"Schwarzer Montag an den Börsen", titelt heute Le Soir. Das Börsenblatt L'Echo spricht von einem "Minikrach", La Libre Belgique von einem "Hammerschlag". Die europäischen Börsen sind gestern dramatisch eingebrochen.
Ein Alptraum wird wahr
Den Hintergrund fasst De Standaard in seiner Schlagzeile zusammen: Italien bringt die Euro-Zone ins Wanken. Tatsächlich hat das Horrorszenario eines drohenden Domino-Effekts offensichtlich Gestalt angenommen.
Die Märkte befürchten, dass nach Irland, Griechenland und Portugal nun auch Italien ins Schleudern geraten könnte. Und im Vergleich zu Italien sind die bisherigen Wackelkandidaten "peanuts", meint ein Analyst in De Standaard.
L'Echo rechnet vor: Italien wiegt mehr als doppelt so schwer wie Irland, Griechenland und Portugal zusammen. Ergo: Eine mögliche Italien-Krise hat wirklich das Potential, um dem Euro den Hals umzudrehen, so ein Fachmann in De Standaard.
Das haben wir zunächst dem italienischen Ministerpräsident Berlusconi zu verdanken, meint Het Belang van Limburg in seinem Kommentar. Der hat seinen Finanzminister Tremonti öffentlich an den Pranger gestellt. Das war so etwas wie der Startschuss für eine Spekulanten-Attacke gegen das Land. Verantwortung trägt aber auch die EU: Je größer die Probleme, desto größer die Beschlussunfähigkeit. Die EU-Staaten sind ausgerechnet jetzt zerstrittener denn je.
Europäische Ohnmacht
De Standaard sieht das ähnlich. Es mag verlockend sein, Spekulanten oder Rating-Agenturen für die jüngste Krise verantwortlich zu machen. Nur ist es so: Wenn's kalt draußen ist, dann hat es keinen Sinn, sich auf die Suche nach einem neuen Thermometer zu machen. Ursache für den rabenschwarzen Börsentag ist vielmehr das Unvermögen der Europäer, der Schuldenkrise die Stirn zu bieten. Wer den Euro retten will, der muss ihn zu Ende denken. Und das geht nicht, ohne dass die Staaten einen Teil ihrer Souveränität abgeben.
Auch Het Nieuwsblad sieht die Schuld für das Debakel in erster Linie bei den EU-Staaten. Irland, Griechenland oder Portugal waren noch beherrschbare Probleme. Weil man hier aber einen Zickzack-Kurs hingelegt hat, hat man sich am Ende mit Italien oder möglicherweise Spanien vielleicht ein massives Problem selbst geschaffen. Die Frage ist, ob die europäischen politisch Verantwortlichen inzwischen ihre Lektion gelernt haben. Um einem Lehman-Szenario zu entgehen, gibt es für die EU nur eins: Entschlossenheit. Eile und Mut sind angesagt.
Diese Krise hat eine neue Dimension, meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Die Geldwirtschaft steckt bis zum Hals in einer Vertrauenskrise, das System dreht buchstäblich durch. Diejenigen, die für Sparer das Geld anlegen, beginnen, an Europa zu zweifeln. Und tatsächlich: Die offensichtliche europäische Ohnmacht scheint denjenigen Recht zu geben, die nicht mehr daran glauben, dass Europa die Schuldenkrise unbeschadet übersteht.
Belgien im Fadenkreuz
Der Sturm an den europäischen Börsen hat auch die belgischen Finanzwerte voll erwischt. "Die belgischen Banken stecken wieder im Schlamassel", titeln sinngemäß Het Nieuwsblad und Het Laatste Nieuws. Tatsächlich standen die Kurse von Dexia, KBC und Ageas gestern deutlich im Minus. Nach Berechnungen von Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg haben diese drei belgischen Geldhäuser gestern mit einem Mal 1,6 Milliarden Euro an Wert verloren.
Schlimmer noch: Auch Belgien scheint ins Fadenkreuz von Spekulanten zu geraten, wie De Morgen auf seiner Titelseite aufhebt. Demnach war der sogenannte Spread, also der Unterschied zwischen dem Zinssatz für deutsche Staatsobligationen und dem für belgische, noch nie so groß. Konkret bedeutet das: Die Anleger verlieren das Vertrauen in Belgien, zugleich werden die Kredite für Belgien teurer.
"Belgien könnte der nächste Dominostein werden", warnt De Morgen in seinem Leitartikel. Die Märkte nehmen erwiesenermaßen Länder ins Visier, die eine hohe Staatsschuld haben und von politischer Instabilität geprägt sind. Belgien gehört dazu. Und vor diesem düsteren Hintergrund haben gewisse politisch Verantwortliche offensichtlich nichts Besseres zu tun, als zynische und unverantwortliche Spielchen zu spielen. Wer eine Strategie des Blockierens und des Stillstands verfolgt, wer sich weigert zu verhandeln, der kann vielleicht am flämischen Feiertag Applaus ernten, aber er spielt russisches Roulette mit dem Land und damit auch mit Flandern.
Die Kunst des Verhandelns
Womit wir bei der Innenpolitik wären und insbesondere bei der gestrigen Geste von Bart De Wever. Der hatte ja wieder Dialogbereitschaft signalisiert, allerdings unter der Voraussetzung, dass Elio Di Rupo seine Kompromissnote fundamental anpasst. Das hat mit Einlenken nichts zu tun, sind sich Le Soir, L'Avenir und La Dernière Heure einig. Wie sollen denn die Korrekturen aussehen, die Bart De Wever gefallen würden? Das einzige, was für De Wever konsensfähig ist, wäre sein eigenes Programm.
N-VA und CD&V wollen Di Rupo den Schwarzen Peter zuschanzen, meint L'Avenir. Le Soir fügt hinzu: Verhandeln beinhaltet Dialog. Gerade in Belgien, wo zwangsläufig Koalitionsregierungen gebildet werden müssen, führt kein Weg an ausgehandelten Kompromissen vorbei. Wenn CD&V oder N-VA das Land nicht ins Chaos stürzen wollen, dann müssen sie die Regeln des belgischen Spiels akzeptieren.
Feindbilder
Das flämische Massenblatt Het Laatste Nieuws erneuert unterdessen heute seine Kritik an Bart De Wever. De Wever hat offensichtlich einige Strategien von Rechtspopulisten abgeschaut. Unter anderem die, wonach man seiner Klientel einen externen Feind vorgaukeln muss, als dessen Opfer man sich dann stilisieren kann. Dieser externe Feind, das sind wahlweise Wallonen, Liberale, Sozialisten oder Arbeitslose. Man sollte aber mal genau hinschauen: De Wever will 15 Milliarden Euro auf Kosten der sozialen Sicherheit einsparen. In der Praxis heißt das: großflächige Armut.
Bild: Orestis Panagiotou (epa)