Die teilweise schockierenden Aussagen des wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger vom Amt des Bischofs zurückgetretenen Roger Vangheluwe, die vorgestern im Rahmen eines Fernsehinterviews ausgestrahlt wurden, sorgen auch heute für das Aufmacher- und Kommentarthema in der belgischen Inlandspresse.
Kirche im Schock-Zustand, das ist die Balkenüberschrift in de Morgen heute. Nach dem Fernsehinterview von Roger Vangheluwe sei die katholische Kirche Belgiens in ihren Grundfesten erschüttert worden, meint das Blatt. Man sei äußerst schockiert, zitiert die Zeitung die Bischofskonferenz. Vangheluwe erkenne anscheinend den Ernst seiner Vergehen nicht.
Der Leitartikler von De Morgen geht unterdessen hart mit der Kirche ins Gericht und meint, dass die durch eine adäquate Reaktion auf die Aussagen Vangheluwes hätte beweisen können, dass sie schneller und besser als andere Institutionen zu Wahrung ihrer Normen und Werte auftreten kann. Wenn die Kirche sich nicht von Vangheluwe distanzieren könne, wie sei es der Bevölkerung dann möglich, diese Kirche nicht auch weiterhin mit Vangheluwe zu assoziieren, fragt sich der Leitartikler in de Morgen.
Sprachlosigkeit, Wut und Empörung
Auch L’Avenir meint, dass nach den scharfen Reaktionen aus den Reihen der Politik die Forderung nach einer angepassten Reaktion der Kirche lauter werde. Das TV-Interview habe Sprachlosigkeit und Wut ausgelöst und sei ein harter Schlag für die belgischen Bischöfe. Jetzt, wo auch der Abschlussbericht des parlamentarischen Sonderausschusses zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche vorliegt.
"Empörung über Sexbericht von Ex-Bischof" titelt das Grenz-L'Echo und schreibt, dass Premierminister Yves Leterme die katholische Kirche ebenfalls zum Handeln aufgefordert habe. Denn so, zitiert die Deutschsprachige Zeitung den Regierungschef, gehe es nicht weiter.
Vatikan gefordert
Das Schicksal Vangheluwes sei jetzt in der Hand des Vatikans, schreibt La Libre Belgique. Die Belgische Bischofskonferenz wende sich nach dem Schock durch die jüngsten Aussagen des Ex-Bischofs von Brügge an den Heiligen Stuhl. Scharfe Kritik an Vangheluwe auch vom Leitartikler dieser Zeitung. "Unanständig, unmoralisch, unreif, ein Lügner", so der Kommentator. Hatte man geglaubt, dass Roger Vangheluwe nach dessen Versetzung durch den Vatikan ins Ausland unschädlich gemacht worden wäre, so dauerte es nur wenige Tage bis der "Bumerang Vangheluwe" der belgischen Kirche zurück ins Gesicht fliege. Eine Kirche, die gerade dabei war sich nach den Pädophilie-Skandalen in ihren Reihen und den erschütternden Aussagen der Missbrauchsopfer wieder auf zu stellen. Das bisherige Schweigen der belgischen Bischöfe zum Abschlussbericht des parlamentarischen Sonderausschusses zum sexuellen Missbrauch würde nicht zur Beruhigung der Gemüter beitragen. Eine klare und deutliche Aussage hierzu, so La Libre Belgique, wäre besser.
Auch der Leitartikler in De Standaard ist der Meinung, dass die verharmlosenden Schilderungen Vangheluwes wie eine Ohrfeige von seinen ehemaligen Opfern, seiner Familie, ja selbst der gesamten Glaubensgemeinschaft empfunden werden müsse. Erzbischof Leonard müsse deshalb nach Rom pilgern, um den Papst davon zu überzeugen, wie sehr ein ungestrafter Pädophiler wie ein Krebsgeschwür zerstörend auf die moralische Autorität der Kirche wirke.
Krank und gefährlich
Dieser Mann ist krank und gefährlich, zitiert Het Laatste Nieuws den Psychiater Peter Adriaenssens. Der Leitartikler von Belgiens auflagenstärkster Zeitung beschreibt die Frustration, die durch die scheinbare Machtlosigkeit gegen einen Roger Vangheluwe entsteht, der mit einem Grinsen im Gesicht jedes Schuldgefühl ausschließe. Die Trennung von Staat und Kirche sei hierzulande so strikt, dass die Politik nicht in der Lage ist, einem solchen Mann die Rente zu halbieren. Hierzu müsse Monseigneur erst aus dem Priesteramt ausscheiden. Das zu bewerkstelligen sei die belgische Kirche nicht in der Lage. Dafür bedürfe es des Eingreifens von Rom. Und da sitze ein Papst, der nicht von dieser Welt sei.
Het Nieuwsblad schreibt, dass das Kloster, in dem Vangheluwe in Frankreich Unterschlupf fand, wegen des Medienrummels den gefallenen Bischof am liebsten so rasch wie möglich wieder los würde.
Gazet Van Antwerpen meint, dass Vangheluwe den belgischen Bischöfen trotzte, als er am Donnerstagabend das Fernsehinterview bei VT4 gab. Die Belgischen Bischöfe hätten nämlich von diesem Fernsehauftritt gewusst und deshalb versucht, ihn Vangheluwe auszureden. Doch der habe sich letztendlich durchgesetzt, und damit all das zerstört, was die Kirche in den zurückliegenden Monaten nach Bekanntwerden der Pädophilie-Skandalen in ihrer Reihen zu kitten versucht hatte.
Missbrauchsopfer weiter geschädigt
Der Leitartikler van Het Belang van Limburg bricht derweil eine Lanze für die Missbrauchsopfer. Für sie habe der ganze Medienrummel seit Donnerstagabend alles nur noch schlimmer gemacht. Auch wenn alle erklären würden, dass die Opfer und ihre Interessen eigentlich immer im Mittelpunkt stehen sollten, würde man sich nicht entsprechend verhalten.
Im Leitartikel von Le Soir heißt es, man habe es mit einem geständigen Pädophilen-Priester zu tun, der lüge, seine Straftaten banalisiere, seine Opfer in den Schmutz ziehe und die Justiz des Vatikans lächerlich mache. "Was brauche es mehr? " fragt sich der Leitartikler, damit der Heilige Stuhl Vangheluwe laisiert und kirchenrechtlich mit einer der Höchststrafen belegt.
Le Soir hat heute aber auch noch ein anderes Thema auf der Titelseite und informiert über die Profite aus dem Betrieb der Kernkraftwerke im Land. Diese Gewinne belaufen sich nach Berechnungen der Notenbank BNB auf jährlich 800 Millionen Euro.