"Belgien immer noch die Geisel", so die Balkenüberschrift in La Dernière Heure. Vor einem Jahr habe Bart De Wever mit seinem erdrutschartigen Wahlsieg für die große Überraschung gesorgt, seither habe sich aber nichts getan. Man stehe nirgendwo. Derweil kündigten sich bereits die nächsten Kommunalwahlen an, und die hätten die Parteien bereits im Kopf, meint das Blatt.
MR: Die Linke blockiert ebenso wie die N-VA
Le Soir macht mit einem Interview, das MR-Parteichef Charles Michel der Brüsseler Tageszeitung gab, auf und titelt mit einem Zitat des MR-Vorsitzenden: "Die Linke blockiert genau wie die N-VA". Für Charles Michel ist Elio Di Rupo in seiner Rolle als Regierungsbildner auch nicht der Sprecher aller Französischsprachigen. Seit einem Jahr sei die N-VA durch ihre Unnachgiebigkeit Ursache für die Sackgasse, in der die Verhandlungen zur Staatsreform stecken. Gleichzeitig würde der Konservatismus der französischsprachigen Linken aber sozialwirtschaftliche Gespräche blockieren. Für Charles Michel macht diese Linke, so schreibt Le Soir, Reformen bei Renten und Arbeitslosenversicherung unmöglich und blockiert Steuersenkungen für Klein- und Mittelverdiener.
La Libre Belgique hat ebenfalls das Jahr ohne neue Regierungskoalition auf der Titelseite und meint, dass zum Ende des Sommers ein Stichtag anstehe. Die N-VA erhöhe erneut den Druck, und der nur noch die Amtsgeschäfte führende Premier Yves Leterme gebe zu, jetzt doch langsam die Nase voll zu haben. Im Innenteil der Zeitung veröffentlicht das Blatt ein ausführliches Interview mit dem Politologen Vincent de Coorbyter. Die Zeitung geht auch auf die jüngste Drohungen von N-VA Parteichef Bart De Wever ein, bei Ausblieben von Einigungen am Ende des Sommers die Verhandlungen beenden zu wollen.
(Schon wieder) N-VA-Deadline - "Absoluter Unsinn"
Diese neue Deadline veranlasst den Parteichef der flämischen Christdemokraten, Wouter Beke, dazu, sie in De Morgen heute als "absoluten Nonsens" abzutun. Gemünzt ist diese Aussage Bekes auch auf den Vorwurf, wonach die CD&V sich nach Auffassung de N-VA nicht genügend engagiert. Im Leitartikel heißt es, dass CD&V-Parteichef Beke das Bild, wonach seine Partei immer im Windschatten der N-VA fährt, satt habe. Mit der Kritik an der N-VA stehe die CD&V derweil nicht alleine. Auch die Liberalen der OpenVLD hätten am Wochenende gegen Bart De Wever ausgeholt. In den französischsprachigen Parteizentralen, so schreibt der Leitartikler, werde heute indes wohl über so viel Uneinigkeit im von Bart De Wever beschworenen flämischen Lager geschmunzelt. Eine Regierung ohne die N-VA käme aber trotzdem nicht in Reichweite. Denn weder die Christdemokraten noch die Liberalen in Flandern hätten Pläne, eine Koalition ohne den großen Wahlgewinner vom letzten Juni zu schmieden.
Vom Arbeitsethos der Flamen und Wallonen
De Standaard macht heute mit den Ergebnissen einer europaweit durchgeführten Untersuchung auf, wonach das stereotype Bild des hart arbeitenden Flamen und faulen Wallonen Lügen gestraft wird. Die Studie brachte nämlich nach Angeben von De Standaard ans Tageslicht, dass bei Wallonen und Brüsselern die Erwerbstätigkeit einen zentraleren Platz im Leben einnimmt, als das bei den Flamen der Fall ist. Arbeiten empfinden auch mehr Wallonen als Flamen als moralische Pflicht.
Het Laatste Nieuws notiert auf der Titelseite, dass es drei gefährlichen Gangstern im französischsprachigen Landesteil gelungen ist, aus dem Gefängnis zu türmen, und diese Flucht vermutlich wegen des nonchalanten Verhaltens des Wachpersonals möglich wurde. Den Leitartikel widmet Belgiens auflagenstärkste Zeitung hingegen der inzwischen einjährigen politischen Krise. Es dauere und dauere, meint der Kommentator, und schreibt, dass das Pfingstwochenende vorbei sei, und der Staub, den die Empfehlungen der Europäischen Kommission für Belgien aufgewirbelt hatte, sich wieder gelegt habe. Die Zeit sei reif, und Regierungsbildner Di Rupo müsse jeden mit seiner Verantwortung konfrontieren.
Elio Di Rupo, der (zu) vorsichtige Regierungsbildner
Auch der Leitartikler von Gazet van Antwerpen ist der Meinung, dass, wenn es Regierungsbildner Di Rupo mit seinem Auftrag ernst meint, er jetzt schneller arbeiten müsse. Er habe noch nie einen Regierungsbildner gesehen, der so zögernd und vorsichtig mit seinem Auftrag umgegangen sei, meint der Kommentator. Es sehe fast so aus, als glaube der PS-Vorsitzende selber nicht an einen Erfolg seiner Mission.
Auch Het Nieuwsblad widmet den Leitartikel dem Warten auf eine neue Regierung und meint, nicht der Umstand, die Wahlen zu gewinnen, mache den Unterschied aus, sondern vielmehr das, was man mit einem Wahlsieg anfange. Demokratie sei organisierte Meinungsverschiedenheit. Dass Politiker also grundsätzlich andere Meinungen vertreten, sei normal. Problematisch sei, dass sie nicht zu einem Vergleich finden könnten.
Belgien, so schreibt der Leitartikler in Het Belang van Limburg schließlich, bleibe das Land des Surrealismus. Während alle Beobachter, Politologen und mehr und mehr auch Politiker davon ausgehen, dass Neuwahlen im Herbst nicht zu vermeiden sind, tue Elio Di Rupo fleißig weiter so, als forme er eine Regierung.
Bild: Bruno Fahy (belga, 11.6.)