"Pokerspiel um Koalition hat begonnen", mit dieser Balkenüberschrift macht De Standaard heute auf und meint, dass Regierungsbildner Di Rupo ein erstes Ja zu seinen Vorschlägen von den französischsprachigen Liberalen gehört hat. Ob Elio Di Rupo nach dem nächsten Wochenende tatsächlich Koalitionsverhandlungen wird aufnehmen können, wird davon abhängen, ob er die Zeichen der Zeit richtig eingeschätzt hat.
Im Leitartikel heißt es, dass dies im Bezug auf die Gewerkschaften wohl nicht der Fall zu sein scheint. Deren gemeinsame Kritik an Di Rupos Kompromissvorschlag sei äußerst heftig ausgefallen. Das aber, so meint der Leitartikler, käme Di Rupo taktisch gut zu passe, könne er so doch deutlich machen, dass er sich weit aus dem Fenster gelehnt hat und bereit ist, sich von Tabus zu verabschieden.
Regierungsbildner schafft Verhandlungsgrundlage
Ist das Dokument des Regierungsbildners deshalb der beste Text, den man hätte schreiben können, fragt sich der Leitartikler in Het Belang van Limburg. Wahrscheinlich nicht, meint der Kommentator, dennoch habe Di Rupo ein ehrliches, mutiges und ausgeglichenes Dokument abgeliefert, mit dem der Versuch unternommen werden kann, die verfahrene politische Situation aus der Sackgasse zu holen, die Staatsfinanzen zu sanieren, strukturelle Reformen durchzuführen und eine sechste Staatsreform einzuläuten. Dass es Kritik hagele, sei verständlich. Die scharfe Kritik der Gewerkschaften allerdings sei enttäuschend, meint der Leitartikler. Auch sie müssten einsehen, dass wir auf einem sinkenden Schiff sitzen, das Orchester spiele noch, und man glaube, alles sei in Ordnung. Die guten Nachrichten der scheidenden Regierung würden aber nur blenden.
Subtile Gleichgewichte, harsche Kritik..
Het Laatste Nieuws meint, dass nach 388 Tagen endlich wieder Hoffnung besteht. Nach dem ersten "Ja, aber.. " der MR und der FDF und der Überraschung bei der CD&V, steige nun der Druck auf die N-VA. Wenn die Gewerkschaften jetzt Kritik an den Vorschlägen Di Rupos übten, dann zeige dies, so der Leitartikler in Belgiens auflagenstärkster Zeitung, dass der Regierungsbildner einen Text abgeliefert habe, der subtile Gleichgewichte beinhalte: ein Balanceakt zwischen flämisch und französischsprachig, zwischen links und rechts und zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite.
Di Rupos politischer Mut
Die Vorschläge von Regierungsbildner Di Rupo sind auch Thema in La Libre Belgique. Die flämischen Nationalisten würden zusammen mit der CD&V Kritik an Di Rupos Vorlage äußern. Ihre offizielle Stellungnahme sei am Mittwoch oder Donnerstag zu erwarten. Im Leitartikel heißt es hierzu, dass es keine 24 Stunden gedauert habe, bis die aufkeimende Hoffnung, die Di Rupos Vorschläge ausgelöst hatten, durch drohende Stellungnahmen aus Flandern überschattet wurde. Die N-VA und ihr Vasall, die CD&V, würden die Staatsreform à la Di Rupo wohl als unzureichend einstufen. Doch auch sie sollten wissen, so der Leitartikler, dass Verhandeln, Kompromissbereitschaft und politischer Mut das sei, was unser Land für seine Zukunft benötige. Mehr als ein Jahr nach den Wahlen sei es Zeit, dass die Masken endlich fallen.
Gewerkschaftliche Kritik, reale Sparzwänge
"Gewerkschaften erklären Di Rupo den Krieg", mit dieser Balkenüberschrift macht auch Het Nieuwsblad auf und meint im Leitartikel, dass die Kritik der Arbeitnehmerorganisationen vorauszusehen war. Mit ihrer vollständigen Ablehnung der Vorschläge Di Rupos würden sie sich allerdings selber ins Abseits manövrieren, meint der Kommentator. Die Realität sei nämlich nicht zu leugnen: In den kommenden Jahren wird das Land 22 Milliarden Euro sparen müssen. Wer behauptet, dass dies möglich ist, ohne jeden mitbezahlen zu lassen, der erzähle Nonsens.
Im Gegensatz zu den Gewerkschaften, so schreibt das Wirtschaftsblatt L'Echo heute, sei es Di Rupo sehr wohl gelungen, die Arbeitgeber für seine Vorschläge zu erwärmen. Nichts sei perfekt, meint die Zeitung, dennoch hätte der Inhalt des Di Rupo-Dokuments beim Unternehmerverband, selbst beim flämischen, Zustimmung erhalten. Die Vorschläge seien, selbst wenn einige Punkte enttäuschten, eine gute Verhandlungsgrundlage.
Deshalb glaubt auch der Leitartikler in Gazet van Antwerpen, dass Di Rupos Vorschläge es wert sind, sie weiter zu diskutieren. Di Rupo sei bis zum Äußersten gegangen. Selbst wenn dies nicht bedeute, dass sein Dokument nicht verbesserungsfähig ist.
"Ja, aber.." - Parteien beraten ihre Stellungnahmen
In die gleiche Kerbe schlägt der Leitartikler in De Morgen heute, der die Funkstille aus den Reihen der Parteien, die auf die Vorschläge reagieren sollen, dahingehend wertet, dass eine Windstille von mehr als einem Tag bereits bedeute, dass viel Zeit nötig sei, um Argumente gegen die Vorschläge des Regierungsbildners zu finden. Deshalb würden wohl auch alle flämischen Parteien ein "ja, aber.." formulieren müssen. Damit hätte man zwar nicht sofort eine neue Regierung, doch könne sich niemand erlauben, auf Grundlage dieser Vorschläge endgültig den Stecker zu ziehen. Es sei denn, man verfolge dies als Endziel.
Kein voreiliger Optimismus also, meint auch de Leitartikler in Le Soir. Selbst wenn Koalitionsverhandlungen jetzt anlaufen würden, ein "ja" zu Diskussionen hierüber bedeute noch lange kein "ja" zur Integralität des Dokumentes, das Regierungsbildner Di Rupo vorlegte.
Archivbild: Philippe Bourguet (belga)