"Bye bye Bayrou", titelt Le Soir. "Bye bye Bayrou, aber wie geht es jetzt weiter in Frankreich?", fragt sich De Standaard auf Seite eins. "Bayrou ist raus, und Frankreich versinkt immer tiefer in der Krise", so die Schlagzeile von La Libre Belgique und De Morgen.
Die Assemblée Nationale hat gestern dem französischen Premierminister François Bayrou das Vertrauen entzogen. "Damit ist er der dritte Premier innerhalb eines Jahres, der abtreten muss", schreibt De Tijd auf Seite eins. Politisch steckt das Land damit in einer "Sackgasse", wie auch L'Echo es formuliert. Das Parlament besteht weiterhin aus drei Blöcken, die sich gegenseitig neutralisieren: extrem links, extrem rechts und das Zentrum. Neuwahlen wären nach Meinung vieler Beobachter sehr riskant.
Ein ausgeblendetes politisches Zentrum
"Die ehrwürdige Assemblée Nationale hat gestern mal wieder ein Trauerspiel dargeboten", giftet Le Soir in seinem Leitartikel. Die drei Blöcke haben sich einmal mehr in ihren jeweiligen Positionen eingegraben. Dabei stellt sich inzwischen wirklich die Frage, wer da den Ernst der Lage kapiert hat. Frankreichs Instabilität sorgt nicht nur für Nervosität in den Inlandsmärkten, sie schwächt auch die EU. Und das alles in einer Welt, die zunehmend aus den Fugen gerät. Und in Frankreich selbst brodelt es an der Sozialfront, wenden sich immer mehr Bürger angewidert vom Staat ab. Wann lernen die Parteien endlich, dass sie sich zusammenraufen müssen? Zumindest auf das strikte Minimum werden sie sich einigen müssen, nämlich den Haushalt 2026. Aber Frankreich tut sich offensichtlich schwer mit Kompromissen. Erst recht jetzt, wo doch jeder schon an die Präsidentschaftswahl in 18 Monaten denkt. Es ist ebendiese Perspektive, die das Land derzeit erstickt. Der Ausklang der Macron-Präsidentschaft droht geradezu apokalyptisch zu werden.
Macrons "Französische Revolution" ist definitiv gescheitert, analysiert De Tijd. 2017 hatte er buchstäblich aus dem Nichts den Elysée-Palast erobert. Und das dank einer Strategie, die in dieser Zeit ganz Europa inspirierte: Macron hatte das politische Zentrum neu erfunden. Angesichts des Erstarkens der Extreme auf der Rechten wie auf der Linken Seite galt für ihn die alte Maxime: "In der Mitte liegt die Wahrheit". Und das hat auch eine Zeitlang prächtig funktioniert. Längst ist diese Strategie aber an Grenzen gestoßen. Es fängt ja schon damit an, dass man sich in Frankreich noch nicht mal mehr einigen kann, wo denn das Problem liegt. Der linksextreme Block im Parlament teilt etwa nicht die Analyse, dass das Land finanziell am Abgrund steht. Dadurch wird das politische Zentrum inzwischen regelrecht ausgeblendet. Und das ist gefährlich, denn insbesondere eine Reform- und Sanierungspolitik kann man nur erfolgreich in der Mitte führen. Irgendjemand wird wohl in Frankreich wieder das politische Zentrum neu erfinden müssen.
Fast schon die Quadratur des Kreises
La Dernière Heure fragt sich, ob wir nicht am Vorabend einer neuen Schuldenkrise stehen. Frankreich steht da exemplarisch: Eine Staatsschuld in Höhe von 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts: 3.300 Milliarden Euro. Und das bei einem jährlichen Haushaltsdefizit von sechs Prozent. Schon bald wird die Zinslast im südlichen Nachbarland mehr Geld verschlingen als das Unterrichtswesen. Belgien steht freilich nicht viel besser da. Mit einer Staatsschuld von ebenfalls über 100 Prozent des BIP. Das kann nicht mehr lange gut gehen. Die Frage ist, wann die brennende Lunte das Pulverfass erreicht.
Für die Regierung De Wever schlägt bald die Stunde der Wahrheit, glaubt in diesem Zusammenhang L'Echo. Der Streit um das Gaza-Abkommen war noch gar nichts. Die Arizona-Koalition wird bald mindestens 23 Milliarden Euro finden müssen, um den Haushalt zumindest halbwegs wieder in die Spur zu bringen. Da gibt es nicht so furchtbar viele Möglichkeiten: Reformen, Sparmaßnahmen, Steuern, in diesem Dreieck werden wir uns wohl bewegen. Und da werden schwierige, weil folgenschwere Entscheidungen zu treffen sein. Die Regierung wird auf einem schmalen Grat wandeln müssen zwischen dem, was den Bürgern und dem, was der Wirtschaft zuzumuten ist. Das ist fast schon die Quadratur des Kreises.
Gott in der eigenen Gemeinde spielen
In Flandern sorgt derweil der Abgang des CD&V-Altmeisters Pieter De Crem für Diskussionsstoff. De Crem hatte am Sonntag seinen Rücktritt als Bürgermeister im ostflämischen Aalter erklärt. Zum Verhängnis wurde ihm der Skandal um die Diskriminierung von Nicht-Belgiern in seiner Gemeinde. Später gab er auch seinen Parteiaustritt bekannt.
Bei der Gelegenheit hat De Crem dann aber nochmal übel nachgetreten, findet sinngemäß Het Belang van Limburg. Er hat der CD&V-Parteispitze mit anderen Worten vorgeworfen, den Kontakt zur Basis verloren zu haben. Nach dem Motto: Nur De Crem versteht die Sorgen der Menschen, im Gegensatz eben zu den Parteiverantwortlichen. Das ist nicht nur schmierig, sondern auch inhaltlich falsch. Denn es waren schließlich CD&V-Leute, nämlich allen voran Nicole de Moor, die als Asylstaatssekretärin in der letzten Regierung einschneidende Maßnahmen getroffen hat, man denke nur an die Entscheidung, alleinstehende Männer nicht mehr in Asylbewerberheimen unterzubringen. Nein, was De Crem politisch das Genick gebrochen hat, das war die Tatsache, dass er in seiner Gemeinde Gott spielen und die Gesetze selbst definieren wollte.
Eine verdiente rote Karte
Das kommt allerdings nicht von ungefähr, glaubt Het Laatste Nieuws. In ganz Europa wird über Migration diskutiert und gestritten. Vor allem wegen der angeblichen und tatsächlichen Fehlentwicklungen auf EU-Ebene. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir die Einwanderung unter Kontrolle bekommen. Ansonsten kriegen wir einen Wilden Westen, in dem sich Bürgermeister zu Sheriffs aufschwingen.
De Morgen hält diese Analyse für überholt. Pieter De Crem verklärt sich selbst zum "einsamen Cowboy", der tapfer für die Sicherheit seiner geliebten Gemeinde Aalter eintritt und der natürlich der Einzige ist, der die Probleme benennt, über die man in Brüssel schweigt. Um Himmels Willen, erspart uns doch bitte dieses elende Selbstmitleid. Die Tabus sind längst gefallen. Der schnellste Weg in eine Talkshow ist eine scharfe Meinung zur Migration. Ebendiese Obsession, die Einwanderung als das größte Problem unserer Gesellschaften zu brandmarken, befeuert erst die Spirale aus Angst und Verschärfung der Regeln. Nein, De Crem wurde nicht bestraft, weil er angeblich die Dinge beim Namen genannt hat, sondern weil er seinen Eid gebrochen hat. Den, wonach er "die Gesetze des belgischen Volkes" zu beachten schwört. Diese rote Karte hat er sich verdient.
Roger Pint