"Die Einschnitte der Regierung De Wever ins Rentensystem sind tiefer als bislang erwartet", titelt De Standaard. Der Zeitung liegt ein Gutachten des Planbüros vor, das die Auswirkungen des Spar- und Reformpakets der Föderalregierung beleuchtet. Darin kommen die Experten unter anderem zu dem Schluss, dass die Renten spürbarer sinken werden als bislang erwartet. Der Grund: Zwar sollen die Pensionen immer noch indexiert werden, sie werden aber nicht mehr an den allgemeinen Wohlstand angepasst. Die Regierung hat nämlich den sogenannten "Wohlstandsumschlag" abgeschafft, über den diese Angleichung finanziert wurde.
"Ein scheinbar anekdotischer Faktor kann manchmal erhebliche Folgen haben", analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. Das zeigt sich auch in anderen Bereichen. Weiteres Beispiel: Die Föderalregierung hat ihren Zuschuss für die "Restos du Coeur" drastisch gekürzt. Diese Einrichtungen, die Bedürftigen eine warme Mahlzeit anbieten, müssen künftig auf 420.000 Euro verzichten. Gemessen am föderalen Gesamthaushalt sind das allenfalls Peanuts. Für die Restos du Coeur stellt diese Sparmaßnahme aber eine existentielle Bedrohung dar. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Warteschlangen unter anderem wegen der Reform des Arbeitslosengeldes wieder länger zu werden drohen. Die Sparmaßnahmen kommen also zu einem höchst unglücklichen Zeitpunkt.
Neuordnung im Krankenhauswesen - viel Fingerspitzengefühl nötig
Le Soir beschäftigt sich seinerseits mit der geplanten Neuordnung im Krankenhauswesen. Ein neuer Expertenbericht, der Mitte vergangener Woche veröffentlicht wurde, ist eingeschlagen wie eine Bombe, meint das Blatt. Und tatsächlich: Die Schlussfolgerungen der Fachleute sind explosiv. Demnach sind landesweit 39 Krankenhäuser ernsthaft bedroht; sie könnten in den nächsten fünf Jahren verschwinden, wenn sie nicht ihr Angebot drastisch reduzieren. Vor allem in ländlichen Gegenden könnten die Folgen katastrophal sein. Laut dem Bericht wäre etwa in der Provinz Luxemburg nur noch Platz für ein einziges Krankenhaus. Das steht in schrillem Kontrast zu den Erwartungen der Patienten. Die wünschen sich nämlich vor allem Nähe und Erreichbarkeit. Entsprechend kann man nur hoffen, dass die Entscheidungsträger hier ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl an den Tag legen werden.
Europa braucht eine wirkliche strategische Vision
Einige Zeitungen blicken aber auch ins Ausland. "Putin setzt auf die Strategie des Chaos", so etwa die Aufmachergeschichte von La Libre Belgique. Deren Diagnose: Der Kreml hat sich offensichtlich für den Krieg entschieden. Spätestens 2030 droht eine offene Auseinandersetzung zwischen Russland und Europa.
"Und die Gretchenfrage lautet: Werden wir bis dahin gerüstet sein?", meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Eins ist sicher: Den Frieden erreicht man nicht allein mit dem Scheckbuch. Klar: Natürlich war es wichtig, die Finanzierung der Ukraine zu gewährleisten. Denn in der Tat: Genau dort verläuft gerade die Frontlinie, auch aus europäischer Sicht. Man darf sich aber nicht der Illusion hingeben, dass das auf Dauer reichen wird. Vielmehr braucht die EU jetzt endlich eine wirkliche strategische Vision. Europa braucht mehr denn je Geschlossenheit, muss seine Zähne zeigen und sich seinen Platz auf dem internationalen diplomatischen Parkett zurückerobern. Nur so wird man einen Krieg verhindern können.
Der belgische Staatsmann des Jahres und seine Pläne für Belgien
Apropos: Einige Zeitungen kommen auch heute noch einmal zurück auf den EU-Gipfel von Ende vergangener Woche und insbesondere das Husarenstück von Premierminister Bart De Wever. Das GrenzEcho etwa rekonstruiert noch einmal die Ereignisse und spricht von einem "politischen Lehrstück".
Bart De Wever, der übrigens gestern 55 geworden ist, steht zweifelsohne gerade auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht, glaubt Het Laatste Nieuws. Nie zuvor wurde er derartig auf Händen getragen. Selbst im frankophonen Landesteil hat er viele Skeptiker überzeugen können, geht er inzwischen sogar als ein "belgischer Staatsmann" durch. Doch De Wever wäre nicht De Wever, wenn er nicht schon drei Schachzüge vorausdenken würde. Im Grunde seines Seins ist er nämlich ein flämischer Nationalist geblieben. Sein Plan: Erst muss man die Finanzen in den Griff bekommen. Und, wenn das einmal gelungen ist, dann wird der Staat neugeordnet. Es ist denn auch mehr als wahrscheinlich, dass 2029 über die Übertragung neuer Zuständigkeiten an die Teilstaaten verhandelt wird, allen voran die soziale Sicherheit und das Gesundheitswesen. Ironischerweise kann De Wevers Image als "belgischer Staatsmann" in dem Moment noch dabei helfen, Belgien nach dem Gusto der N-VA umzuformen.
Arizona-Koalition könnte immer wieder auf die Kippe stehen
Bis 2029 liegt aber noch ein langer Weg vor der Arizona-Koalition, warnt De Morgen. Und dieser Weg könnte steinig werden, da reicht ein Blick auf die vergangenen zwölf Monate. Da stand die Föderalregierung gleich mehrmals kurz vor dem Abgrund. Dass De Wever & Co. am Ende doch immer noch die Kurve gekriegt haben, wie etwa zuletzt auch bei ihren Haushaltsberatungen, das muss nichts heißen. Eher im Gegenteil: Was die Koalition bis jetzt noch zusammengehalten hatte, das war die Gefahr, am Ende mit leeren Händen dazustehen. Denn viele Reformvorhaben waren bis vor Kurzem noch nicht definitiv verabschiedet. Jetzt sind sie es. Dieses Druckmittel gibt es also nicht mehr. Ab jetzt besteht also die reelle Gefahr, dass sich der rechte und der linke Koalitionsflügel neutralisieren. Ergo: Die Arizona-Koalition könnte auch im kommenden Jahr immer mal wieder auf der Kippe stehen.
Roger Pint