"Niemand fühlt sich verantwortlich", titelt heute Het Laatste Nieuws. Gemeint ist damit die Asyl- und Einwanderungspolitik. Das Blatt kommt damit noch einmal auf die Polemik um die Aussagen zweier hoher Vertreter der Antwerpener Justiz zurück: Der Generalprokurator Yves Liégois und auch der Generalanwalt Piet Van den Bon hatten angeprangert, dass zu viele gesetzliche Schlupflöcher Sozialbetrug begünstigten. Dadurch drohe die soziale Sicherheit auszubluten.
Doch scheint sich in der Politik niemand angesprochen zu fühlen, bemerkt Het Laatste Nieuws. Der Grund liegt auf der Hand: Für den Bereich Einwanderungs- und Asylpolitik beziehungsweise Sozialbetrug sind insgesamt im weitesten Sinne neun Minister zuständig.
Der Justiz sollte man zuhören
Auch Het Belang van Limburg kommt auf seiner Titelseite auf die Polemik zurück und stellt fest: die Parlamentarische Arbeitsgruppe, die eigentlich die Praxistauglichkeit von Gesetzen überprüfen soll, ist seit ihrer Schaffung 2007 erst ein Mal zusammen gekommen. Demgegenüber hatte sich Generalprokurator Liégeois in den letzten Jahren schon vier Mal mit konkreten Beschwerden an das Gremium gewandt. Kein Wunder, dass dem Antwerpener Magistraten am Ende der Kragen platzt, meint Het Belang van Limburg in seinem Kommentar. Ein Magistrat, der feststellt, dass die Gesetzgebung nicht mehr zeitgemäß ist, und der damit auf taube Ohren stößt, der kann nur frustriert sein. Insofern sollte der amtierende Justizminister De Clerck es sich noch einmal überlegen, bevor er die beiden Magistraten rügt. Man sollte den Justizvertretern zuhören, statt ihnen böse Briefe zu schicken.
Ähnlich sieht das Le Soir. Die Politik tut sich offensichtlich schwer damit, zu akzeptieren, wenn Magistrate einmal Klartext reden. Dabei wissen Magistrate in der Regel, wovon sie reden. Man sollte, die Justizvertreter ihre Meinung äußern lassen, denn sie haben etwas zu sagen.
Ob es nun einen Zusammenhang mit der jüngsten Polemik gibt oder nicht: Belgien bekommt jedenfalls nach einem Bericht der Zeitung De Standaard einen neuen Botschafter, dessen alleinige Aufgabe es ist, mit den verschiedenen Herkunftsländern die Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern zu organisieren.
"Di Rupo muss jetzt Dampf machen"
Zweites großes Thema ist die innenpolitische Lage. Für Regierungsbildner Elio Di Rupo schlägt ja bald die Stunde der Wahrheit. An diesem Wochenende will er letzte Hand an eine Neufassung seiner Synthesenote von Juli legen. Auf dieser Grundlage sollen dann die acht beteiligten Parteien am Montag eine erste, möglicherweise vorentscheidende Verhandlungsrunde in Angriff nehmen. Im Mittelpunkt wird, wie von der CD&V gefordert die Gemeinschaftspolitik stehen, insbesondere BHV.
"Genug getrödelt", poltert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Besagte gemeinsame Sitzung der acht Parteien sollte eigentlich an diesem Wochenende stattfinden, dann wurde wieder doch Montag draus. Einzuwenden, dass es nach über 400 Tagen auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt, ist falsch. Erstens: Der Geduldsfaden ist im Begriff zu reißen, und zweitens: Angesichts aller Herausforderungen, angefangen beim Budget, ist jetzt wirklich keine Zeit mehr zu verlieren.
Gazet van Antwerpen kann derweil seine Skepsis kaum verbergen. Die Lösung der institutionellen Probleme, das ist ja nur das erste Paket. Und das kann schon Wochen dauern. Danach steht aber auch noch das Budget 2012 auf dem Programm. Nicht zu vergessen, wichtige Strukturreformen oder die Einwanderungspolitik. Und bislang stehen die Partner eigentlich noch nirgendwo.
Da jetzt also doch nicht am Sonntag verhandelt werden soll, sondern erst am Montag gibt De Standaard Elio Di Rupo einen vielleicht nicht ganz so ernst gemeint Freizeit-Tipp fürs Wochenende: Di Rupo könnte ja am so genannten "Gordel" teilnehmen, also an der seit 30 Jahren stattfindenden Radtour rund um Brüssel. Damit soll der Anspruch Flanderns auf den Brüsseler Rand untermauert werden. Ein Mann, der Premierminister werden will, sollte vielleicht einmal die schöne BHV-Landschaft mit dem Rad erkunden. Im Anschluss könnte er sich ja noch einige Problemviertel in Antwerpen anschauen und abends dann den Straßenfeger im VRT-Fernsehen gucken. Der Mann will ja schließlich Premier von allen Belgiern werden.
Wie dem auch sei: "Belgien braucht dringend eine neue Regierung", sagt nun auch der Luxemburgische Premier und Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker in einem Gespräch mit der Zeitung Le Soir. Belgien brauche schnellstens strukturelle Reformen. Und es sei fraglich, ob die von einer geschäftsführenden Regierung auf den Weg gebracht werden können.
"Wie reagiert unterdessen der N-VA-Wähler auf das Ganze?", fragt sich Het Laatste Nieuws. Seit gut zwei Monaten steht die Partei von Bart De Wever ja an der Seitenlinie. Nach einer Studie wachsen bei der N-VA-Basis die Zweifel an der Parteilinie. Vier von zehn N-VA-Wählern sind der Ansicht, dass die Partei eigentlich mit am Verhandlungstisch sitzen müsste. Der Popularität der N-VA tut das indes keinen Abbruch: Der Erhebung zufolge käme die Partei, wenn am Sonntag gewählt würde, auf enorme 39 Prozent.
Omega-Pharma kehrt der Börse den Rücken
Viele Zeitungen beleuchten heute auch den spektakulären Schritt des belgischen Pharmakonzerns "Omega Pharma". Der Unternehmenschef Marc Coucke will seinen Betrieb zurückkaufen und damit von der Börse zurückziehen. Das ist ein Zeichen an der Wand, sorgt sich Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Das bedeutet nämlich, dass die Börse ihre ursprüngliche Zweckbestimmung verloren hat, dass sie ihre Rolle als Kapitalbeschaffer für Betriebe nicht mehr spielen kann. Denn man muss sich nichts weiß machen: Omega Pharma hatte genug von der Achterbahnfahrt der Börsenkurse. Wo ist denn noch die Planungssicherheit, wenn der Wert eines Unternehmens urplötzlich, manchmal aus heiterem Himmel, ins Bodenlose abstürzen kann?
L'Echo ist da bodenständiger und sorgt sich vor allem um die Anleger. Für diejenigen, die zum falschen Zeitpunkt eingestiegen sind, bedeutet der Schritt von Omega-Pharma einen herben finanziellen Verlust. Sie müssen jetzt zu einem ungünstigen Preis verkaufen, weil ein für seine Marotten bekannter Unternehmenschef das mal eben so beschlossen hat. Zudem wird das Vertrauen der Bürger in die Börsen einmal mehr ramponiert.
La Libre Belgique gibt heute den Startschuss für eine einwöchige Artikelserie über die Anschläge vom 11. September, die sich ja kommende Woche zum 10. Mal jähren.
L'Echo bringt ein Interview mit Belgacom-Chef Didier Bellens. Der Mann ist ja mit einer Gerichtsklage konfrontiert wegen mutmaßlicher Korruption. Das lenke ihn aber nicht ab: Er werde dafür bezahlt, Belgacom zum Erfolg zu führen, und darauf konzentriere er sich...
Katzenjammer
Fast alle Zeitungen widmen sich natürlich heute dem mageren 1 zu 1 der Fußball-Nationalmannschaft am Freitag gegen Aserbaidschan. "Wie ist es möglich?", fragt sich entsetzt La Dernière Heure. "Belgien kann die EM vergessen", konstatiert L'Avenir. Gazet Van Antwerpen spricht vom "Todesstoß für die Roten Teufel". Dazu meint La Dernière Heure: Wer gegen Aserbaidschan vier Minuten vor Schluss ein Gegentor kassiert, der verdient es einfach nicht, zur EM zu fahren.
Bild: Julien Warnand (belga)