"Endlich Sommer", übertiteln Gazet van Antwerpen und De Morgen groß Fotos auf ihren Titelseiten, auf denen viel Sand und viel Sonne zu sehen ist. Allerdings sieht es so aus, als gebe der Sommer nur ein Intermezzo, wie unter anderem auch das Grenz-Echo hervorhebt. Vielleicht auch deswegen wurde die Küste am Montag buchstäblich überrannt, wie Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite berichtet.
Gefängnisse - Gruben des Vergessens
Daneben beschäftigen sich viele Zeitungen aber auch heute wieder mit dem Dreifachausbruch aus dem Gefängnis von Jamioulx, südlich von Charleroi. Am Sonntagabend waren ja drei Männer, die als gefährlich eingestuft werden, die Flucht aus der Haftanstalt gelungen. Der Vorfall legt längst bekannte Probleme noch einmal offen: "Krise ohne Ende" titelt etwa Le Soir. Die belgischen Gefängnisse sind nach wie vor gnadenlos überbelegt. Regelmäßig gibt es Ausbrüche, und angesichts all dieser Probleme wird die Arbeit der rund 7.000 Gefängniswärter immer schwieriger. "Die Gefängniswärter haben Angst" titelt L'Avenir.
Die jüngsten Ausbrüche weisen ja ein ähnliches Muster auf: Immer häufiger werden Gefängniswärter als Geisel genommen.
Betrachtet man die Verhältnisse in den belgischen Gefängnissen, dann kann man sie fast schon als "Grube des Vergessens" bezeichnen, konstatiert Het Belang van Limburg in seinem Kommentar. Im Prinzip sollte eine Haftstrafe dazu dienen, Menschen zur Einsicht zu bringen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu begleiten. Dieses Ziel wird derzeit aber weitgehend verfehlt. Hier sollten sich die Gefängniswärter aber auch mal an die eigene Nase fassen. Indem sie ständig streiken, kommen sie zunächst ihrer Aufgabe, die Häftlinge zu begleiten, nicht nach, und sie sorgen zudem für ein wachsendes Gefühl von Frustration. Die Auswirkungen davon erfahren sie dann buchstäblich am eigenen Leib.
Kein Konzept
De Standaard stellt in seinem Leitartikel fest, dass in Belgien fünfmal mehr Gefangene ausbrechen als in Holland. Das kann kein Zufall sein. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Überbelegung, marode Gebäude, längere Haftstrafen… Das eigentliche Problem ist aber, dass es keine wirklich globale Repressionspolitk gibt. Niemand hat ein Gesamtkonzept für den Umgang mit Gefängnissen und Gefangenen. Trotz innenpolitischer Krise sollte das Parlament hier endlich seine Verantwortung übernehmen.
Auch La Libre Belgique vermisst in erster Linie den politischen Willen, die Probleme in den belgischen Gefängnissen anzugehen. Aufgrund der längst bekannten Defizite an Personal und Material ist es so gut wie unmöglich, sich mit den Häftlingen wirklich einmal zu beschäftigen. Die größte Aufmerksamkeit ziehen wirklich schwere Jungs auf sich, die mitunter eigentlich gar nicht in ein Gefängnis sondern in eine geschlossene Anstalt gehören. Es ist allerdings fraglich, ob die politisch Verantwortlichen wirklich daran interessiert sind, an diesen Missständen etwas zu verändern.
Kaiser ohne Kleider
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch heute mit der innenpolitischen Krise in den USA, wo eine Zahlungsunfähigkeit des Staates buchstäblich in letzter Sekunde abgewendet werden konnte. Das Repräsentantenhaus verabschiedete einen Kompromiss, den De Morgen in seiner Schlagzeile nüchtern zusammenfasst: "2.400 Milliarden Dollar Einsparungen, keine neuen Steuern, niemand glücklich".
Die meisten Leitartikler sind sich aber einig: Der Unglücklichste von allen dürfte wohl US-Präsident Barack Obama sein. In den Augen der öffentlichen Meinung in Amerika steht Obama als ein Kaiser ohne Kleider da, meint etwa Gazet van Antwerpen. Er musste gegenüber den radikalen Republikanern immer wieder nachgeben, das Resultat sind jetzt radikale Einschnitte in die Sozialsysteme. Abzuwarten bleibt, wie die Wirtschaft darauf reagieren wird. Schon jetzt beläuft sich das Wachstum nur auf 0,8 Prozent. Wird die Kaufkraft zusätzlich beschnitten, dann droht eine neue Rezession.
Obama ist offensichtlich ein Gefangener der Populisten, mit Namen die streng konservative Tea-Party-Bewegung, meint Le Soir. Diese knallhart rechten Republikaner sind trotz der Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit stur bei ihrer Haltung geblieben, was letztlich einer Erpressung gleichkommt. Wenn das der neue innenpolitische Umgangston in Amerika ist, dann darf man besorgt sein.
Kompromissunfähigkeit = Unregierbarkeit
Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad ziehen beide Parallelen zwischen den innenpolitischen Grabenkämpfen in den USA und in Belgien. "Kompromiss" ist offensichtlich nicht nur in Belgien gewissermaßen zu einem Schimpfwort verkommen, auch bei den US-Republikanern ist Halsstarrigkeit Trumpf. Nach einer jüngsten Umfrage sind zwei Drittel der republikanischen Wähler der Ansicht, dass ihre Vertreter ihren Prinzipien treu bleiben müssen, koste es, was es wolle. Und selbst, wenn deswegen die Weltwirtschaft in Gefahr gerät. Die in Washington um sich greifende Kompromissunfähigkeit hat dem mächtigsten Land der Welt seine eigene Unregierbarkeit vor Augen geführt. Und das ist ein beängstigender Gedanke.
Nichtsdestotrotz sollten sich die Belgier eine Scheibe von den Amerikanern abschneiden, meint Het Laatste Nieuws. Republikaner und Demokraten waren gleichermaßen zu Zugeständnissen gezwungen, die sie absolut nicht wollten. Beide Parteien haben weniger bekommen, als sie sich erhofft haben. Man sollte das Wort 'Republikaner' durch 'Flamen' und das Wort 'Demokraten' durch 'Wallonen und Brüsseler' ersetzen - dann weiß man, wie ein belgisches Abkommen aussehen muss. In Belgien gilt offensichtlich nach wie vor die Maxime: besser kein Abkommen als ein schlechtes. In Amerika hat man begriffen, dass keine Einigung zu erzielen in den Abgrund führt.
Syrische Tragödie
Einige Zeitungen schließlich blicken mit Entsetzen auf Syrien, wo das Regime von Baschar al-Assad mit gnadenloser Härte gegen Straßenproteste vorgeht. Eigentlich ist ein Eingreifen der NATO längst überfällig, meint L'Avenir in seinem Leitartikel. Das Problem ist allerdings, dass Syrien eben nicht Libyen ist. Damaskus ist auf der Weltbühne längst nicht so isoliert und spielt zudem eine Schlüsselrolle im Nahen Osten. Ob's ihm nun gefällt oder nicht: Der Westen weiß, dass eine Intervention in Syrien den gesamten Mittleren Osten destabilisieren könnte. Den Preis für dieses Zögern müssen am Ende die syrischen Oppositionellen zahlen, und zwar mit ihrem Blut.
Auch La Libre Belgique kann die ganz Tragödie nur zutiefst bedauern. Bedauerlich ist, dass die Weltgemeinschaft gegenüber Syrien anders reagiert als gegenüber Libyen. Bedauerlich ist, dass es nicht einmal einen internationalen Konsens gibt, die Gewalt in Syrien zu verurteilen. Bedauerlich ist, dass das Regime nicht mit wirklich schmerzhaften Sanktionen belegt wird. Und es ist bedauerlich, dass man letztlich nichts anderes tun kann, als eben zu bedauern.
Archivbild: Virginie Lefour (belga)