In der flämischen Presse gibt es heute derweil ein großes Thema: die Übernahme der Fernsehsender VT4 und VijfTV durch eine flämische Medienholding. Einige Blätter beleuchten ferner auch heute wieder die innenpolitische Lage, einen Tag bevor sich der Beginn der Krise zum ersten Mal jährt.
"Philippe Gilbert Supermann", titelt heute Gazet van Antwerpen. Le Soir bezeichnet den Sieger gestern bei der Flèche Wallonne in Huy auf Seite 1 als "überraschend und unschlagbar". L'Avenir und Het Laatste Nieuws sehen derweil auf ihrer Titelseite in Philippe Gilbert schon den Sieger von Lüttich-Bastogne-Lüttich am kommenden Sonntag.
Gelingt Gilbert ein 4/4?
Das Foto von Philippe Gilbert prangt nicht umsonst auf nahezu allen Titelseiten. Dem Radprofi aus Verviers ist das Kunststück gelungen, innerhalb von acht Tagen drei Radklassiker zu gewinnen, nämlich die Flèche Brabançonne, das Amstel Gold Race und eben gestern die Flèche Wallonne. Damit übernimmt Gilbert auch die Führung in der Weltrangliste. Sein eigentliches Saisonziel ist und bleibt aber Lüttich-Bastogne-Lüttich, bemerkt dazu La Dernière Heure. Sollte er am Sonntag auch diesen (im Übrigen ältesten) Radklassiker gewinnen, dann würde Gilbert Radsportgeschichte schrieben. L'Avenir sagt schon jetzt in seinem Leitartikel: "Danke, Philippe! Danke für so viel reines Glück! Danke für all diese Adrenalinstöße, danke für so viel Ansporn für alle Radsportfreund in diesem Land!"
Umwälzungen
Das zweite große Thema heute, vor allem in der flämischen Presse, ist zweifelsohne die Übernahme der flämischen Fernsehsender VT4 und VijfTV von Pro7/SAT1 durch die Mediengruppe De Vijver. Hierbei handelt es sich um einen Big Player in der flämischen Medienlandschaft. Beteiligt sind unter anderem Corelio, der Herausgeber etwa von De Standaard und Het Nieuwsblad, und Sanoma, der größte belgische Zeitschriftenverlag. Die Mediengruppe De Vijver kontrolliert jetzt schon die Zeitschrift Humo und das Produktionshaus Woestijnvis. Mit all diesen Medien im Rücken entsteht nun de facto ein dritter großer Fernsehsender neben den Platzhirschen VRT und VTM. Sogar die frankophone Wirtschaftszeitung L'Echo widmet der Übernahme einen großen Artikel.
"Plötzlich ist alles anders", konstatiert denn auch De Standaard in seinem Leitartikel. Es ist die größte Umwälzung in der flämischen Medienlandschaft seit der Gründung des Privatfernsehsenders VTM. Das Produktionshaus Woestijnvis, das mit seinen qualitativ hochwertigen Programmen die VRT groß gemacht hat, wird nun zum Konkurrenten der öffentlich-rechtlichen Anstalt. Der faktische Zusammenschluss von Printmedien und audiovisuellen Kreativprofis kann mit Sicherheit für spannende crossmediale Synergien sorgen.
Das Ganze kann nur im Sinne der Zuschauer sein, glaubt De Morgen. Bisher glänzten VT4 und VIJFtv allenfalls durch ewige Wiederholungen von zweitklassigen amerikanischen Serien. Vor allem das Knowhow von Woestijnvis, die in den letzten Jahren immer wieder Straßenfeger produziert haben, das allerdings exklusiv für die VRT, dieses Knowhow wird die flämische TV-Landschaft in absehbarer Zeit um eine starken TV-Sender reicher machen. Und Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.
Das mag stimmen, meint Het Nieuwsblad in seinem Kommentar, doch sorgen große Umwälzungen naturgemäß auch immer für große Nervosität. Beim Privatsender VTM dürfte jedenfalls der eine oder andere Verantwortliche schlecht geschlafen haben. Nicht ohne Grund: Der Kuchen der Werbeeinnahmen wird wohl nicht größer; VTM muss mit Einbußen rechnen. Und auch bei der VRT dürfte das Ganze für Unruhe sorgen: Der öffentlich-rechtliche Sender wird wohl künftig auf einige Topprodukte aus dem Hause Woestijnvis verzichten müssen.
Die VRT muss sich eben neu erfinden, notiert denn auch Gazet van Antwerpen. Woestijnvis stand für Qualität, ließ sich die aber auch fürstlich bezahlen. Das hatte in der Vergangenheit im flämischen Parlament immer wieder für Zähneknirschen gesorgt. Jetzt muss sich die VRT auf sich selbst besinnen. Am Geld sollte es nicht scheitern: Allein vom Staat bekommt die VRT jährlich 300 Millionen Euro überwiesen.
Het Belang van Limburg befürchtet seinerseits eine Zersplitterung der flämischen Medienlandschaft. Für ein größeres Angebot steht faktisch weniger Geld zur Verfügung. Ob am Ende wirklich der Zuschauer der Gewinner ist, bleibt abzuwarten.
Geheimplan N-VA
La Libre Belgique und De Morgen blicken schon auf den morgigen Tag, an dem sich ja der Sturz der Regierung Leterme zum ersten Mal jährt. Am 22. April 2010 zog die flämische OpenVLD den Stecker aus. "Wir bereuen nichts", zitiert dazu La Libre Belgique den OpenVLD- Spitzenpolitiker Vincent Van Quickenborne. In De Morgen macht eben dieser Van Quickenborne noch einmal klar, dass die OpenVLD niemals einer Regierung ohne die N-VA beitreten wird. Die N-VA habe die Wahl gewonnen, jetzt liege es an De Wever, endlich wieder das Heft in die Hand zu nehmen.
In diesem Zusammenhang wartet Le Soir mit einer bemerkenswerten These auf. Demnach sollen die CD&V-Altmeister Marc Eyskens und Wilfried Martens mit ihren Attacken gegen die N-VA einen Geheimplan ihrer Partei torpediert haben: Anscheinend planten CD&V-Spitzenleute wie Yves Leterme längst, die N-VA dazu zu bringen, sich zurückzuziehen. Indem Eyskens und Martens genau dazu aufriefen, also die N-VA in die Wüste zu schicken, wurde dieser Plan versenkt. Unter Berufung auf einen N-VA-Politiker schlussfolgert Le Soir: Das ist auf dem Niveau der Muppetshow.
Het Nieuwsblad hebt heute auf seiner Titelseite hervor, dass eins von zehn Geschäften leer steht. Betroffen ist vor allem der ländliche Raum: In vielen Dörfern gibt es selbst keine Bäcker mehr. Aufmacher von Le Soir sind die jüngsten Verkehrsstatistiken. Demnach ist die Zahl der Verkehrstoten innerhalb eines Jahres um 12 Prozent auf jetzt 729 gesunken. Innerhalb von zehn Jahren ging die Zahl gar um 50 Prozent zurück.
Bild: Nicolas Bouvy (belga)