"Israel rückt vor: Offensive geplant – Kritik und Sorge wachsen", titelt das GrenzEcho zur Ankündigung Israels, Gaza-Stadt besetzen zu wollen. "Wie Israel alle Einwohner Gazas auf rund einem Zehntel des Gebiets zusammentreibt", schreibt De Standaard dazu. "Gaza-Krieg: weltweiter Aufstand gegen den Plan Israels", liest man bei Le Soir.
Voilà, für die die noch irgendwelche Zweifel gehegt haben: Für die israelische Regierung war es nie eine Priorität, die Geiseln freizubekommen, hält L'Avenir in seinem Leitartikel fest. Ihr Ziel war immer, die Hamas ein für alle Mal zu vernichten und die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen. Netanjahu will die Einwohner Gazas aus ihrer Heimat vertreiben. Die Strategie lautet, ihr Leben unerträglich zu machen, damit sie in andere Länder fliehen. Das ist nicht nur aus menschlicher und moralischer Sicht nicht hinnehmbar, sondern auch aus juristischer. Denn der Internationale Gerichtshof hat Israel bereits aufgefordert, seine Besetzung der Palästinensergebiete zu beenden und eine Zweistaatenlösung mit Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser zu ermöglichen. Dieses Mal kann auch niemand mehr leugnen, dass wir in Gaza nicht mehr von einem Vergeltungskrieg sprechen, sondern von einem Eroberungsfeldzug. Mit ihrem barbarischen Angriff auf Israel hat die Terrorgruppe Hamas den israelischen Rechtsextremen und ihrem lange gehegten Traum von einem "Großisrael" den roten Teppich ausgerollt. Ein Traum, der nicht nur in Gaza vorangetrieben wird, sondern auch zum Beispiel im Westjordanland und auf den Golanhöhen, unterstreicht L'Avenir.
Es darf keine Tabus mehr geben
Will die Welt nun wirklich tatenlos zuschauen, wie Israel in Gaza auch noch die letzten Ruinen zerstört und tausende weitere Palästinenser über die Klinge springen lässt, fragt empört De Morgen. Werden "wir" das echt einfach mitansehen? Das ist ein unerträglicher Gedanke. Die Kriegsziele, die Israel nach dem Angriff und den Gräueltaten der Hamas formulierte, waren ja noch legitim. Aber mit seinen Kriegsverbrechen, seinen Massenmorden und seinen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist Israel viel zu weit gegangen. Wenn Israel tatsächlich die Geiseln freibekommen und die Hamas loswerden will, dann sind eine Waffenruhe und Verhandlungen ein viel effizienterer Weg, als weiter zu eskalieren. Das sagt selbst ein Teil der israelischen Armeeführung. Dass die Regierung Netanjahu das ignoriert, lässt vermuten, dass sie einen viel düstereren Plan verfolgt. Belgien und Europa dürfen sich jetzt auf keinen Fall wieder auf diplomatische Gesten beschränken. Sie müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um Israel von seinem mörderischen Weg abzubringen. Und dabei darf es keine Tabus mehr geben, fordert De Morgen.
Wir sind empört, wir sind entrüstet, uns blutet das Herz – und dabei belassen wir es im Großen und Ganzen, kommentiert Le Soir. Währenddessen treibt die israelische Regierung ihre Offensive munter voran und schaltet bei der Aggression einen Gang höher. Die belgische Regierungskoalition beschränkt sich darauf, zu reden und wenig zu tun. Aber machen wir uns nichts vor: Auf europäischer Ebene sieht es auch nicht besser aus. Trotzdem: Das absolute Minimum angesichts der erneuten Eskalation Israels muss sein, dass das Kernkabinett in den nächsten Tagen zusammenkommt und dass Belgien unmittelbar Sanktionen gegen Israel beschließt – und zwar diplomatische, wirtschaftliche und auch militärische. Belgien darf sich auch nicht mehr länger hinter der EU verstecken in dieser Hinsicht, wettert Le Soir.
Unverzeihlich
Die totale Verwüstung von Gaza: Das ist es, was das israelische Sicherheitskabinett letztlich beschlossen hat, fasst De Standaard zusammen. Viel schlimmer kann es für die zwei Millionen Einwohner Gazas danach kaum noch kommen. Die Aushungerung, das Abschneiden der Wasser-, Strom- und Treibstoffzufuhr, die Bombardierung der Krankenhäuser, das Schießen auf Hungernde, die für Nahrungsmittel anstehen – all das hat den europäischen Politikern nicht gereicht, um Israel zu verurteilen. Und auch Israels jüngste Ankündigung, Gaza weiter zu zerstören, hat kaum zu nennenswerten Reaktionen geführt. Inhaltsleerer und schlaffer geht es von europäischer Seite wirklich kaum noch.
Alle wissen, dass es Netanjahu nur ums eigene politische Überleben geht. Dafür braucht er endlosen Krieg. Dass Europa dieses Spiel mitmacht, ist unverzeihlich. Aber Belgien braucht Europa nicht, um Maßnahmen zu beschließen. Und die Überzeugung in der Bevölkerung ist groß, dass Israel sich des Völkermords schuldig macht und mit Sanktionen belegt werden muss. Die Regierungsparteien Vooruit, CD&V und Les Engagés verlangen schon seit Tagen, dass der Ministerrat digital zusammenkommt, um über die Lage in Gaza zu sprechen. Aber Premierminister Bart De Wever lässt auf sich warten. Er sitzt in Südafrika und schweigt sich aus. Wenn sich die Kommunikation des Regierungschefs in so einer Situation darauf beschränkt, Urlaubsschnappschüsse in den Sozialen Medien zu teilen, dann ist das nicht nur eine politische Strategie. Das ist eine Provokation, urteilt De Standaard.
Putin weiß, wie der Hase läuft
La Dernière Heure befasst sich mit dem geplanten Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Machthaber Wladimir Putin zum Ukrainekrieg. Zunächst sticht ins Auge, wer eben nicht dabei sein wird: Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der von Russland überfallenen Ukraine. Und auch die Europäische Union wird nicht mit am Tisch sitzen. Wobei die ohnehin schon lange zum Zuschauer degradiert worden ist. Trump hofft, einen Waffenstillstand aushandeln zu können. Aber Putin hat kein echtes Interesse daran. Der Russe weiß, wie der Hase läuft und wie er auf Zeit spielen kann, schließlich hat er schon fünf amerikanische Präsidenten mitgemacht. Nicht umsonst hat er sein Land komplett auf Kriegswirtschaft umgestellt. Wenn die Amerikaner drohen, zucken die Russen mit den Schultern. Wenn ihnen jemand die Hand reichen will, fahren sie die Krallen aus. Und die Ukraine droht darüber zum bloßen Verhandlungsobjekt zu werden für Trump, der nur an einem Erfolg interessiert ist. Oder Trump verliert einfach wieder das Interesse und lässt die Ukrainer im Stich, befürchtet La Dernière Heure.
Boris Schmidt