"111 Organisationen ziehen an der Alarmglocke nach 111 Hungertoten", titeln Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. "WHO schlägt Alarm wegen Hungersnot in Gaza", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "So aussichtslos, dass selbst die Hilfsorganisationen in Gaza den Mut verlieren", klagt Het Belang van Limburg an.
Wir hatten uns schon an Bilder der zerstörten Häuser in Gaza gewöhnt, an die überfüllten Krankenhäuser, an die abscheulichen Szenen bei der Nahrungsmittelverteilung, zählt Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel auf. Jetzt kommen also noch die schockierenden Fotos ausgemergelter Kinder dazu. Währenddessen macht Israel weiter mit seinen Bombardierungen, den Schüssen auf Menschen, die nur versuchen, etwas zu essen zu bekommen, mit seiner Blockade der Lkw mit Hilfsgütern. Und Israel schiebt weiter der Hamas die Schuld in die Schuhe, die Terrororganisation behindere die Verteilung der Nahrungsmittel. Aber keine einzige Hilfsorganisation vor Ort bestätigt das. Die Welt schaut derweil machtlos zu. Wird die Hungersnot endlich etwas daran ändern? Wird der Brandbrief von 25 Ländern zur Keimzelle für Sanktionen oder andere Maßnahmen gegen die Regierung Netanjahu werden? Oder wird Europa weiter die Augen verschließen vor den Kriegsverbrechen, aus Angst vor wirtschaftlichem Schaden und Vergeltungsaktionen der Vereinigten Staaten? Und aus Angst, in dieses Wespennest im Nahen Osten hineingezogen zu werden? Alles gute Gründe, nichts zu tun. Aber eine mächtige Union demokratischer Länder darf nicht zulassen, dass ein Verbündeter und Handelspartner fast zwei Jahre lang unschuldige Menschen und Kinder einsperrt, bombardiert, isoliert und aushungert, prangert Gazet van Antwerpen an.
Israels Argumente sind unglaubwürdig
Zynischer geht es ja wohl kaum noch, schreibt Het Nieuwsblad: Israel bombardiert die Palästinenser nicht nur und blockiert Hilfslieferungen. Nein, es organisiert selbst eine Nahrungsmittelverteilung und lässt dann auf die Menschen schießen, die dorthin kommen. Laut den Vereinten Nationen hat Israel so schon tausend Palästinenser getötet. Und Israels Argument ist schlicht unglaubwürdig, dass der einzige Weg, die Hamas kleinzukriegen, über die Ermordung zehntausender Zivilisten führt. Israel hat in der Vergangenheit oft genug bewiesen, wie chirurgisch es vorgehen kann, wenn es nur will, wettert Het Nieuwsblad.
Israel benutzt seit Jahrzehnten den Holocaust als Rechtfertigung für seine Politik, hält De Standaard fest. Deshalb stellt die Regierung Netanjahu die Hamas und alle Palästinenser auch konsequent als Nazis dar. Das muss dann auch als Vorwand herhalten für die Aushungerung der palästinensischen Zivilbevölkerung. Kritik an Israel wird sowieso automatisch als "Antisemitismus" abgetan. Derweil spricht die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen zwar von den "unerträglichen" Bildern aus Gaza, hat aber nicht den Mut, Israel beim Namen zu nennen. 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz kämpfen die Deutschen weiter mit ihrer Vergangenheit. Deswegen steht nicht mal eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel zur Debatte. Dabei ist längst bewiesen, dass Israel die Voraussetzungen des Abkommens mit Füßen tritt. Auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik braucht man also nicht zu hoffen. Wir brauchen eine "Koalition der Willigen", um endlich Druck auf Israel auszuüben. Alles andere ist eine stillschweigende Duldung und damit Mitschuld, klagt De Standaard an.
De Morgen hebt hervor, dass sich auch in Israel beziehungsweise unter Israelis Widerstand regt gegen die gnadenlose Politik ihrer Regierung gegenüber den Palästinensern. Wobei es immer noch mehr als genug Israelis gibt, die das Blutvergießen und die Zerstörung Gazas jeden Abend öffentlich bejubeln. Aber jeder noch so kleine Widerstand ist wichtig. Denn Regime stürzen so gut wie nie durch Druck von außen, der echte Todesstoß kann nur von innen kommen, meint De Morgen.
Resignation ist keine Option
Le Soir greift das jüngste Klima-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs auf: Darin bezeichnet der Gerichtshof eine "saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt" als Menschenrecht. Geschädigte Länder könnten sogar Anspruch auf Reparationen haben. Der Gerichtshof nimmt kein Blatt vor den Mund, lobt die Zeitung, und schließt sich früheren Urteilen an. Aber wird das konkrete Auswirkungen haben? Das bleibt in der Tat abzuwarten, denn die Forderungen des Gerichts sind nicht bindend. Dennoch ist es ein deutliches Signal. Und es ist eine zusätzliche Waffe im juristischen Arsenal für künftige Gerichtsprozesse. So oder so haben wir keine Wahl, Resignation ist keine Option. Hoffen wir also, dass diese Entscheidung dem Kampf gegen den Klimawandel neuen Schwung gibt, so Le Soir.
Wettbewerbsregeln gelten auch für die SNCB
La Libre Belgique kommt zurück auf die gestrige Entscheidung des Verwaltungsrats der SNCB. Die Bahn hat erneut bestätigt, dass sie den spanischen Hersteller CAF für den geeignetsten Anbieter hält für die Lieferung neuer Züge, um die Flotte der SNCB zu erneuern. Das Gleiche hatte der Verwaltungsrat schon im Februar gesagt, aber der unterlegene französische Mitkonkurrent Alstom hatte das vor dem Staatsrat erfolgreich angefochten. Dessen Einwände hat die SNCB jetzt berücksichtigt, sie bleibt aber bei der CAF. Alles andere hätte wohl auch dazu geführt, dass die Spanier den Rechtsweg eingeschlagen hätten. Fest steht jedenfalls, dass kein Unternehmen die europäischen Wettbewerbsregeln ignorieren kann – weder nationale Präferenzen noch lokale Arbeitsplätze dürfen zu einer Bevorzugung bestimmter Anbieter führen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es auch keinerlei Hinweise, dass es bei der Entscheidung der SNCB zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein könnte. Die Entscheidung für die CAF an sich kann also nicht kritisiert werden. Selbst wenn das Ganze der Öffentlichkeit nur schwer zu verkaufen ist und sicher nicht den Interessen unserer Industrie dient, resümiert La Libre Belgique.
Boris Schmidt