"Sprung ins Unbekannte", titelt heute La Libre Belgique. "Der Palast bezeichnet die Situation als ernst", zeigt sich L'Echo beunruhigt. "Der König ruft zur Vernunft auf", hebt L'Avenir auf Seite 1 hervor.
Elio Di Rupo hat die Konsequenzen aus dem Nein von Bart De Wever auf seine Kompromissnote gezogen: Di Rupo bot seinen Rücktritt als Regierungsbildner an. Der König hat den Rücktritt noch nicht angenommen, die Parteien sollten zunächst ein paar Tage ihre Haltung noch einmal überdenken, heißt es in einem Kommuniqué des Palastes.
Alles schaut auf die CD&V
Gemeint ist damit wohl vor allem die CD&V. De Morgen bringt es in seiner Schlagzeile auf den Punkt: "Di Rupo schielt auf die CD&V". Alle Blätter sind sich einig: Die flämischen Christdemokraten haben es in der Hand.
Wenn sich die CD&V aus dem Windschatten der N-VA löst, dann ist die Bildung einer Regierung mit Zweidrittelmehrheit möglich. Bislang bleibt CD&V-Chef Wouter Beke bei seiner Haltung: Die CD&V knüpft ihr Schicksal an das der N-VA. Doch wird das Rumoren innerhalb der Partei immer lauter, glaubt De Standaard zu wissen.
Wouter Beke steht vor einer schwierigen Entscheidung, meint Het Belang van Limburg dazu in seinem Kommentar. Die CD&V ist gespalten in ihren flämischen und ihren föderalen Flügel. Lange hat Beke versucht, der Entscheidung aus dem Weg zu gehen, der König und Di Rupo setzen der Partei jetzt die Pistole auf die Brust.
Die CD&V hat's in der Hand, notiert auch La Dernière Heure. Sie allein kann das Land vor Chaos und Staatskrise bewahren. Die CD&V hat dabei die Chance, sich zu profilieren und ins Lager der Mutigen um OpenVLD und SP.A zu wechseln. Damit würde die N-VA isoliert und landet da, wo sie hingehört, nämlich in einem Topf mit dem Vlaams Belang.
Von Filetiermessern und Bomberpiloten
In der Zwischenzeit wächst auch in Flandern die Kritik an Bart De Wever. Der N-VA-Chef hatte gestern eine handverlesene Auswahl von Journalisten zu einem Kamingespräch einbestellt, um bei der Gelegenheit noch einmal seinen Standpunkt zu erläutern. Dabei stellt er die Vermutung in den Raum, dass es die Absicht von Di Rupo war, die N-VA zu isolieren.
Für seine Partei sei der Kompromissvorschlag eine einzige Provokation, während augenscheinlich die CD&V umbuhlt wird. Die Di Rupo-Note sei so eine Art Filetiermesser, mit dem die N-VA von den anderen Parteien abgetrennt werden sollte, zitieren ihn unter anderen Het Nieuwsblad und De Standaard.
Ob nun perfide Falle oder nicht, das spielt ohnehin keine Rolle mehr, meint De Standaard in seinem Leitartikel. Die Würfel sind gefallen, der Bruch zwischen der N-VA und den Frankophonen ist vollzogen. Die N-VA hat ohnehin nur den flämischen Wähler im Visier. Bei seiner Ablehnung der Di Rupo-Note hat sich De Wever skrupellos unter anderem der Klientel der OpenVLD angebiedert. Er verschiebt damit den kulturell verankerten Nationalismus in Richtung eines finanziellen Egozentrismus. De Wever rüttelt damit an den traditionellen Fundamenten der flämischen Politik.
"Rücksichtslos", nennt ihn deswegen auch Het Nieuwsblad. Mit dem gestrigen Kamingespräch hat sich De Wever selbst die Krone aufgesetzt. Er ist wie ein Pilot, der eine Brandbombe abgeworfen hat und dann noch einmal eine Schleife fliegt, um zu schauen, ob wirklich alles in Schutt und Asche liegt. Und zugleich setzte er zur Schlussoffensive auf den Mitte-Rechts-Wähler an. Die anderen Parteien stehen damit in der Unterhose da. Wie man 22 Milliarden Euro einsparen kann, ohne dem Mittelstand Schmerzen zuzufügen, sagt De Wever nicht. Das können jetzt die anderen erledigen. Er selbst thront dann über dem Schlachtfeld und weiß genau: Er ist der einzige, der nicht verlieren kann.
Blut und Boden
De Wever fuchtelt mit seltsamen Symbolen herum, meint De Morgen. Morgen wird der N-VA-Chef eine nach eigenen Angaben "wichtige Rede" halten, am Vorabend des flämischen Feiertages. Das ausgerechnet auf dem historischen Schlachtfeld in Kortrijk, wo vor 709 Jahren die Schlacht der goldenen Sporen stattgefunden hat, so etwas wie das Gründungsereignis der flämischen Nation.
Hier wird ganz offensichtlich wieder die Provokation gesucht. Die Konfrontation mit politischen Vertretern einer Gemeinschaft, mit der die Flamen immer noch friedlich zusammenleben. Bei einer solchen geballten Ladung an blutgetränkter nationalistischer Symbolik bekommt man einen seltsamen Geschmack im Mund. Das ist ein erneuter Angriff auf das Modell des Zusammenlebens in diesem Land.
Erst hat De Wever die Di Rupo-Note vernichtet, in einer zweiten Phase wollte er dann aber offensichtlich auch noch den Autoren des Vorschlags politisch exekutieren, analysiert Het Laatste Nieuws. Damit ist klar: De Wever will mit Di Rupo keinen Vertrag abschließen. Es ist ihr gutes Recht, wenn die N-VA ihr Programm als die einzig mögliche Verhandlungsgrundlage betrachtet. Nur muss sie einsehen: Sie steht nicht alleine da, zumindest noch nicht.
Paradoxerweise ist die Lesart auf der anderen Seite der Sprachgrenze mitunter eine etwas andere. Im Endeffekt bauen die Frankophonen De Wever weiter auf, meint etwa L'Avenir. Wenn alle vier frankophonen Parteien geschlossen Bart De Wever an den Pranger stellen, dann hat das in Flandern einen kontraproduktiven Effekt: Mehr denn je erscheint De Wever als der einzige standhafte Verfechter der flämischen Sache. Und eins ist sicher: Vielleicht ist nicht Bart De Wever an sich beängstigend, aber das Klima, das er schafft.
Das Grenz-Echo sieht das ähnlich: Statt die Anliegen der N-VA auch nur ansatzweise nachzuvollziehen, reagieren die Frankophonen mit Unverständnis und Empörung und geben zugleich der Versuchung nach, die N-VA zu dämonisieren. Auch wenn man es schaffen würde, die CD&V von der N-VA loszueisen, würde das eigentliche Problem wohl nicht gelöst. Früher oder später stellt sich die Gretchenfrage: Hat Belgien noch einen Sinn?
Diese Frage würde wohl zwangsläufig auch im Mittelpunkt von möglichen Neuwahlen stehen, glaubt La Libre Belgique. Ein möglicher Urnengang käme einem Referendum gleich. Wenn das politische Räderwerk blockiert ist, dann muss eigentlich der Bürger wieder zu Wort kommen. Das eigentlich Schlimme ist: Angesichts des aufgeheizten Klimas sind Neuwahlen die riskanteste aller Optionen.
Der "Lügner" und sein Fanclub
Le Soir hat die Argumentation De Wevers durchleuchtet. Das Blatt stützt sich dabei auf Analysen der Studienbüros von Ecolo und PS. Resultat: De Wever hat offensichtlich gelogen, Zahlen verdreht, um sein Nein dem flämischen Wähler zu verkaufen.
Das ganze Theater scheint den derzeitigen Hauptdarsteller allerdings nur noch stärker zu machen. Gazet van Antwerpen und Het Laatste Nieuws haben unabhängig voneinander Blitzumfragen durchgeführt. Beide kommen zum selben Ergebnis: "Der Fanclub von De Wever wird immer größer", fasst es Het Laatste Nieuws in seiner Schlagzeile zusammen. Demnach könnte die N-VA sogar mit 40 % der Wählerstimmen rechnen. Das sollte Elio Di Rupo zum Nachdenken zwingen, meint Gazet van Antwerpen in seinem Leitartikel. Wenn er davon träumt, die N-VA zu schwächen, dann wird es Zeit, dass er aufwacht.
Bild: Siska Gremmelprez (belga)