"Die EU untersucht das israelische Vorgehen in Gaza", titelt De Morgen. "Die EU will ihr Assoziierungsabkommen mit Israel überprüfen", präzisiert Le Soir auf Seite ein. "Die EU erhöht jetzt doch ein bisschen den Druck auf Israel", so die Schlagzeile von De Standaard.
Die EU-Außenminister haben gestern beschlossen, das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel unter die Lupe nehmen zu lassen. Dieser Vertrag regelt die beiderseitigen Beziehungen, unter anderem im Bereich Handel oder in der wissenschaftlichen und akademischen Zusammenarbeit. Es gibt aber auch eine Menschenrechtsklausel, und die soll jetzt im Lichte des israelischen Vorgehens im Gazastreifen noch einmal überprüft werden.
Im Vorfeld des EU-Außenministerrates hatte auch die belgische Regierung ihre Position noch einmal ausformulieren müssen. "Und Belgien hat sich dabei wieder auf die richtige Seite der Geschichte gestellt", lobt Le Soir in seinem Leitartikel. Viel zu lange hatte man sich mit Blick auf den Gaza-Krieg zu zögerlich positioniert. Jetzt hat die Arizona-Koalition ihren Standpunkt aber deutlich angeschärft. "Angesichts des Horrors im Gazastreifen konnten wir es nicht mehr bei mahnenden Worten belassen", sagte richtigerweise Außenminister Maxime Prévot. Und tatsächlich: Sogar N-VA und MR sind von ihrer bisherigen Position abgerückt, wovon man im Vorfeld nicht ausgehen konnte. Jetzt plädiert die Regierung sogar erstmals ausdrücklich für Sanktionen gegen Israel. Klar: Belgien allein kann da nichts ausrichten. Aber auch auf EU-Ebene scheint sich ja endlich etwas zu bewegen.
Hunger kennt keine Geduld
Im Grunde hatte die Föderalregierung aber keine andere Wahl mehr, glaubt De Standaard. Die grässlichen Bilder von massenhaft verhungernden Kindern im Gazastreifen sind längst unerträglich. Zyniker würden jetzt unterstellen, dass es für die Koalition am Ende gar nicht mal so schwer war, sich auf eine verschärfte Position zu verständigen. MR und N-VA wissen sehr wohl, dass wirklich harte Sanktionen auf der EU-Ebene ohnehin am Widerstand der israelfreundlichen Länder scheitern würden. Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass jetzt endlich klare Worte gefunden wurden. Und immerhin hat die EU jetzt die Möglichkeit, Waffenlieferungen an Israel zu erschweren oder die Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten auf Eis zu legen. Angesichts der Gräueltaten, die schon begangen wurden und die noch geplant sind, ist das aber insgesamt noch viel zu wenig.
L'Avenir sieht das genauso. So löblich die jüngsten Gesten westlicher Politiker auch sein mögen, das alles bleibt immer noch viel zu symbolisch. Und das gilt so lange, bis insbesondere die EU endlich wirkliche Sanktionen gegen Israel verhängt. Mit guten Absichten ernährt man keine Menschen, und der Hunger kennt keine Geduld. Es besteht absolute Dringlichkeit, und Untätigkeit wird dann zur Mittäterschaft. Jetzt reicht es nicht mehr, die Stimme zu erheben, jetzt muss entschlossen gehandelt werden. Jede Minute der Passivität wird mit Menschenleben bezahlt.
"Was nicht passt, wird passend gemacht"
Viele Zeitungen blicken aber auch auf die ostflämische Stadt Ninove. "Die Schöffen von Forza Ninove haben die Nacht im Gefängnis verbracht", titelt Het Nieuwsblad. Forza Ninove, der lokale Ableger des rechtsextremen Vlaams Belang, hatte ja bei der letzten Kommunalwahl die absolute Mehrheit errungen. Schon am Wahltag waren aber Vorwürfe der Wahlfälschung laut geworden. Gestern hatte die ermittelnde Staatsanwaltschaft acht Personen aus dem Umfeld von Forza Ninove festgenommen. Zwei von ihnen, eine Schöffin und ein Schöffe, mussten die Nacht im Gefängnis verbringen.
Bis auf Weiteres gilt natürlich die Unschuldsvermutung, betont De Morgen in seinem Kommentar. Nichtsdestotrotz kann man doch den Eindruck haben, dass die Staatsanwaltschaft Ostflandern doch über gewichtige Hinweise verfügt, die darauf hindeuten, dass bei der Kommunalwahl in Ninove mit Wahlvollmachten geschummelt wurde. Die Rede ist unter anderem von gefälschten ärztlichen Attesten, die einfach nur vervielfältigt worden sein sollen. Allein das wäre doch ziemlich haarsträubend. Auch für die Wähler, die doch eigentlich für eine angeblich "radikal andere" Politik gestimmt hatten. Und statt "etwas anderes" zu kriegen, bekamen sie eine Rückfahrkarte in die Zeit, als in der Politik noch die Maxime galt: "Was nicht passt, das wird eben passend gemacht". Die politischen Widersacher von Bürgermeister Guy D'haeseleer sollten aber nicht zu früh jubeln. So schnell wenden sich die Wähler nicht ab. Beispiele gibt es zuhauf: Im Inland in den PS-Hochburgen oder international mit Donald Trump. Der rechtsextreme Vlaams Belang versucht ja schon, sich als angebliches "Opfer des Establishments" hinzustellen.
"Mini-Trump" zeigt sein wahres Gesicht
"Die Reaktion von Tom Van Grieken spricht Bände", meint sinngemäß Het Laatste Nieuws. Hat der Vlaams Belang-Vorsitzende nicht immer vollmundig "Law and Order" gepredigt? Jetzt, da zwei Schöffen von Forza Ninove wegen mutmaßlicher Urkundenfälschung festgenommen wurden, jetzt sieht das plötzlich anders aus. "Was an der Wahlurne nicht funktioniert hat, das muss jetzt die Justiz geradebiegen", tönte der Chef der Rechtsextremisten, der obendrauf noch von einer Hexenjagd sprach. Klar: Für den Vlaams Belang ist das Ganze außerordentlich peinlich. Man kann schwerlich verlangen, dass die Gesetze knallhart angewendet werden müssen und dabei immer wieder geißeln, dass das "System" ja ach so "korrupt" sei, wenn plötzlich die eigenen Leute ins Zwielicht geraten. Drehen wir mal die Argumentation um: Ist Van Grieken wirklich der Ansicht, dass die Justiz angesichts der flagranten Hinweise auf Wahlbetrug dennoch untätig bleiben sollte? Der Vlaams Belang ist eine Partei, die mit Verve und Hingabe permanent das angebliche "Gefuchtel" der klassischen Politiker anklagt. Dann muss man sich eben auch an diesen hehren Maßstäben messen lassen.
Tom Van Grieken macht einen auf "Mini-Trump", giftet Het Nieuwsblad. "Schockiert" war er nach eigenen Worten angesichts der Tatsache, dass zwei Schöffen zwecks Verhör festgenommen wurden. Dabei ist offensichtlich, dass die Vorwürfe der Wahlfälschung nicht aus der Luft gegriffen sind. In einem Rechtsstaat ist es also völlig normal, dass mögliche Verdächtige verhört werden. In der Welt von Tom Van Grieken gilt das aber offensichtlich nicht, wenn es da plötzlich um die "eigenen Leute" geht. Die müssen unangetastet bleiben, ansonsten ist es eine "Hexenjagd". Womit wir bei Trump wären. Wir sehen hier dasselbe Muster: Kommen die Schöffen ungeschoren davon, dann ist das Van Grieken und seiner entschlossenen Reaktion zu verdanken. Werden sie angeklagt, dann ist das der definitive Beweis dafür, dass das "Establishment" und der "Deep State" ein Komplott gegen den Vlaams Belang geschmiedet hatten. Zersetzen, polarisieren, Zweifel sähen: Van Grieken zeigt hier noch einmal sein wahres Gesicht.
Roger Pint