"Di Rupo will Belgien drastisch reformieren", mit dieser Balkenüberschrift macht Gazet van Antwerpen auf und meint, dass Di Rupo neben drastischen Sparmaßnahmen auch Vorschläge für eine Rentenreform und eine sechste Verfassungs- beziehungsweise Staatsreform macht, die allerdings, so glaubt der Leitartikler der Antwerpener Tageszeitung, wieder zur Achillesferse werde.
Zwar sei das Arbeitsdokument von Di Rupo klug konstruiert, man könne nicht behaupten, dass es ein reines PS-Dokument wäre. Sowohl im institutionellen und sicher im sozialwirtschaftlichen Bereich birgt es nämlich aus der Sicht der Französischsprachigen erhebliche Zugeständnisse. Di Rupo habe sein Möglichstes getan. Dennoch beinhalte das Dokument einige für Flamen schwer verdauliche Brocken. Hierzu gehörten der nationale Wahlkreis und die Zugeständnisse für die sechs Brüsseler Randgemeinden mit Sonderstatut. Klar müsse sein, dass nie jemand alles, was er sich wünscht, auch bekomme.
Gewagtes Grundsatzpapier von Regierungsbildner Elio Di Rupo
La Dernière Heure titelt auf Seite 1: "Di Rupo verordnet Belgien eine Diät". Die Sparpläne des Regierungsbildners würden Arbeitslose, Wohlhabende, Minister und Beamte treffen.
Damit, so titelt La Libre Belgique, breche Di Rupo mit allen Tabus, wie etwa der Spaltung von Brüssel-Halle-Vilvoorde und drastischen Veränderungen beim Arbeitslosengeld. Der Leitartikler meint hierzu, dass man Elio Di Rupo zugutehalten müsse, dass er ein Dokument vorgelegt hat, an das man sich erinnern werde. Es sei detailliert, es beziffere viele Dinge und sei vor allem gewagt. Wenn dieses Land endlich aus dem Stillstand heraus wolle, dann müsse man wagen. Di Rupo habe jedenfalls Abstand von seiner Rolle als PS-Parteichef genommen und sei in das Gewand eines ernstzunehmenden Anwärters auf das Amt des Premierministers geschlüpft.
Der Vorschlag, so der Kommentar in La Libre Belgique, könne als Sockel für den Abschluss einer Einigung dienen, weil er für alle schmerzhafte Seiten habe. Bart De Wever oder Alexander De Croo würden unaufhörlich nach einem modernen Sozialismus verlangen, einem Sozialdemokraten, der gewagte Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen ergreift, so wie es Altbundeskanzler Schröder in Deutschland tat. Jetzt hätten sie einen solchen.
Rückkehr an den Verhandlungstisch?
Auch Het Nieuwsblad glaubt, dass der Vorschlag Di Rupos alle treffe. Darin sieht der Leitartikler denn auch die Chance, die das Dokument birgt. Di Rupo habe mit seinem Vorschlag beweisen müssen, dass er nicht nur der PS-Parteivorsitzende ist. Das sei ihm gelungen. Keiner könne von einem reinen PS-Vorschlag reden, und das sei derzeit ganz schön gewagt. Noch überraschender sei, dass Di Rupo auch drastische Vorschläge etwa zur Arbeitslosigkeit oder im Gesundheitsbereich macht. Es werde Zeit, dass die, die eine Einigung wollen, an den Verhandlungstisch zurückkehrten, um einen solchen Kompromiss zu finden. Di Rupos Vorschlag sei jedenfalls eine ernstzunehmende Grundlage hierzu.
De Wever vor schwieriger strategischer Abwägung
In die gleiche Kerbe schlägt auch De Standaard. Das Blatt fragt sich gleichzeitig, wer Di Rupo und seinen Vorschlägen jetzt folgen wird. Doch auch in dieser Zeitung ist der Leitartikler davon überzeugt, dass nach einem Jahr und drei Wochen nach den Wahlen zum ersten Mal ein Dokument auf dem Tisch liegt, und diese Vorlage von jemandem komme, der in allen Bereichen des Regierens klare Standpunkte hat und die auch umzusetzen bereit ist. Der Regierungsbildner trete wie jemand auf, der nicht abwartet, nicht zweifelt und auch nicht zurücksteckt. Nein, er komme mit einem Kompromissvorschlag, der in einigen Bereichen so radikal sei, dass Vielen die Luft wegbleibe.
Damit stelle Di Rupo N-VA-Parteichef De Wever strategisch vor dessen vermutlich schwierigste Abwägung. De Wever könne den Vorschlag vom Tisch fegen, habe er seinen Wählern doch mehr versprochen. Allerdings müsse er sich die Frage stellen, ob es je einen besseren Moment geben werde. Komme die Reform, sei sie sicherlich nicht die letzte. Komme sie nicht, werde man sich fragen müssen, ob es nicht eine verpasste Chance ist.
Umrisse eines neuen Belgien
Auch L'Avenir ist überzeugt, dass der Vorschlag Di Rupos Belgien neu umreißt. Denn, so titelt Le Soir, Di Rupo gehe fast alle Tabus an. Dadurch könne sein Vorschlag nicht integral abgewiesen werden, und stünden seine Partner mit dem Rücken zur Wand. Das veranlasst den Leitartikler zu der Feststellung, dass der Regierungsbildner den Weg des Mutigen beschreitet. Ob diese Strategie zum Sieg führe, sei nicht sicher, vor allem, weil in Flandern das Dokument auf seine kopernikanischen Umwälzungen hin untersucht werde. Wie dem auch sei, die Stunde der Wahrheit habe geschlagen. Di Rupo habe Mut bewiesen. Deshalb könne man wohl alle anderen Parteien um die gleiche Courage bitten.
Di Rupo wächst über seine Rolle als Parteivorsitzender hinaus
Schließlich würden, so schreibt Het Laatste Nieuws, auch Arbeitslose und Wohlhabende in Di Rupo Vorschlägen härter angepackt. Für den Leitartikler der auflagenstärksten Zeitung des Landes ist Di Rupo jedenfalls mit seiner Vorlage über seine Funktion des PS-Parteivorsitzenden hinausgewachsen.
Auch De Morgen meint, dass Di Rupo sich weit vorwagt, was den Kommentator der Zeitung zu der Feststellung veranlasst, dass, wer diesen Vorschlag ohne weiteres abschießt, sich selber ins Abseits manövriere.
Denn, so meint auch der Leitartikler in Het Belang van Limburg, der Vorschlag von Elio Di Rupo biete jedem etwas.
Bild: Virginie Lefour (belga)