Die Leitartikler beschäftigt vor allem eine Frage: Kann man von Gerechtigkeit sprechen, wenn ein Mensch offensichtlich standrechtlich exekutiert wird?
Weitere Themen sind die Diskussion über die Nuklearabgabe, ein angekündigter Streik im frankophonen Unterrichtswesen und einmal mehr die innenpolitische Lage.
Der Anschlag auf Osama Bin Laden
"Osama war unbewaffnet" titelt heute Het Nieuwsblad. Andere blicken hinter die Kulissen des amerikanischen Einsatzes, der zur Tötung Bin Ladens führte: "Im Herzen der Operation gegen Bin Laden", übertitelt heute De Morgen einige Fotos aus der Einsatzzentrale im Weißen Haus. "Obama verfolgte live die Attacke auf Bin Laden", so denn auch die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Immer mehr Einzelheiten werden über den Einsatz in Pakistan bekannt. Wie etwa Gazet van Antwerpen und Het Belang van Limburg berichten, soll ein weißer Suzuki die CIA zu Bin Laden geführt haben. In dem Fahrzeug saß ein Mann, von dem man wusste, dass er als Kurier für Bin Laden arbeitet.
Der eigentliche Einsatz gegen Bin Laden wurde monatelang vorbereitet. Die amerikanischen Spezialkräfte trugen dabei belgische Waffen, wie Het Nieuwsblad hervorhebt. Demnach benutzten die Navy Seals ein eigens für Spezialeinsatzkräfte entworfenes Sturmgewehr der wallonischen Waffenschmiede FN Herstal.
Pakistan am Pranger
Doch stehen zwei Tage nach dem Einsatz auch nach wie vor viele offene Fragen im Raum, wie etwa: Warum haben die USA Pakistan nicht informiert? Ganz einfach, meint Gazet van Antwerpen in ihrem Kommentar. Man wollte verhindern, dass Pakistan Bin Laden warnt.
Tatsächlich sind Fragen über die pakistanische Haltung erlaubt. Es ist schwer zu glauben, dass der pakistanische Geheimdienst nicht wusste, dass nur einen Steinwurf entfernt von einer Militärakademie der gefährlichste Terrorist der Welt lebte. Pakistan steht derzeit mit heruntergelassener Hose da, meint Gazet van Antwerpen. Ähnlich sieht das auch Het Laatste Nieuws. Von Pakistan darf man eine Erklärung erwarten.
Was ist Gerechtigkeit?
Doch wächst auch die Kritik an der amerikanischen Vorgehensweise. So notiert etwa La Libre Belgique: US-Präsident Obama spricht von Gerechtigkeit. Ein solches Wort im Zusammenhang mit der Exekution eines Mannes in den Mund zu nehmen - und wenn es sich dabei um Bin Laden handelt - ist schockierend. Man kann nicht auf der einen Seite willkürliche Hinrichtungen anprangern, wenn man die standrechtliche Tötung eines Menschen mit Gerechtigkeit gleichsetzt.
De Morgen unterschiedet in diesem Zusammenhang zwischen zwei Ebenen: der moralisch-politischen einerseits und der juristischen auf der anderen. Aus vielerlei politischen Gründen ist die Haltung Washingtons nachvollziehbar. Man stelle sich vor: Am Ende hätte Bin Laden vielleicht sogar freigesprochen werden müssen, weil entscheidende Hinweise unter Folter, sprich "Waterboarding" gewonnen wurden. Mit rechtsstaatlichen Mitteln hat die Erschießung Bin Ladens dennoch nichts zu tun.
All diese Fragen stellt man sich in Amerika nicht, konstatiert nüchtern La Dernière Heure. Für die Amerikaner zählt nur eins: dass sie nach zehn Jahren Staatsfeind Nummer 1 los sind. Auch die Opposition in Washington hat das verstanden und hält sich mit vielleicht störenden Fragen zurück.
Eine neue Ära?
Methode hin oder her, eins muss man in jedem Fall festhalten, glaubt derweil L'Avenir: Der Tod des Al Kaida-Chefs eröffnet neue Perspektiven. Wie der Zufall so spielt, fällt der Tod von Bin Laden mit dem so genannten arabischen Frühling zusammen. Zehn Jahre nach dem 11. September eröffnet sich die Chance, die Beziehungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt neu zu definieren.
Auch Het Laatste Nieuws kann nur feststellen: In der islamischen Welt ist es bemerkenswert still. Trauerbekundungen für Bin Laden sind die absolute Ausnahme. Das zeigt, dass islamistischer Terrorismus nur von einigen wenigen kleinen Gruppen ausgeht.
La Libre Belgique bringt unterdessen ab heute eine große Reportage über die Arbeit der belgischen Truppen in Kundus. Ein Journalist, der längere Zeit mit den belgischen Soldaten in Afghanistan unterwegs war, berichtet über seine Erfahrungen und Eindrücke.
Höhere Nuklearabgabe?
De Standaard widmet sich auf seiner Titelseite der famosen Nuklearabgabe, die man der Atombranche abringen will. Jetzt stellen auch industrielle Großabnehmer von Elektrizität die Zahlen der Nationalbank in Frage. Das Fazit fasst De Standaard in seiner Schlagzeile zusammen: Die Atomabgabe könnte viel höher sein. In dieser Geschichte gibt es nur Verlierer, meint das Blatt in seinem Leitartikel. Die Nationalbank und auch die Regulierungsbehörde CREG haben an Glaubwürdigkeit verloren, der Bürger darf die Zeche zahlen.
Jetzt muss die Politik ihre Verantwortung übernehmen, fügt Het Belang van Limburg hinzu. Das ist in unser aller Interesse: Je mehr die Atombranche in die Staatskasse einzahlt, desto weniger muss der Bürger zur Haushaltssanierung beisteuern.
Aufmacher von Le Soir und L'Avenir ist der für morgen angekündigte Streik des Lehrpersonals im französischen Unterrichtswesen. Kommentierend meint dazu Le Soir: Die größte Herausforderung für die Gewerkschaften ist es, die öffentliche Meinung von den Schwierigkeiten und Widrigkeiten, die der Lehrerberuf mit sich bringt, zu überzeugen.
Damoklesschwert über der Rue de la Loi
Einige Zeitungen beschäftigen sich auch heute mit der innenpolitischen Lage. Es herrscht nach wie vor keine Eile, um eine Regierung zu bilden, kann Het Laatste Nieuws nur feststellen. Allerdings gibt es da doch ein Damoklesschwert: das für den 10. Juni angekündigte Zeugnis der Ratingagentur Standard & Poors. Die hat ja Belgien damit gedroht, die Kreditwürdigkeit des Landes herunterzustufen. Und das wäre eine mittlere Katastrophe, warnt sinngemäß der renommierte Ökonom Geert Noels.
Doch, wie Le Soir zu berichten weiß, scheint Vermittler Wouter Beke dennoch Fortschritte zu machen: Offenbar legt er letzte Hand an einen Vorschlag zur Spaltung von BHV.
Bild: Md Nadeem (epa)