Ganz klar im Mittelpunkt der Berichte und Kommentare in der Tagespresse stehen heute die jüngsten Entwicklungen in Libyen, wo die Hauptstadt Tripolis fast vollständig unter der Kontrolle der Rebellen ist. Viele Blätter stimmen den Abgesang auf den Diktator Muammar Al Gaddafi an, wobei der offensichtlich verschwunden ist. Die meisten Leitartikler stellen sich zudem die Frage, wie denn die Ära nach Gaddafi aussehen könnte.
"Libyen feiert", titelt heute Gazet van Antwerpen. "Die Herrschaft von Gaddafi ist vorbei", meint De Standaard auf Seite 1. Und De Morgen macht mit der höhnischen Schlagzeile auf: "Bye-bye Gaddafi". Das Regime des selbsternannten Revolutionsführers Muammar Al Gaddafi liegt nach 42 Jahren in den letzten Zügen. Nach Angaben von Vertretern des libyschen Übergangsrates kontrollieren die Aufständischen gut 95 Prozent der Hauptstadt Tripolis. Da gibt es nur ein Problem: Gaddafi selbst ist offenbar verschwunden.
"Jagd auf Gaddafi", titelt denn auch La Libre Belgique. Het Nieuwsblad spricht sogar von einer "Hetzjagd". "Gaddafi kämpft bis zum letzten Atemzug", schreiben Het Laatste Nieuws und Het Belang van Limburg in Blockbuchstaben auf Seite 1. Tatsächlich wüten weiter heftige Gefechte in der Hauptstadt Tripolis.
Allenfalls die halbe Miete
Doch darf man jetzt schon behaupten, dass in Libyen wohl schon bald eine neue Zeit anbricht, sind sich alle Zeitungen einig. Die Frage ist nur, wie diese Zeit wohl aussehen könnte. Eins ist sicher, notiert De Morgen: Einen Diktator zu stürzen, dessen Zeit ohnehin vorbei war, das war noch der "angenehme" Teil der Mission. Jetzt wird es eigentlich erst richtig kompliziert. Man sollte im jeden Fall aus den Kriegen der jüngeren Vergangenheit lernen. Im Irak bezeichnete der übermütige US-Präsident George Bush die Mission als erfüllt, während dem Land nach dem Sturz von Saddam Hussein das Schlimmste eigentlich erst bevorstand. Auch in Afghanistan konnten die Taliban zwar schnell aus Kabul weggebombt werden, eine wirklich stabile Demokratie konnte aber bis heute nicht aufgebaut werden.
Zumindest in einer ersten Phase dürfte die Macht an den so genannten Übergangsrat übertragen werden, glaubt La Libre Belgique. Hier handelt es sich um das politische Organ der Aufständischen. Der Übergangsrat hat sich selbst ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Innerhalb von acht Monaten sollen die ersten freien Wahlen in Libyen organisiert werden. Vorher muss allerdings noch der letzte Dominostein fallen. Und das ist eben Gaddafi.
"Ein Diktator weniger"
Einige Leitartikler stimmen jedoch bereits jetzt den Abgesang auf den Diktator von Tripolis an. "Ein Diktator weniger", freut sich etwa Het Laatste Nieuws. Mit Muammar Al Gaddafi verschwindet einer der schlimmsten Schurken seit dem Ende des Krieges. In den 80er Jahren finanzierte Gaddafi den internationalen Terrorismus. Nach seiner angeblichen Läuterung wurde er dann aber vom Westen hofiert. Außerdem genoss er in gewissen, vor allem linken Kreisen wegen seiner skurrilen Marotten fast schon Kultstatus. Jetzt zeigt sich: Seine ganze Herrschaft basierte auf Angst.
Muammar Al Gaddafi war das Musterbeispiel eines Diktators, meint auch L'Avenir. Dabei brachte er das Kunststück fertig, seine Diktatur in den Augen der Welt fast noch akzeptabel zu machen. Die Berlusconis, Blairs und Sarkozys schüttelten ihm bereitwillig die Hand, auch Belgien rollte ihm den roten Teppich aus. Den Krieg, den Gaddafi gegen sein Volk führte, hat er jetzt aber verloren.
Und Syrien?
Und das ist auch ein Verdienst der NATO, sind sich fast alle Zeitungen einig. Im Nachhinein zeigt sich: Die Intervention der internationalen Gemeinschaft war richtig, urteilt Het Nieuwsblad. Man konnte nicht tatenlos zusehen, wie ein Verrückter sein Volk abschlachtet. Die Allianz und damit auch Belgien können stolz auf sich sein. Bleibt allerdings eine Frage: Wie geht man mit Syrien um?
Le Soir liefert in seinem Leitartikel eine Antwort auf diese Frage: Syrien ist mit Libyen nicht zu vergleichen. Erstens: Die Aufständischen in Syrien wünschen keine Einmischung von außen. Und zweitens: Syrien liegt in einer geopolitisch viel zu sensiblen Zone. Ohnehin ist die Arbeit in Libyen noch nicht beendet, meint das Blatt. Jetzt muss man den Menschen helfen, eine Demokratie und einen Rechtsstaat aufzubauen.
Demokratie in Libyen
Das wird noch ein steiniger Weg, befürchtet De Standaard. Libyen ist ein Land mit einer tief verwurzelten Stammeskultur. Auf einem solchen Boden wächst nicht selbstverständlich Demokratie. Normalerweise müsste sich die NATO jetzt aus Libyen zurückziehen. Die Frage ist nur, wie man denn reagiert, wenn sich die politische Lage in Libyen in die falsche Richtung bewegt.
Man muss auf jeden Fall einen Eindruck vermeiden, mahnt Gazet van Antwerpen: Der Verdacht liegt nahe, dass es im Endeffekt weniger um das Volk und vielmehr um das libysche Öl geht. Man kann jedenfalls nur feststellen, dass man sich um andere Länder, die sich in einem ähnlich bedenklichen Zustand befinden, deutlich weniger Sorgen macht.
Schon jetzt sollte man erste Lehren aus dem Libyen-Einsatz ziehen, meint Het Belang van Limburg. Die NATO-Koalition hat die UN-Resolution, die die Grundlage des Einsatzes darstellte, eigentlich missbraucht. Von einem Regimewechsel war da nicht die Rede. Und noch ein womöglich kontraproduktives Zeichen hat der Westen gesetzt: Man bombte einen Diktator vom Thron, der sich eigentlich schon selbst weitgehend entwaffnet hatte. Auf sein Atomprogramm jedenfalls hatte Gaddafi schon verzichtet. Für Länder wie Iran oder Nord-Korea heißt das: Seid nicht so naiv wie Gaddafi!
Bild: Tolga Bozoglu (epa)