"Die Regierung De Wever erringt einen Kompromiss über Palästina", schreibt L'Echo auf Seite eins. "Regierung einigt sich auf Nahost-Position", titelt das GrenzEcho. Die Föderalregierung hat ihren Streit beigelegt, sie hat sich nun doch auf eine gemeinsame Haltung zur Gaza-Krise einigen können. Grob zusammengefasst beinhaltet das Abkommen ein Sanktionspaket sowie die bedingte Anerkennung Palästinas. "Aber wie hart beißt das Gaza-Abkommen?", fragt sich De Standaard. Ein Experte bezeichnet die Wirkung der Sanktionen in De Tijd als "begrenzt", Le Soir nennt die Sanktionen auf seiner Titelseite dagegen "beispiellos".
"Endlich!", freut sich Le Soir in seinem Leitartikel. "Endlich hat Belgien wieder auf den Weg des Völkerrechts zurückgefunden". Rein inhaltlich wäre da wahrscheinlich mehr drin gewesen. Das wichtigste Verdienst dieses Abkommens ist es aber, dass es überhaupt existiert. Besonderes Lob gebührt da dem Les-Engagés-Außenminister Maxime Prévot. Der hatte sich – von Emotionen und Empathie geleitet – weit aus dem Fenster gelehnt, etwa, als er seinen Kollegen eine Liste von konkreten Sanktionen vorgelegt hatte. Viele hatten sich schon gefragt, wie Prévot aus diesem selbst eingebrockten Schlamassel wieder herauskommen wollte. Nun, er hat es geschafft.
Lediglich ein Schritt in die richtige Richtung
Und doch bleibt das Abkommen in vielen Punkten allzu vage, urteilt L'Echo. Das gilt in erster Linie für die Frage der Anerkennung des Staates Palästina. Da wird zum Beispiel zur Bedingung gemacht, dass die Hamas von den Regierungsgeschäften ausgeschlossen wird. Aber was heißt das genau? Die Organisation hat durch ihre bloße Existenz eigentlich schon ein enormes Zerstörungspotential. Die Arizona-Koalition wäre gut beraten, ihren Standpunkt noch ein bisschen besser auszuformulieren.
Man kann den Kompromiss in Teilen als allzu vage betrachten, doch scheint er schon jetzt seine Wirkung nicht zu verfehlen, findet derweil Het Belang van Limburg. Außenminister Prévot durfte schließlich schon in den Fernsehsendern CNN und Al Jazeera in dieser Sache auftreten. Und auch in Israel selbst ist das ein Thema. Damit ist schon viel erreicht: Solange wir Netanjahu ärgern können, ist die belgische Position weit mehr als nur symbolisch.
"Aber warum musste das so lange dauern?", ärgert sich De Standaard. War das politische Sommertheater wirklich nötig? Gemessen an dem, was am Ende bei den Verhandlungen herausgekommen ist, kann man sich da durchaus Fragen stellen. Denn, mal ehrlich: Belgien zeigt damit allenfalls die Zähnchen, es ist immer noch keine wirklich harte Haltung. Man kann das Abkommen bestenfalls als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnen. Aber noch mal: Wenn gerade einmal zwei Verhandlungsrunden ausgereicht haben, um einen Kompromiss zu erzielen, warum hat man diese Kuh nicht viel früher vom Eis geholt?
De Morgen stellt sich dieselbe Frage: Warum so spät? Was im Gazastreifen passiert, entspricht inzwischen der Definition eines Völkermords. Zu diesem Schluss ist gerade noch eine Vereinigung von Wissenschaftlern gekommen, die ihr Leben der Genozid-Forschung gewidmet haben. Eine Aneinanderreihung von Kriegsverbrechen, Massenmord, Deportation, ethnischer Säuberung und Aushungern von Zivilisten: Das ist Völkermord. Ganz Europa hätte hier schneller und entschlossener reagieren müssen, um zu versuchen, Israel zur Vernunft zu bringen. Das gilt auch für Belgien. Und dieser Schandfleck wird bleiben. Aber immerhin: Belgien hat sich jetzt positioniert, reiht sich sogar in gewissen Punkten bei den Vorreitern ein. Realistischerweise muss man sagen: Mehr war nicht drin. Aber warum erst jetzt?
Anstehende Haushaltsverhandlungen unter schlechtem Stern
"Na ja, es ist eben ein Kompromiss", bemerkt Het Laatste Nieuws. Und wer etwas anderes erwartet hatte, der hat in den letzten Wochen die Nachrichten nicht verfolgt. Frage ist, wie hoch der innenpolitische Preis sein wird. CD&V, Vooruit und Les Engagés haben die Regierung unter Hochspannung gesetzt. Die Koalitionspartner N-VA und MR wurden mit beißender Kritik und schweren moralischen Vorwürfen überschüttet. Und das bleibt hängen. Insbesondere Premier Bart De Wever war sichtbar irritiert, dass die ohnehin schon schwierige innenpolitische Lage noch überschattet wurde durch ein Auslandsthema. Damit stehen die baldigen Haushaltsberatungen schon unter einem schlechten Stern. Sind die Parteien nach so viel zerdeppertem Porzellan überhaupt noch dazu in der Lage, sich jetzt noch auf einschneidende Sanierungsmaßnahmen zu einigen?
Das GrenzEcho sieht das ähnlich: Die Gräben sind noch sichtbarer geworden. Besonders interessant ist zu beobachten, wie sehr sich Les Engagés und die MR in den letzten Wochen voneinander entfernt haben. Fakt ist: Der Sparzwang ist enorm. Und wenn sich in Völkerrechtsfragen schon derartig tiefe Risse auftun, dann darf man gespannt sein auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen.
Ein "wichtiges, kluges und erlösendes" Abkommen
Der Kommentar von La Libre Belgique liest sich wie ein Fazit. Das Abkommen, das Außenminister Prévot den Partnern abgerungen hat, ist wichtig, klug und erlösend. Wichtig, weil Belgien jetzt über glaubwürdige diplomatische Hebel verfügt. Klug, weil die Anerkennung Palästinas an nachvollziehbare Bedingungen geknüpft ist und damit alle Beteiligten ihr Gesicht wahren können. Und erlösend, weil das Abkommen dafür sorgt, dass der Regierung De Wever eine existentielle Krise erspart bleibt. Diese Seite kann nun umgeblättert werden, ab jetzt kann man sich den wichtigen haushaltspolitischen und sozialwirtschaftlichen Baustellen widmen.
Roger Pint