. Man werde aber alles tun, um reine Entlassungen, also betriebsbedingte Kündigungen, zu vermeiden, verspricht die Direktion. Die Gewerkschaften sind demgegenüber vorsichtig und versprechen: Wir werden nicht lockerlassen, wir kämpfen bis zum Schluss.
Het Belang van Limburg geht mit ArcelorMittal hart ins Gericht. Die Lütticher Hochöfen und die Warmstahlproduktion, das war de facto nichts anderes als eine Scheinfirma. Diese Produktionsbereiche waren ja erst vor zweieinhalb Jahren wieder eingeweiht worden, standen aber monatelang konjunkturbedingt still. In der Zeit konnte ArcelorMittal aber noch intensiver die Staatskasse plündern. 2009 bezahlte ArcelorMittal in Belgien gerade mal 496 Euro Steuern, den Fiktivzinsen auf Risikokapital sei Dank. Außerdem bekam das Unternehmen Emissionsrechte geschenkt, die man dann später für eine Milliarde Euro verkaufte. Und wenn man sich einmal die Taschen vollgestopft hat, dann bricht man die Zelte ab und zieht weiter.
So tragisch das Ganze auch ist, meint Het Laatste Nieuws, in der Wallonie und insbesondere in Lüttich sollte man jetzt endlich einsehen, dass die Ära der Kohle- und Stahlindustrie endgültig vorbei ist. In früheren Zeiten wurde die Schwerindustrie mit Hilfe von öffentlichen Finanzspritzen künstlich am Leben gehalten. Wie man sieht, hat das das Ende nur herausgezögert. Das Geld hätte man vielmehr in einen Strukturwandel investieren sollen. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, man sollte aber auch nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen.
"Dexia birgt größeres Risiko als erwartet"
Ein weiteres Dauerbrennerthema ist der Absturz der Dexia mit seinen dramatischen Folgen für die Gemeinden und Regionen des Landes. Der belgische Staat hat ja die Dexia-Bank Belgien aus der Gruppe herausgekauft und zugleich mit Milliardenbeträgen für die verbleibende Restbank gebürgt. Nach Informationen von De Morgen könnte das das Land noch teuer zu stehen kommen. Demnach betrachte die US-Bank Morgan Stanley Belgien nach dem Dexia-Deal als das verwundbarste Euro-Land. Die Risiken seien enorm: im Extremfall könnten sich die Verluste auf 140 Milliarden Euro belaufen; das entspricht 40 Prozent de Bruttoinlandsproduktes.
Demgegenüber erscheinen die Beschwichtigungen der Regierung fast schon wie heiße Luft, meint De Morgen in seinem Kommentar. Die Regierung will uns weismachen, dass die Übernahme von Banken nichts kostet. Dabei wagt man sich weiter vor als seinerzeit Griechenland.
Apropos Banken: Het Laatste Nieuws sorgt sich auf seiner Titelseite um das Schicksal der europäischen Banken insgesamt, von denen viele ja auch in Belgien aktiv sind. Offenbar erwägt eine Ratingagentur, die Kreditwürdigkeit einer Reihe von Geldhäusern herabzustufen.
Tatsächlich geraten viele Banken wegen der Schuldenkrise in Europa mächtig unter Druck, stellt L'Echo in seinem Leitartikel fest. Dexia war nur ein Weckruf. Die Banken brauchen frisches Kapital. Und hier droht ein Teufelskreis: Je mehr die Staaten sich verschulden müssen, um ihre Banken zu retten, desto weniger wert sind die von ihnen ausgegebenen Staatsanleihen. Und das wiederum erhöht den Kapitalbedarf bei den Banken.
Het Nieuwsblad hat seinerseits die Nase voll von diesem Theater. Das Blatt spricht in seinem Leitartikel vom "Terror der Ratingagenturen". Auf der einen Seite haben die Rating-Büros das Schicksal unseres Landes in der Hand - eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit kann Belgien sehr viel Geld kosten. Auf der anderen Seite sind diese Ratingagenturen aber längst nicht über jeden Verdacht erhaben. Im Gegenteil: Sie tragen eine erhebliche Mitschuld an der Bankenkrise von 2008. Dabei sollten die Politiker allerdings nicht vergessen, dass letztlich sie es sind, die das Schicksal des Landes bestimmen.
"Grüne ungerecht behandelt"
Seit einigen Tagen weiß man ja, wie die künftige Regierungskoalition aussehen soll: Sozialisten, Christdemokraten und Liberale werden die nächste Regierung stellen. Die Grünen wurden insbesondere auf Druck der flämischen Liberalen vor die Tür gesetzt, obwohl sie monatelang an der Ausarbeitung der Staatsreform mitgewirkt haben. Le Soir kann das in seinem Leitartikel nur bedauern. Was den Grünen passiert, ist ungerecht. Letztlich ist ihr Rauswurf ein weiterer Sieg für die N-VA, die auf die rechten Flügel der flämischen Parteien erheblichen Druck ausübt. Effizienter wird die Arbeit der Regierung ohne die Grünen nicht, da sie insbesondere in Sachen Staatsreform in die Prozesse eingebunden bleiben.
Auch L'Avenir kann die Wut der Grünen nachvollziehen. Sie gehörten mit Sicherheit zu den konstruktivsten Partnern am Verhandlungstisch und wurden aus fadenscheinigen Gründen ausgeschlossen, als man sie nicht mehr brauchte. Das kann auf frankophoner Seite für die PS noch zum Problem werden, weil sich die Grünen wohl jetzt ganz deutlich auf der linken Seite profilieren wollen.
De Morgen berichtet heute auf seiner Titelseite über offenbar neuen Wirbel an der Spitze der föderalen Polizei. Gesucht wird ja derzeit ein Nachfolger für Generalkommissar Fernand Koekelberg. Bei der Eignungsprüfung soll es aber zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Jedenfalls haben einige Kandidaten Beschwerde eingelegt.
"Der Winter kann kommen", meint derweil L'Avenir und stellt fest: der Aktionsplan der Wallonischen Region für die Winterdienste ist einsatzbereit.
Papa will wieder Bürgermeister werden
Viele Zeitungen schließlich berichten heute über den Comeback-Versuch von Michel Daerden. Der PS-Politiker war ja als Bürgermeister von Ans von seinen Parteikollegen geschasst worden. Jetzt will er kurzerhand in der Nachbargemeinde St. Nicolas als Spitzenkandidat bei den Gemeinderatswahlen antreten. La Dernière Heure geht mit dem Kunstgriff hart ins Gericht: Hier wird der Wähler für dumm verkauft, meint das Blatt.
Archivbild: Bruno Fahy (belga)