"Unsere Wirtschaft boomt wieder" titelt heute Het Laatste Nieuws. "Belgien wird 2012 sogar Deutschland überholen", unterstreicht das Börsenblatt L'Echo auf seiner Titelseite. De Standaard hebt seinerseits einen anderen Aspekt hervor: "Der Index bedroht das Wachstum".
Diese Schlagzeilen sind gewissermaßen Ausschnitte aus dem jüngsten Konjunkturbarometer der Nationalbank. Demnach wird sich das Wirtschaftwachstum im laufenden Jahr auf 2,6 Prozent belaufen. In diesem und im kommenden Jahr werden der Studie zufolge rund 77.000 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Belgien, ein Paradies - noch …
Damit gehört Belgien innerhalb der Eurozone zur absoluten Spitze, doch warnt die Nationalbank vor übertriebener Euphorie: Um das Wachstum langfristig zu sichern, bedarf es unbedingt tiefgreifender Strukturreformen. Wie insbesondere De Standaard hervorhebt, sieht Nationalbankchef Luc Coene vor allem ein Problem in der Lohn-Index-Bindung, zumindest so, wie sie derzeit praktiziert wird. Das Problem: In Belgien ist die Inflation aus technischen Gründen außergewöhnlich hoch und damit steigen die Löhne unverhältnismäßig schnell. Die Nationalbank will denn auch die Lohn-Index-Bindung in all ihren Aspekten untersuchen, notiert De Morgen auf seiner Titelseite.
Le Soir formuliert es anders: "Die Nationalbank wagt eine Studie über den Index".
Im Grunde gibt es keinen schöneren Ort als Belgien, fasst es Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel zusammen. Eine Studie über den Lebensstandard in Flandern bestätigt noch diesen Eindruck. Das zeigt auch: Wenn die Wallonen wirklich ein Klotz am flämischen Bein wären, dann kann der so schwer nicht wiegen. Doch dürfen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen: Die Inflation und damit verbunden die Lohn-Index-Bindung in ihrer heutigen Form müssen unter Kontrolle gebracht werden.
L'Echo formuliert es noch deutlicher: Die zugegebenermaßen günstigen Konjunkturdaten dürfen uns nicht den Blick auf die Realität vernebeln. Das belgische Wachstum wird in erheblichem Maße von Deutschland gezogen. Deutschland wiederum kann seinen Aufschwung nur den mutigen Reformen verdanken, die in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurden. Belgien muss es dem Nachbarland gleichtun. Allerdings scheint schon das bloße Wort "Reformen" bei einigen Parteien und Gewerkschaften für allergische Reaktionen zu sorgen. Vor allem die Sozialisten wollen offensichtlich partout, dass Belgien seine griechischen Züge behält.
Einige Zeitungen kommentieren heute auch bereits erwähnte Studien über den Lebensstandard in Flandern, die der flämische Ministerpräsident Peeters am Mittwoch präsentierte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, wir lebten in einem Idyll, konstatiert etwa De Standaard. In beinahe allen Bereichen schneidet Flandern überdurchschnittlich gut ab. Aber Vorsicht: Selbstzufriedenheit wäre fehl am Platz. Um den Wohlstand in Flandern langfristig zu sichern, bedarf es tiefgreifender Reformen, insbesondere des Pensionssystems. Und da ist hierzulande nun mal die föderale Ebene gefragt. Es wird also höchste Zeit, dass sich bei den Brüsseler Verhandlungen etwas bewegt.
"Flämische Front"
Apropos innenpolitische Krise: N-VA-Chef Bart De Wever will heute mit den Vorsitzenden von OpenVLD und CD&V über die Bildung einer so genannten flämischen Front beraten. Hintergrund: De Wever wünscht sich, dass die flämischen Mitte-Rechts- bis Rechts-Parteien den Frankophonen gegenüber einen möglichst gemeinsamen Standpunkt vertreten.
Einige Leitartikler sehen das Ansinnen mit Skepsis. Für eine flämische Front ist es eigentlich zu spät, konstatiert etwa Het Belang van Limburg. Die flämischen Parteien haben sich längst auseinanderdividiert. Außerdem sollte eine wie auch immer geartete flämische Front auf möglichst breiter Grundlage stehen. Allerdings hat De Wever die flämischen Sozialisten und Grünen nicht eingeladen.
OpenVLD und CD&V haben ohnehin längst klar gemacht, dass sie sich nicht vor den N-VA-Karren spannen lassen wollen, analysiert Gazet van Antwerpen. Die OpenVLD deutet das Ganze zudem aus dem sozioökonomischen Blickwinkel heraus und plädiert dafür, auch die frankophone MR mit ins Boot zu nehmen, um einen veritablen Mitte-Rechtsblock zu bilden. All diese strategischen Spielchen machen aus der Di-Rupo -Mission mehr denn je einen Kamikazeauftrag.
Nun, sollte Di Rupo scheitern, dann gibt es nur einen, der die Fackel übernehmen könnte, sagt OpenVLD-Chef Alexander De Croo in Le Soir: Einziger möglicher Nachfolger wäre Bart De Wever. Neuwahlen sind jedenfalls keine Option.
Ein Parlament, wie es sich gehört
La Libre Belgique kann der politischen Dauerkrise zumindest einen positiven Aspekt abgewinnen: Das Parlament hat sich emanzipiert. Es werden Gesetze mit Wechselmehrheiten verabschiedet, die unter Normalumständen niemals durchgegangen wären. Die Parlamentarier sind nicht mehr dazu verdammt, Regierungsvorlage per Knopfdruck durchzuwinken, sondern werden ihrer Rolle als Gesetzgeber wieder gerecht.
Adecco und Martin Luther King
De Morgen kommt auf seiner Titelseite noch mal auf die so genannte Adecco-Affäre zurück. Die Zeitarbeitsfirma hatte in ihren Akten diskret einen Unterschied gemacht zwischen weißen und ausländischstämmigen Kandidaten. Von dieser Kennzeichnung haben auch große Firmen ausdrücklich Gebrauch gemacht, wie etwa Delhaize, C&A, Electrabel oder Benetton. Ausgerechnet Benetton, hebt De Morgen in seinem Leitartikel hervor. Eine Firma, die sich Multikulti an die Fahne heftet, stellt am liebsten weiße "Einheimische" ein. In Belgien ist offensichtlich der Kampf eines Martin Luther King noch nicht gewonnen.
Die Adecco-Praktiken liegen zwar schon zehn Jahre zurück, notiert Le Soir. Man muss aber nicht glauben, dass die Mentalitäten sich inzwischen grundlegend geändert hätten. Im Lichte des Wirtschaftswachstums bietet sich jetzt aber möglicherweise eine einmalige Chance: Vielleicht finden sich bald keine möglichst weißen belgischen Kandidaten mehr. Dann sind Unternehmen - so traurig es klingt - vielleicht dazu "gezwungen", Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen.
Archivbild: Eric Vidal (belga)