Heute starten die "Verhandlungen der letzten Chance". Darüber sind sich alle Zeitungen einig. Nach drei Wochen Pause nehmen Regierungsbildner Elio Di Rupo und die acht Parteien die Arbeit wieder auf.
Es dürfte die siebte und wohl letzte Runde sein, meint Het Belang van Limburg, 429 Tage nach der Wahl muss der Durchbruch jetzt gelingen. Ansonsten steht uns nach dem Schmuddelsommer ein wirklich heißer Herbst bevor.
Koalitionsverhandlungen: Unser Gesellschaftsmodell neu erfinden
Auch Het Nieuwsblad meint: "Jetzt oder nie". Die Krise an den internationalen Märkten wirft bereits ihre Schatten voraus. Als einziges Land in Europa hat Belgien noch keine drastischen Sparmaßnahmen beschlossen. Auch deswegen ist eine neue Regierung unerlässlich. Was Belgien braucht, ist aber kein Premier und eine ganze Reihe Minister, sondern ein schlagkräftiges Team, das die richtigen Weichen für die Zukunft stellt.
Le Soir sieht das ähnlich. Für die Vertreter der acht Parteien am Verhandlungstisch geht es nicht mehr nur darum, den belgischen Staat zu retten. Es geht auch darum, unser Gesellschaftsmodell neu zu erfinden. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht in diesen Tagen auf dem Spiel.
Fünf gute Gründe fürs Gelingen - und fünf fürs Scheitern
La Libre Belgique zählt fünf Gründe auf, warum die Regierungsverhandlungen nach über einem Jahr diesmal erfolgreich sein könnten. Gleich daneben veröffentlicht die Zeitung aber fünf gute Gründe, warum die Gespräche erneut scheitern könnten. Im Kommentar ist das Blatt eher pessimistisch: "Das Spektakel, das die Unterhändler uns seit 14 Monaten bieten, ist erbärmlich und einfach nur peinlich. Die Verhandlungen jetzt zu einem guten Ende zu führen, scheint eher unwahrscheinlich. Es würde sogar an ein Wunder grenzen." Nach Ansicht von La Libre Belgique stellen sich zwei Fragen: Können die Französischsprachigen den Flamen wirklich die Autonomie geben, nach der sie verlangen? Und werden die flämischen Parteien dem Druck der nationalistischen N-VA standhalten?
CD&V versus FDF
Het Belang van Limburg meint dazu: Das Schicksal unseres Landes liegt in den Händen der flämischen Christdemokraten von der CD&V. Wie werden die sich ohne die Nationalisten am Verhandlungstisch verhalten? Gazet van Antwerpen bemerkt einen anderen Unsicherheitsfaktor: Werden die liberalen Hardliner von der FDF von ihren Positionen abrücken?
Auf der Titelseite von Le Soir erklärt Parteivorsitzender Charles Michel: MR und FDF werden gemeinsam verhandeln. Für das Grenz-Echo wird wegen des Dauerproblems BHV alles auf einen Zweikampf zwischen der CD&V und der FDF hinauslaufen.
Herkulesaufgaben für den Regierungsbildner
De Standaard zählt die Herkulesaufgaben auf, die Regierungsbildner Di Rupo und seiner Truppe jetzt bevorstehen: Als erstes gilt es, den Dauerkurzschluss im belgischen System zu beseitigen, nämlich den Wahl- und Gerichtsbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde. Dann braucht Belgien weitergehende Reformen in der Sozialsicherheit, im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt, beim Rentensystem und bei der Zusammenarbeit der verschiedenen staatlichen Ebenen. Außerdem müssen die Staatsfinanzen saniert werden. Beinahe sarkastisch fügt der Kommentator hinzu: "Mehr brauchen sie nicht zu tun."
Das Wirtschaftsblatt L'Echo hat eine große Zahl auf seiner Titelseite: 22 Milliarden Euro. So viel Geld muss Belgien nämlich in den nächsten Jahren sparen. Die Zeitung hat einige Maßnahmen bereits durchgerechnet und meint: Für den Steuerzahler könnte es am Ende ganz schön teuer werden. Kürzungen im Gesundheitswesen, bei den Dienstleistungsschecks, im Sozialsystem, bei den öffentlichen Ämtern, und dazu kommen neue Abgaben.
Gefragt: Kompromissfähigkeit und Kommunikationsgeschick
Doch bevor die acht Parteien überhaupt zu den Themenbereichen Wirtschaft und Soziales gelangen, muss das gemeinschaftspolitische Streitthema BHV aus dem Weg geräumt werden. Im Gespräch mit Het Laatste Nieuws meint SP.A-Vorsitzende Caroline Gennez: Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, für mich kann das Problem BHV schon am Freitag gelöst sein. OpenVLD-Parteichef Alexander De Croo äußert sich ähnlich.
Im Kommentar meint die Zeitung: Die flämischen Parteien sind ein Risiko eingegangen, indem sie sich von der N-VA entfernt haben. Was sie jetzt brauchen, ist viel Mut um die nötigen Reformen durchzuführen. Aber vor allem werden sie viel Kommunikationsgeschick an den Tag legen müssen. Die Kompromisse müssen am Ende für die Basis nämlich achtbar, sinnvoll und notwendig aussehen.
Verkehrsunfälle: Tödliches Wochenende
Einige Zeitungen gehen auf das besonders tödliche Wochenende auf Belgiens Straßen ein. "Dramatisches Verkehrswochenende" titelt Gazet van Antwerpen. "Tödlichstes Wochenende seit drei Jahren" schreibt Het Laatste Nieuws. Insgesamt gab es bei Verkehrsunfällen zwischen Freitag und Montag 14 Tote zu beklagen. Bei vier Unfällen spielte das schlechte Wetter eine Rolle. Bei allen anderen waren die Fahrer entweder zu schnell unterwegs oder fuhren unter Alkoholeinfluss.
Aus Zahlen der EU-Kommission wird klar: Belgiens Straßen gehören zu den gefährlichsten in Europa. Pro Million Einwohner gibt es bei uns 77 Verkehrstote. Zum Vergleich: In den Niederlanden sind es 39, in Schweden nur 28.
Archivbild: Virginie Lefour (belga)