Natürlich gibt es heute in der Tagespresse nur ein Thema: den Tod des islamistischen Terrorpaten Osama Bin Laden. Dabei sind sich die meisten Blätter einig: Der Tod von Bin Laden ist wohl nicht gleichbedeutend mit dem Ende der terroristischen Bedrohung. Allerdings müsse man auch festhalten: Politisch war Osama Bin Laden mit seiner Ideologie schon tot.
"Ende", titelt heute Le Soir. "Osama Bin Laden ist tot" meint ebenso nüchtern Het Nieuwsblad. De Standaard und De Morgen schreiben indes das Verdienst schon ausdrücklich dem US-Präsidenten zu: "Obama tötet Osama". Die Tötung von Osama Bin Laden in einer Villa nördlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad steht heute naturgemäß im Mittelpunkt der Berichte und Kommentare in der Tagespresse. Fast alle Blätter widmen dem Ereignis zahlreiche Sonderseiten. In vielen Zeitungen gibt es ausgiebige Rückschauen insbesondere auf die Anschläge vom 11. September 2001.
Kein Cowboy-Gehabe
Lob erntet insbesondere US-Präsident Barack Obama. La Dernière Heure meint etwa im Kommentar: Obama hat das geschafft, was seinem Vorgänger Bush nicht gelungen ist. Und er stellt damit zugleich seinen Parteikollegen und Vorgänger Jimmy Carter in den Schatten. Obama war immer häufiger mit Carter verglichen worden, jenem demokratischen US-Präsidenten, der sich auf der internationalen Bühne nicht durchsetzen konnte und sein Land im Irankonflikt blamierte. Carter wurde am Ende nicht wiedergewählt - vielleicht bleibt Obama jetzt, nach diesem Erfolg, ein ähnliches Schicksal erspart.
Viele Zeitungen sind der Ansicht, dass Obama mit der Tötung von Osama Bin Laden den Grundstein für eine zweite Amtszeit gelegt hat. L'Echo mahnt in diesem Zusammenhang aber zur Vorsicht: 18 Monat sind eine lange Zeit. Am Ende wird Obama wohl vor allem auf der Grundlage seiner wirtschaftspolitischen Erfolge beurteilt. Man darf nicht vergessen: George Bush senior hat seinen Sieg im Golfkrieg 1992 auch nicht ummünzen können, ihm blieb eine zweite Amtszeit verwehrt.
Wie dem auch sei: Het Nieuwsblad ist jedenfalls voll des Lobes für den nüchternen Ton, mit dem Obama den Tod des islamistischen Terrorpaten ankündigte. Der US-Präsident hat ganz bewusst auf Cowboy-Gehabe verzichtet. Zugleich unterstrich er noch einmal, dass der Krieg gegen den Terrorismus kein Kreuzzug ist. Und doch gibt es eine Wermutstropfen: Wäre es nicht besser gewesen, Bin Laden vor ein Gericht zu stellen, um unsere Überlegenheit gegenüber dem gefährlichen Moslemfundamentalismus noch einmal unter Beweis zu stellen?
L'Avenir geht noch einen Schritt weiter. Wenn Obama erklärt, dass "der Gerechtigkeit Genüge getan wurde", dann ist das der blanke Hohn. Kann man von Gerechtigkeit sprechen, wenn ein Mensch, auch wenn es Bin Laden ist, kaltblütig erschossen wird? Wer den Tod als einen Akt der Gerechtigkeit bezeichnet, der verübt einen Anschlag auf die Demokratie.
Bin Laden tot - Bedrohung bleibt
Naturgemäß stellen sich viele Zeitungen die Frage nach den Folgen des Todes von Osama Bin Laden. "Welche Welt nach Bin Laden?" titelt etwa L'Avenir. Die meisten Zeitungen sind sich einig: Der Tod von Osama Bin Laden bedeutet nicht automatisch das Ende der terroristischen Bedrohung. Das Grenz-Echo notiert etwa: Die weltweit verstreuten Al Kaida-Zellen operieren seit Jahren unabhängig von ihrem geistigen Anführer. Zwar ist dem Netzwerk seine Symbolfigur verloren gegangen, das dadurch entstandene Machtvakuum dürfte aber umgehend von neuen Kräften gefüllt werden. Racheakte gegen den Westen sind mithin durchaus möglich.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich: Es steht zu befürchten, dass Al Kaida jetzt den Beweis erbringen will, dass das Netzwerk noch nicht tot ist. Nicht nur die USA sind bedroht, sondern auch Belgien mit seinen zahlreichen internationalen Einrichtungen.
La Dernière Heure malt in diesem Zusammenhang fast schon den Teufel an die Wand: Die Schlagzeile auf der Titelseite lautet: "Al Kaidas Ziele in Belgien". Darunter zählen nach Ansicht der Zeitung die amerikanische Botschaft in Brüssel, der Hauptsitz der Nato in Evere, das militärische Nato-Hauptquartier "Shape" in Casteau bei Mons und der limburgische Luftwaffenstützpunkt Kleine Brogel.
Het Laatste Nieuws weiß in diesem Zusammenhang auf seiner Titelseite zu berichten, dass nach Informationen der belgischen Sicherheitsdienste unlängst fünf Moslemextremisten aus Pakistan nach Belgien zurückgekehrt sind. Die sollen in einem Al Kaida-Trainingslager ausgebildet worden sein. Die Verdächtigen stünden aber unter Beobachtung, berichtet das Blatt unter Berufung auf eine nicht genannte Quelle.
Der Tod von Osama Bin Laden ist allenfalls gleichbedeutend mit dem Tod eines Symbols, konstatiert denn auch La Libre Belgique. Es gibt inzwischen weltweit zahllose kleine Bin Ladens. Diese Form von Terrorismus kann man nur besiegen, wenn man das Übel bei der Wurzel packt. Armut und Analphabetismus bilden die Brutstätte von Fanatismus. Und auch die militärische Präsenz des Westens in einigen Staaten des Mittleren Ostens sollte ernsthaft in Frage gestellt werden.
Die Al Kaida-Ideologie war schon tot
Andere Zeitungen glauben demgegenüber, dass die Wende längst eingeläutet ist. Der Terrorismus ist vielleicht nicht ausgemerzt, aber mit dem Tod von Bin Laden ist die Seele gestorben, meint etwa Het Laatste Nieuws.
Der Tod von Bin Laden steht stellvertretend für das Ende des Dschihadismus, notiert seinerseits De Standaard. Al Kaida hat nie ein zukunftsfähiges Gesellschaftsmodell entwickeln können. Und am Ende wurde das Netzwerk durch die Aufstände in der arabischen Welt quasi ad absurdum geführt. Die Demonstranten fordern mehr Freiheit und ehrliche Wahlen und sind vom Westen inspiriert.
Ähnlich sieht das auch Het Belang van Limburg. Die Demonstranten in Tunis, Kairo, Bengasi oder Damaskus haben einen anderen Weg in die Freiheit gewählt: Ohne Sprengstoffgürtel, für Menschenrechte. Damit wurde Bin Laden sozusagen als falscher Prophet entlarvt.
Bin Laden starb gestern zum zweiten Mal, meint auch Le Soir. Die erste Kugel datiert schon vom Dezember vergangenen Jahres, als der arabische Frühling sich ankündigte. Der Westen darf jetzt aber nicht sein Rendezvous mit der Geschichte verpassen: Jene Völker, die sich gegen ihre Diktatoren aufgelehnt und die sich zugleich vom Terrorismus abgewendet haben, müssen jetzt mit allen Mitteln unterstützt werden.
De Morgen denkt da schon einen Schritt weiter: Mit dem Tod von Bin Laden und dem arabischen Frühling wird das Ende des Schwarz-Weiß-Denkens eingeläutet, vielleicht auch des vielbeschworenen "clash of civilisations".
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