Im Mittelpunkt der Kommentare steht derweil die innenpolitische Lage und insbesondere die Meldung, wonach bis 2015 nicht 17 sondern 22 Milliarden Euro gefunden werden müssen, um den Haushalt ins Gleichgewicht zu bringen.
"EHEC-Infektionsquelle bleibt rätselhaft", titeln heute fast gleichlautend Het Belang van Limburg und Het Laatste Nieuws. De Morgen spricht auf Seite 1 vom "EHEC-Chaos". Nachdem Soja-Sprossen als möglicher Ursprung der Kontamination offensichtlich ebenfalls ausscheiden, muss die Suche nach dem EHEC-Auslöser weiter gehen, stellt das Blatt fest.
EHEC-Chaos
Nach diesem neuen Rückschlag wächst die Kritik am deutschen Krisenmanagement. "Die Deutschen machen das EHEC-Chaos nur noch größer", notiert etwa Het Nieuwsblad. Deutschland glänzt durch Kakofonie, zitiert De Morgen sinngemäß einen Sprecher der AFSCA, der föderalen Agentur für Nahrungsmittelsicherheit. Die Kommunikation komme von allen Seiten, so der Sprecher. Inzwischen verstehe niemand mehr, was da los ist. Von angeblicher "deutscher Gründlichkeit" keine Spur.
Er könne nicht verstehen, dass die Deutschen denselben Fehler zweimal machen, zitiert De Morgen auch einen Bakteriologen der Universität Antwerpen. Nach dem Gurken-Chaos scheint sich nun auch der Sprossen-Verdacht nicht zu bestätigen.
Nach der Fehlwarnung vor spanischen Gurken war ja der Absatz von Rohgemüse in ganz Europa dramatisch eingebrochen. Auch der belgische Agrarsektor blieb nicht verschont.
De Standaard bringt eine Reportage aus der Region Mechelen, wo Gemüsebauer Gurken und Tomaten einfach wieder auf ihre Felder kippen. Immerhin könne ja die unverkaufte Ware noch als Kompost dienen, sagt ein verzweifelter Landwirt.
Laut Het Nieuwsblad ist aber Licht am Ende des Tunnels. Demnach ist in Belgien der Verkauf von Gurken wieder angelaufen, hat sich stellenweise sogar wieder auf den Stand von vor der EHEC-Krise eingependelt.
Für Le Soir ist das Ganze ein neues Armutszeugnis für die EU, beziehungsweise die europäische Idee. Der Streit zwischen Deutschland und Spanien wäre vielleicht nur eines dieser altbekannten europäischen Psychodramen, wenn die Angelegenheit nicht so ernst wäre. Der EU die Schuld dafür zu geben, wäre aber nur die halbe Wahrheit - schließlich hängt die Schlagkraft der EU immer noch am Tropf der Bereitschaft der Mitgliedstaaten, souveräne Zuständigkeiten abzugeben.
Zahlen-Wirrwarr
Zweites großes Thema ist einmal mehr die innenpolitische Lage. Wie gestern bekannt wurde, muss Belgien nach neuesten Berechnungen nicht 17, sondern bis zu 22 Milliarden einsparen, um bis 2015 den Haushalt ins Gleichgewicht zu bringen. Und auch die EU fordert von Belgien strukturelle Reformen, wie La Libre Belgique auf ihrer Titelseite hervorhebt. Anders gesagt: Jetzt ist wirklich Eile angesagt!
"Da blickt doch keiner mehr durch", beklagt Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Erst waren es 25 Milliarden, dann 17 Milliarden und jetzt doch wieder 22 Milliarden Euro, die eine künftige Regierung aufbringen muss. Nun gut, diesen Unterschied kann man erklären. Die jüngsten Berechnungen gehen vom "Worst Case", also vom schlimmsten anzunehmenden Szenario aus. Zahlen hin oder her, eins ist sicher: Hier bedarf es tiefgreifender Strukturreformen.
Die Politik vermittelt da gerne einen anderen Eindruck, bemerkt dazu Het Nieuwsblad. Noch unlängst wollte Yves Leterme bei einer Rede dem Publikum weismachen, allein die Haushaltsführung der amtierenden Regierung habe schon bewirkt, dass das Sparvolumen von 25 auf 17 Milliarden Euro geschrumpft sei. Hier wird so getan, als würden mal eben acht Milliarden Euro verschwinden, ohne dass es jemand spürt. Doch der Bürger muss wissen: Haushaltdefizite schmelzen nicht.
Das wird schmerzhaft, betont auch Gazet van Antwerpen, und ohne strukturelle Reformen geht es nicht. Will heißen: Auch über Tabu-Themen wie das Rentenalter oder die soziale Sicherheit muss gesprochen werden. Und das wiederum setzt eine Staatsreform voraus.
Regierungsbildner Elio Di Rupo hat zwei Töpfe auf dem Herd, meint auch L'Avenir: die Staatsreform und eben die sozialwirtschaftlichen Herausforderungen. Und wenn letztere derzeit auch im Vordergrund stehen, so sind die institutionellen Fragen damit natürlich nicht vom Tisch.
Rechts vs. Links - mit Grauzonen
Jetzt geht es aber erst mal um den klassischen Antagonismus zwischen Rechts und Links, bemerkt De Standaard. Jetzt geht es um fundamentale politische Weichenstellungen. Jetzt geht es etwa um die Frage, wie viel Sozialstaat beziehungsweise wie wenig Staat wir in Zukunft haben werden. Es sind keine einfachen Entscheidungen, die die Politik da bald treffen muss. Wichtig ist aber, dass man nicht länger wartet.
Viel wird jetzt davon abhängen, wie Elio Di Rupo nach überstandener Operation ab morgen die Sache angehen wird, glaubt Het Belang van Limburg. Formuliert der Regierungsbildner konkrete Sparvorschläge inklusive Strukturreformen, dann ist ein Abkommen mit der N-VA möglich. Bleibt es bei vagen Ideen, dann könnte die N-VA den Verhandlungstisch verlassen. Und dann hängt alles an der CD&V: Entscheidet sie sich für De Wever, dann gibt es Neuwahlen. Entscheidet sie sich für Di Rupo, dann ist eine schnelle Regierungsbildung möglich. In diesem Fall blieben aber allerdings die Probleme dieselben.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass CD&V und Open-VLD dem Plädoyer der N-VA für eine "flämische Front" eine Absage erteilt haben, bemerkt dazu La Libre Belgique. Das muss ja nicht heißen, dass die im Übrigen unrealistische frankophone Vision einer Regierung ohne die N-VA wahr werden muss. Aber immerhin scheinen die flämischen Liberalen und Christdemokraten nicht mehr willenlos der N-VA hinterher laufen zu wollen. Und damit ist endlich wieder eine wirkliche politische Debatte möglich. Vor allem gibt es dann wieder Platz für Nuancen.
Bild: Manfred Rohde (epa)