Weitere große Themen sind das föderale Budget 2012 und die neuerliche Beruhigung an den Börsen.
"England brennt", diese Schlagzeile findet sich so oder so ähnlich auf vielen Titelseiten. Im Hintergrund: spektakuläre Fotos von brennenden Häusern oder Autos auf denen wahlweise vermummte Jugendliche oder Polizisten zu sehen sind. Großbritannien kommt nicht zur Ruhe.
"Shocking!"
Begonnen hatte alles im Londoner Stadtteil Tottenham. Nachdem ein 29-jähriger Farbiger von der Polizei erschossen worden war, entlud sich am Samstag die Wut. Und die schwappte an den darauf folgenden Tagen auf einer Reihe von anderen Großstädten über. Allein in London sollte am Dienstag ein Großaufgebot an Polizisten die Gewalt eindämmen.
"16.000 Beamte gegen Plünderer", titelt denn auch Het Laatste Nieuws. Het Belang van Limburg ist drastischer: "16.000 Polizisten ziehen in den Krieg".
Viele Zeitungen veröffentlichen Fotostrecken mit beeindruckenden Bildern von den Ausschreitungen. Das wohl Eindrucksvollste hat auch La Dernière Heure auf seiner Titelseite abgedruckt: eine Frau, die in einem Inferno aus Flammen und Rauch aus dem Fenster springt, um sich aus ihrem brennenden Haus zu retten.
La Libre Belgique bringt es mit einem Wort auf den Punkt: "Shocking!"
Wenn Konsumlust zum Alptraum wird
Wo liegen die tiefen Ursachen für diesen fast beispiellosen Gewaltausbruch? Diese Frage steht im Mittelpunkt vieler Kommentare.
Wer ist schuld, fragt sich etwa Het Nieuwsblad. Klar: In erster Linie sind es natürlich die Unruhestifter selbst. Das allein ist aber nur die halbe Wahrheit. Soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Ghetto-Bildung: Das sind die Bestandteile einer Zeitbombe, die eben am vorigen Wochenende in London hochgegangen ist. Das ist aber kein lokales, Londoner Problem. Brennen kann es überall, auch etwa in Athen oder Brüssel. Die Explosion vermeiden kann man nur, wenn man in die Jugend investiert.
Für La Dernière Heure ist gerade die britische Gesellschaft grundlegend zweigeteilt: auf der einen Seite, bettelarme Jugendliche, meist mit Migrationshintergrund - auf der anderen Seite, die weiße Bourgeoisie, die eine Ausbildung an einer Elite-Uni genossen hat. Selten war die Kluft zwischen dem kleinen Volk und denen, die es repräsentieren soll, so groß.
De Morgen spricht von einem Weckruf: London ist ein Fanal, ähnliches kann auch in anderen Großstädten drohen. Hier wird im Grunde unser Konsummodell zum Alptraum: Jeder träumt von einer schönen Wohnung, einem tollen Auto und sonstigen Spielzeugen wie hippen Smartphones. Wenn sich dieser Traum für eine ganze Generation nicht erfüllt, dann geht er buchstäblich nach hinten los. Damit sollen Brandstiftungen oder Plünderungen natürlich nicht schön geredet werden - es ist nur eine mögliche Erklärung.
Le Soir sieht das ähnlich. Wer die Gewalt allein mit Schlagstöcken niederknüppeln will, der sorgt jedenfalls nur für eine zwischenzeitliche Beruhigung. Den Brand, der seit Jahren in den unteren Schichten der Gesellschaft schwelt, löscht man damit aber nicht.
Het Laatste Nieuws kann derlei Darlegungen nicht mehr hören. Erspart uns die üblichen Sonntagsreden über soziale Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit, ereifert sich das Blatt. Und hört bitte auf, mit dem Finger auf die konservative Regierung in London zu zeigen. Keine noch so rechte Politik kann ein Alibi sein für Plünderungen und Vandalismus.
Warnungen
Auch La Libre Belgique hütet sich davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Zumindest in einer ersten Phase muss man die Unruhen betrachten als das, was sie sind: Zerstörungswut. Aber eins kann man doch bereits jetzt behaupten: Die Ereignisse erinnern insbesondere die Politik daran, dass es neben der virtuellen Welt der Börsen auch noch eine reale Welt gibt.
Auch die Brüsseler Politik sollte die Ereignisse in Großbritannien vor den Augen haben, wenn man sich in den kommenden Wochen mit dem Haushalt 2012 beschäftigt, mahnen einige Blätter. An den Londoner Gewaltausbrüchen sind wohl die Sparmaßnahmen der Regierung Cameron zumindest nicht ganz unschuldig, meint etwa Het Belang van Limburg. Auch in Brüssel gibt es einige Problem-Viertel mit galoppierender Arbeitslosigkeit und Integrationsproblemen. Wer hier nicht Abhilfe schafft, der riskiert, dass auch in Brüssel der Kessel überkocht.
De Standaard schlägt in dieselbe Kerbe. Die Unruhestifter in Großbritannien haben augenscheinlich nichts zu verlieren. Das sollten alle Regierungen als Warnung bertachten, wenn sie jetzt unter Druck der Finanzmärkte drastische Sanierungsprogramme auflegen und dabei in die Versuchung kommen, Einsparungen vorzunehmen, die das soziale Gefüge außer Gewicht bringen.
In Brüssel ist ja derweil immer noch nicht klar, wer denn jetzt den Haushalt 2012 ausarbeiten soll. CD&V-Chef Wouter Beke hatte am Dienstag bekräftigt, dass bei den Verhandlungen über eine neue Koalition zunächst über BHV und dann erst über den Haushalt gesprochen werden soll. Damit wäre also die amtierende Regierung am Zug, um das Budget auf die Beine zu stellen. Das wiederum wäre für eine mögliche Regierung Di Rupo's ein denkbar schlechter Start, bemerkt De Standaard. Deswegen will Di Rupo offenbar einen Zahn zulegen und seine Gespräche früher als geplant wieder aufnehmen.
Die Lage an den Börsen ist bei alldem fast schon in Hintergrund gedrängt worden. Tatsächlich wurde die Talfahrt ja erstmal gestoppt. Das Börsenblatt L'Echo und auch L'Avenir warnen aber vor Triumphalismus. Hier dürfte es sich wohl nicht um eine Spontanheilung handeln: Die Grundprobleme bleiben ungelöst und schwelen weiter. Wenn die Welt diese Probleme nicht resolut anpackt, dann ist die nächste Krise vorprogrammiert.
Archivbild: Jonathan Brady (epa)