"Hungersnot in Gaza", titelt De Tijd. "Belgien bereitet sich auf Hilfsflug für Gaza vor", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Belgien wird 'sehr bald' Hilfsgüter über dem Gaza-Streifen abwerfen", so auch die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Belgien und andere Länder bereiten eine Luftbrücke für die hungernde Bevölkerung im Gaza-Streifen vor. Zugleich wurde beschlossen, den zuständigen Kammerausschuss aus dem Urlaub zurückzurufen. Bei einer Sondersitzung soll auch über die Haltung der Föderalregierung zu Israel beraten werden. "Das aber erst in zwei Wochen", beklagt Het Nieuwsblad auf Seite eins. Aber immerhin, meint De Morgen: "Auch in Belgien bewegt sich was; nur reicht das?", fragt sich das Blatt. Dennoch: "Der Druck auf die Regierung De Wever steigt", notiert L'Echo. Denn viele Länder haben angekündigt, Palästina als Staat anerkennen zu wollen. Andere erwägen Sanktionen gegen Israel. Het Laatste Nieuws nennt auf seiner Titelseite Ross und Reiter: "Nur die MR sträubt sich noch gegen Sanktionen", so die Schlagzeile. "Die MR ist innerhalb der Arizona-Koalition isoliert", schreibt auch Le Soir.
Belgien steckt den Kopf in den Sand
"Endlich wird der Druck erhöht", begrüßt Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel die jüngsten Entwicklungen. Konkret: Auch innerhalb der N-VA scheint es ein Umdenken zu geben. Die Partei von Premierminister Bart De Wever hat jedenfalls einer Dringlichkeitssitzung des zuständigen Kammerausschusses zugestimmt. Bei der MR blieb es demgegenüber ohrenbetäubend still. Klar: Auch der Premier war sichtlich bemüht, den Ball flach zu halten. Er hat aber immerhin deutlich gemacht, dass Israel als demokratischer Staat zur Ordnung gerufen werden müsse, falls die Gewalt im Gaza-Streifen nicht beendet wird. Es gibt also doch Bewegung.
"Das mag sein, aber es ist zu wenig zu spät", hakt Le Soir ein. Der Westen insgesamt hat viel zu lang tatenlos zugesehen. Zugegeben: Belgien wird sich jetzt zum zweiten Mal an einer Luftbrücke beteiligen, um die hungernde Bevölkerung im Gaza-Streifen aus der Luft zu versorgen. Jeder weiß aber, dass das allenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Wirkliche Hilfe kann nur über den Landweg erfolgen. Trotz der jüngsten Bewegung haben insbesondere die Europäer in dieser Tragödie versagt.
Het Nieuwsblad geht mit der Arizona-Koalition hart ins Gericht. Eine "Dringlichkeitssitzung", die erst in zwei Wochen stattfindet, das ist – na ja – dann doch nicht ganz so eilig. Und die Ankündigung, sich an einer Luftbrücke zu beteiligen, das ist allenfalls ein Feigenblatt, eine Ausrede, um ansonsten weiter nichts zu tun. Jeder weiß, dass das nicht mal ansatzweise reichen wird. Es gibt nur einen Weg: Israel muss unter Druck gesetzt werden. Doch genau in diesem Punkt zögert die Föderalregierung nach wie vor. Weder kann man sich zu Sanktionen durchringen, noch wird eine Anerkennung des Staates Palästina in Erwägung gezogen. Während also die Mehrheit der europäischen Staaten versucht, den Druck auf Israel zu erhöhen, bleibt hierzulande die Handbremse gezogen. Wir stecken also weiter den Kopf in den Sand.
Anerkennung des Staates Palästina kontraproduktiv?
"Die Anerkennung des Staates Palästina wäre aber allenfalls ein Symbol, keine Lösung", gibt De Tijd zu bedenken. Absolute Priorität muss es doch sein, die hungernde Bevölkerung im Gaza-Streifen mit Hilfsgütern zu versorgen. Und es mag bezweifelt werden, dass eine Anerkennung des Staates Palästina uns diesem Ziel wirklich näherbringt. Die entsprechende Ankündigung kann allenfalls dazu benutzt werden, den Druck auf Israel zu erhöhen. In London hat man das verstanden: Premier Keir Starmer stellt diese Drohung in den Raum, für den Fall, dass Israel seinen Krieg unvermindert fortsetzt. Demgegenüber scheint der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bereit zu sein, diese Trumpfkarte zu verspielen. Das alles nur, um zu sagen: Eine schnelle und bedingungslose Anerkennung des Staates Palästina könnte sich am Ende als kontraproduktiv erweisen.
Dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu wird all das aber ohnehin nicht den Schlaf rauben, glaubt Gazet van Antwerpen. Was in Europa und erst recht in Belgien passiert, das ist ihm völlig egal. Es gibt nur einen Menschen, auf den die israelische Regierung hören würde, und das ist US-Präsident Donald Trump. Und die USA würden Israel nie fallen lassen.
Das Symptom einer geschwächten Justiz
Im frankophonen Landesteil sorgt derweil ein Fall von Selbstjustiz für Schlagzeilen. Im Mittelpunkt steht Grégory Lenoci. Der hatte in Namur seinen Nachbarn brutal verprügelt, weil er ihn verdächtigte, seinen Stiefsohn sexuell missbraucht zu haben. Dieser Grégory Lenoci wurde inzwischen festgenommen, gegen ihn wird womöglich wegen versuchten Mordes ermittelt.
Grégory Lenoci wird schon zuweilen der "wallonische Rächer" genannt, und das ist eine gefährliche Entwicklung, mahnt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Der Fall steht stellvertretend für das zunehmende Misstrauen, das Teile der Gesellschaft gegen die Justiz hegen: zu langsam, zu formalistisch, zu weit vom Bürger entfernt. Umfragen deuten schon länger darauf hin, dass immer mehr Bürger Selbstjustiz nicht mehr grundsätzlich ablehnen. Dieses Gefühl wird noch bestärkt durch die Tatsache, dass das Justizwesen hierzulande nach wie vor unterfinanziert ist. Grégory Lenoci ist kein Held, er ist das Symptom einer geschwächten Justiz.
L'Avenir sieht das genauso. Zu allem Überfluss kommen ja noch weitere, verstörende Einzelheiten ans Licht. Demnach war das Opfer bereits 2020 wegen Pädophilie verurteilt worden. Und doch hätten die zuständigen Behörden auf erste Klagen nicht reagiert. Für Schlussfolgerungen oder gar Anschuldigungen ist es noch zu früh. Doch sind diese Informationen schon jetzt Wasser auf den Mühlen derer, die den Justizbehörden schlicht und einfach nicht mehr vertrauen. Ein Fazit ist aber jetzt schon erlaubt: Der Staat darf nicht weiter seinen Polizei – und Justizapparat als budgetäre Stellschraube missbrauchen. Denn eine Gesellschaft, die an ihrer Justiz zweifelt, ist eine Gesellschaft, die ins Wanken gerät.
Roger Pint